Verkaufspsychologie Der gute Wille allein hilft nicht gegen die Verführung

Eigentlich hätten es nur Brot, Milch, Butter und Toilettenpapier sein sollen: Doch auch wer sich fest vornimmt, nur das zu kaufen, was auf dem Einkaufszettel steht, trägt oft viel mehr nach Hause, als er eigentlich wollte.

Montag, 21. März 2011 - Management
Giovanna Marasco - Rhein-Zeitung

Der gute Wille und ein Notizzettel, auf dem alle Dinge stehen, die besorgt werden müssen - auf den ersten Blick scheint das eine Geheimwaffe in Sachen Einkaufsdisziplin zu sein. Doch wer das glaubt, irrt: Rund 447 Euro pro Monat gibt eine Kleinfamilie für Lebensmittel aus. Dieser Betrag könnte unter Umständen deutlich geringer ausfallen, denn 70 Prozent der Kaufentscheidungen fallen - unbewusst - erst im Geschäft selbst. Ein ausgeklügeltes System der Verkaufsprofis sorgt für regelmäßige Kaufentscheidungen aus dem Bauch heraus.

In einem großen Verbrauchermarkt mit bis zu 30 000 Artikeln schaut der Käufer jedes Produkt im Schnitt etwa eine Dreißigstelsekunde an. Für den Handel ist es wichtig, dass der Kunde dabei auch die entscheidenden Reize erkennt. Je länger er sich ein Produkt ansieht, desto eher landet es in seinem Einkaufswagen. Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von zehn Minuten bis zu einer Stunde steigt damit, je nach Größe des Marktes, auch die Wahrscheinlichkeit für einen Spontankauf.

Die Supermarktketten setzen dieses Wissen geschickt ein, um die Kauflust zu steigern: mit besonders großen Einkaufswagen, den richtigen Produkten auf Augenhöhe, leckeren Gerüchen oder Kombiplatzierungen (siehe Artikel unten). Der Wettbewerb ist knallhart, besonders weil heute die meisten Wirtschaftsmärkte gesättigt sind: Nicht nur jedes Produkt verlangt da nach Aufmerksamkeit. Auch mit einer aggressiven Preispolitik versuchen die Geschäfte, sich gegenseitig ihre Kunden wegzuschnappen. Zudem wird der Gang in den Supermarkt mehr und mehr zum Freizeiterlebnis, das in Konkurrenz zu anderen Beschäftigungen tritt. Einkaufen muss spannend, aber auch entspannend sein - eine schwierige Gratwanderung für die Branche. Dieser neuen Herausforderung hat sie sich etwa mit der Einführung von süßwarenfreien Kassenzonen gestellt, die man bereits in einigen Märkten findet.

Auch wenn die meisten Menschen in Ansätzen über die Verkaufsstrategien Bescheid wissen - was das Einkaufen angeht, sind wir manipulierbar wie sonst kaum. Das bestätigt Michael Lerchenmüller, Professor für Handelsbetriebslehre und Marketing an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. "Wir reagieren alle auf Reize, können uns ihnen kaum entziehen. Das ist schon seit Urzeiten in unseren Genen verankert." Glück für den Handel - denn gäbe es die Spontankäufe nicht, "würde die Marktwirtschaft in ihrer derzeitigen Verfassung mit einem Kollaps reagieren, weil sie auf die Deckung des Zusatznutzens von Produkten ausgerichtet ist", warnt Lerchenmüller. "Das würde einen erheblichen Anteil des Bruttosozialproduktes kosten. Das wäre eine Katastrophe."

Wie sehr der Einzelne auf die Marketingstrategien anspringt, hängt von mehreren Faktoren ab, dazu zählen vor allem die eigene Willensstärke, Disziplin und die Charakterfestigkeit: "Jeder in unserer Wohlstandsgesellschaft mag irgendwelche Produkte, Marken oder Lebenseinstellungen. Das ist an sich nichts Schlimmes, sondern Teil unserer Persönlichkeit", sagt Christina Steinheuer, Wirtschaftsredakteurin beim Verlag Lebensmittel Praxis in Neuwied.

Der Mensch definiert sich über das, was er is(s)t und über das, was er besitzt. Ein Produkt hat also nur dann eine Chance beim Käufer, "wenn es neben dem funktionalen Nutzen auch einen emotionalen, symbolischen oder gesellschaftlichen Nutzen hat", erklärt Martin Fassnacht, Marketingprofessor an der Managerschmiede WHU in Vallendar. Gekauft wird das Produkt, das das Belohnungsprogramm im Gehirn zum Laufen bringt.

Auch wenn die Programme, die die Kauflust steigern, demnach unbewusst im Menschen ablaufen, ist der Verbraucher den Verkaufsmechanismen der Branche nicht hilflos ausgeliefert. "Man hat nur eine Chance: indem man genau hinsieht, wachsam ist und auf die Werbemaschen nicht hereinfällt", rät Iris Brenner von der Verbraucherzentrale in Koblenz. Ob Disziplin in allen Lebenslagen allerdings die richtige Lösung ist, wagt Lerchenmüller zu bezweifeln: "Manchmal will man sich eben auch einmal etwas gönnen und sich auch ein bisschen verführen lassen."