Interview „Kunden mehr in die Verantwortung nehmen“

Die Edeka Minden-Hannover will nachhaltiger werden. Mark Rosenkranz, Sprecher der Geschäftsführung, über die Herausforderung, die Einzelhändler zu überzeugen vom neuen Tragetaschenkonzept, den WWF-gebrandeten Edeka-Artikeln und dem Bio-Fleisch mit Premium- Tierschutzlabel. Das Gespräch führte Sonja Plachetta.

Freitag, 25. September 2015 - Management
Sonja Plachetta
Artikelbild „Kunden mehr in die Verantwortung nehmen“

In zahlreichen Märkten der Edeka Minden-Hannover gibt es keine Plastiktüten für 10 Cent mehr. Was ist der Grund?

Mark Rosenkranz: Wir wollen bei dem Thema nachhaltiger werden und haben ein neues Tragetaschenkonzept entwickelt, das seit September sukzessive ausgerollt wird. Dazu gehört, dass wir die günstige Standardtragetasche, die aus nicht-recyceltem Material und somit nicht ressourcenschonend hergestellt wird, auslisten. Das ist durchaus ein unternehmerisches Wagnis, denn diese Standardtragetasche war bisher einer unser meistverkauften Artikel: immerhin mehr als 1 Mio. Mal im Jahr.

Wie haben die Einzelhändler darauf reagiert, dass mit der billigen Plastiktüte der wichtigste Absatzartikel in dem Bereich wegfällt?

Wenn man das Thema Nachhaltigkeit ganz grundsätzlich angehen will, geht das nicht ohne die Einbindung der selbstständigen Kaufleute, da zwei Drittel unserer Märkte von ihnen geführt werden. Das ist eine kommunikative Herausforderung. Wir haben uns zusammen mit den Kaufleuten als Edeka Minden-Hannover auch in unserem Leitbild zur Nachhaltigkeit verpflichtet. Und nachhaltiges Handeln geht nicht ohne Veränderung. Wir halten unser neues Tragetaschenkonzept aber für so gut, dass ich davon ausgehe, dass es von allen Einzelhändlern mitgetragen wird.

Wie sieht das neue Konzept aus?

Wir führen jetzt nur noch eine zertifizierte Plastiktüte mit dem blauen Engel für 20 Cent, eine Papiertüte für 15 Cent, einen Stoffbeutel für 1 Euro und die Edeka-Permanenttragetasche für 1 Euro. Außerdem forcieren wir den Absatz von nachhaltigen Einkaufshilfen wie Klappboxen oder unseren Edeka-Transportkarton, weil wir unseren Beitrag leisten wollen, dass der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch von 76 Plastiktüten in Deutschland reduziert wird. Ursprünglich hatten wir überlegt, komplett auf Plastiktüten zu verzichten, aber dazu ist der Einzelhandel noch nicht bereit. Auch hier haben wir jedoch schon einige Beispiele bzw. selbstständige Einzelhändler, die einen Ausstieg planen oder bereits jetzt komplett auf Plastiktüten verzichten. In einigen Märkten setzen wir darüber hinaus z. B. in der Obst- und Gemüse-Abteilung neben den Knotenbeuteln zusätzlich noch Papiertüten ein.

Geben Sie den Mitarbeitern eine Art Argumentationshilfe an die Hand, wie sie den Kunden erklären können, dass es die billige Tüte nicht mehr gibt?

Das ist eine gute Idee, aber wir haben es anders gelöst. Wir begleiten die Umstellung mit Kommunikation am PoS. Am Kassentisch erklärt das z. B. der Slogan ,Wir tragen Verantwortung, und Sie haben die Wahl’. So kommen wir nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, nehmen aber gleichzeitig die Kunden mehr in die Verantwortung zu entscheiden, welche Tragetasche die richtige ist.


Experimentieren Sie auch mit biologisch abbaubaren Tüten?

Nein, das haben wir nicht gemacht. Wir machen einen Schritt nach dem anderen und haben uns erst mal auf die Entwicklung der sogenannten Umwelttüte konzentriert: eine recycelte Tüte mit dem blauen Engel, die zu 80 Prozent aus Altkunststoff besteht.

Sie arbeiten auch eng mit der Umweltorganisation WWF zusammen. Wie läuft die Partnerschaft?

Die Edeka ist seit 2012 strategischer Partner des World Wide Fund for Nature (WWF) – und das mit großem Erfolg. Gemeinsam mit dem WWF schützen wir Umwelt und Ressourcen und bewahren diese für kommende Generationen. Wir möchten damit auch unsere Kunden täglich aufs Neue für diesen Weg begeistern, zum Beispiel mit einer großen Auswahl an umweltverträglich hergestellten Produkten. Edeka stellt heute rund 300 Artikel der Edeka-Eigenmarke, die mit dem WWF-Panda gebrandet sind, zur Verfügung. Viele sind echte Renner geworden. Für uns ist das eine Erfolgsgeschichte – auch, weil es ein Alleinstellungsmerkmal für Edeka ist.

Aber Netto verkauft doch die WWF-Produkte jetzt auch.

Ja, aber Netto ist mittlerweile eine vollwertige Schwester innerhalb der Edeka-Gruppe und keine Stiefschwester. Auch unsere Formate ,Nah und gut‘ und NP firmieren nicht unter Edeka, sind aber Bestandteile des Edeka-Verbundes und führen deshalb ebenfalls die WWF-gebrandeten Produkte.

Was sind Ihre Ziele in Bezug auf die WWF-Artikel?

Unsere Aufgabe sehen wir darin, die Distributionsquote von ca. 70 Prozent für die WWF-gebrandeten Artikel zu erhöhen. Auf unserer monatlichen Einzelhandelsinformationsveranstaltung haben wir die selbstständigen Händler gerade erst dafür sensibilisiert, diese Artikel dort zu listen, wo das noch nicht der Fall ist.

Wie ist der Umsatzanteil dieser WWF-gebrandeten Artikel?

Teilweise gigantisch. Unser Vorzeigeprojekt sind die Fischartikel aus nachhaltiger Fischerei. Inzwischen trägt mehr als die Hälfte des von uns vermarkteten Wildfisches das MSC-Siegel. Bei unseren Eigenmarken sind es sogar 75 Prozent. Insgesamt führen wir aktuell 448 Artikel und 42 Eigenmarken-Artikel, die das MSC-Siegel und das WWF-Logo tragen. Die WWF-gebrandeten Tiefkühlfisch-Artikel haben z. B. einen Umsatzanteil von rund 40 Prozent am Tiefkühlfisch insgesamt. Und Umsatz- und Absatzzahlen sind immer ein gutes Argument, um die Einzelhändler von einer Listung zu überzeugen.


Wie entwickeln sich Ihre Fleisch-Artikel, die das Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes tragen?

Seit einiger Zeit führen wir ein gutes Dutzend SB-Frischfleisch-Artikel, die das Ein-Stern-Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes, also die Einstiegsstufe, tragen. Seit Kurzem haben wir auch Wurst-artikel mit dem Ein-Stern-Label. Jetzt sind wir noch eine Stufe weiter gegangen, um unsere Bio-Schweinefleisch-Eigenmarke Bio Janssen weiterzuentwickeln. Zehn SB-Frischfleisch-Artikel von Bio Janssen erreichen die Premiumstufe, das Zwei-Sterne-Tierschutzlabel. Damit haben wir im deutschen Markt eine Alleinstellung, und es läuft auch sehr erfolgreich. Aktuell führen rund 600 Märkte diese Premium-Produkte. Und es könnten noch mehr sein. Allerdings reicht die Menge, die wir derzeit zur Verfügung haben, nicht aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Die Verbraucher reagieren aber verständnisvoll, wenn man ihnen erklärt, dass wir gerade nicht mehr Bio-Fleisch liefern konnten. Wir wollen das Segment auf jeden Fall weiter ausbauen.

Wie viel teurer sind die Bio-Janssen-Produkte der Premiumstufe?

Sie kosten rund 30 bis 60 Prozent mehr als konventionelle Produkte und sind nur geringfügig teurer als Bio-Fleisch ohne Tierschutzlabel. Bei uns bekommt der Kunde aber kein anderes SB-Bio-Fleisch mehr, weil wir glauben, dass der Bio-affine Kunde automatisch auch das Tierschutzlabel gut findet.

Wird es diese Bio-Janssen-Produkte der Premiumstufe auch in den Frischetheken geben?

Ja. Derzeit haben wir in rund zehn Märkten den Thekenabschnitt aufmerksamkeitsstark in grün als Bio-Bereich gekennzeichnet und führen dort bereits frisches Bio-Fleisch. Testweise wollen wir dort in absehbarer Zeit auch Bio-Janssen-Produkte als lose Ware führen.

Ist für Sie die Zunahme vegetarischer und veganer Produkte auch ein Schritt zu mehr Nachhaltigkeit?

Das sind klare Trendsortimente, die wir unseren Kunden anbieten. Meiner Ansicht nach ist aber ein geprüfter WWF-gebrandeter Edeka-Artikel nachhaltiger als mancher Veggie-Burger.

Wie hat sich der Umsatz der Backsparte seit der Umstrukturierung entwickelt?

Per Juli 2015 haben wir auf vergleichbarer Fläche bei Backwaren in Bedienung insgesamt ein Plus von 4,4 Prozent erreicht, im Einzelhandel ein Zuwachs von 6,8 Prozent. Das ist eine tolle Entwicklung und zeigt, dass unser neues Geschäftsmodell, den Vertrieb von Backwaren in den Einzelhandel zu integrieren, gut funktioniert. Von insgesamt 793 Filialen wurden Ende 2014 bereits 372 in Regie- sowie selbstständigen Einzelhandel geführt. Zudem haben wir 34 Partner, die 110 Shops führen. Dazu werden in diesem Jahr noch fünf Partner dazukommen, die weitere 20 Shops aus unserer Regiegesellschaft übernehmen.


Wie erklären Sie sich den Erfolg des neuen Modells?

Die Einzelhändler fordern von unserer Schäfer’s Produktion jetzt genauso Veränderungen und Produktinnovationen ein, wie sie es schon immer im Fleischbereich mit Bauerngut getan haben. Es entsteht nun ein ganz anderer Druck. Es ist etwas anderes, ob der Vertrieb innerhalb des Produktionsbetriebs etwas fordert, oder ob ein Einzelhändler sagt, dass er Backwaren zu seiner Profilspitze entwickeln will. Der Einzelhändler investiert noch stärker in Mitarbeiter, Warenpräsenz, verbessert seine Abläufe, aber er hat auch Erwartungen an den Produktionsbetrieb. Da entsteht Dynamik, und wir werden besser – und damit auch die Produkte. Mein Lieblingsbeispiel ist unsere Erdbeerschnitte, die stark in der Kritik stand, weil sie mit viel Gelatine hergestellt wurde. Die Produktion wurde umgestellt, und sie findet reißenden Absatz. Die Einzelhändler erhöhen die Attraktivität ihres Standortes zudem häufig durch Gastronomieangebote, was früher bei Schäfer’s mit 850 Fi lialen nicht der Fall war. Snackartikel werden seither stärker nachgefragt. Gerade in diesem Bereich haben wir noch echte Wachstumschancen und werden zur echten Alternative zu den gängigen Fast-Food-Anbietern.

Was ist im Snackbereich Ihre Stärke?

Die Qualität wird immer besser, und unser Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Während wir beim Volumen zulegen, kommen viele Fast-Food-Ketten von ihrem schlechten Image nicht weg.

Haben Sie ein eigenes Gastronomie-Konzept für Ihre Einzelhändler entwickelt?

Wir sind gerade dabei, verschiedene Gastronomie-Bausteine für die unterschiedlichen Formate zu entwickeln. Ich halte das Thema für strategisch so spannend, dass ich mich persönlich im Projekt engagiere. Wir haben für den Bereich Gastronomie einen verantwortlichen Manager im Vertrieb benannt, das gab es vorher nicht. Bei der Entwicklung profitieren wir auch von der Expertise unserer Profi-Tochter Mios C+C. Die Mios-Experten beraten nämlich im Rahmen ihres Dienstleistungspakets ,Gastro-Future’ auch Gastronomen, und auf dieses Know-how greifen wir zurück. Auch die Logistik beschäftigt uns. Es ist eine echte Herausforderung, die richtigen Mengen zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu haben. Wir prüfen derzeit, ob Mios C+C neben den Gastronomen auch unsere Händler mit Spezialsortimenten beliefern kann.

Sehen Sie Ihre Snack- und Gastro-Angebote auch als Abgrenzungschance zum Discount?

Wir wollen die Backwarenabteilung unter dem Aspekt ,Mehr Genuss’ noch besser erlebbar machen. Das ist eine echte Differenzierung zum Discount, denn in anderen Warenbereichen wird der Abstand immer geringer. Wir müssen eben immer etwas mehr machen als der Discount.

Viel Dynamik sieht Mark Rosenkranz in der Backsparte. Derzeit entwickelt die Edeka Minden-Hannover ein eigenes Gastronomie-Konzept und nutzt dafür auch das Know-how der Experten der Profi-Tochter Mios C+C. „Wir prüfen zudem, ob Mios C+C unsere Händler mit Spezialsortimenten beliefern kann“, sagt Rosenkranz.

Das neue Tragetaschenkonzept wird am Kassentisch von dem Slogan ,Wir tragen Verantwortung, und Sie haben die Wahl’ begleitet. So sollen die Kunden mehr in die Verantwortung genommen werden.

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Bild öffnen Viel Dynamik sieht Mark Rosenkranz in der Backsparte. Derzeit entwickelt die Edeka MindenHannover ein eigenes Gastronomie-Konzept und nutzt dafür auch das Know-how der Experten der Profi-Tochter Mios C+C.
Bild öffnen „Wir prüfen zudem, ob Mios C+C unsere Händler mit Spezialsortimentenbeliefern kann“, sagt Rosenkranz.
Bild öffnen „Meiner Ansicht nach ist ein geprüfter WWF-gebrandeter [...]
Bild öffnen [...] Edeka-Artikel nachhaltiger als mancher Veggie-Burger.“ (Quellen: Strojny, Edeka Minden)