Theorie und Praxis liegen häufig weiter auseinander, als sie sollten. Zwar gibt es mit der EG Verordnung (852/2004) sowie dem sogenannten Infektionsschutzgesetz eine detaillierte gesetzliche Grundlage für die Hygiene in Verkaufsstätten. Im Alltag ist der Umgang mit frischen Lebensmitteln an den Bedientheken im Lebensmittel-Einzelhandel dennoch nicht immer optimal. Fachberater Manfred Müller ist als Fleischermeister und Dipl.-Käsesommelier Experte im Umgang mit frischer Ware. Für die LEBENSMITTEL PRAXIS hat er seine wichtigsten Beobachtungen zusammengefasst.
„Was ich vermisse, ist das Händewaschen. Dies sollte nach jedem Verlassen der Bedienungstheke erfolgen. Ob der Mitarbeiter nur kurz im Büro war oder auf Toilette, denn für den Kunden ist es nicht ersichtlich, woher der Mitarbeiter kommt“, sagt Müller. Auch die Begrüßung mit Handschlag, über die Bedienungstheke hinweg, sei unter Hygieneaspekten problematisch. Bevor ein Kunde bedient wird, müssen die Hände gewaschen werden.
Viele Händler versuchen dieses Problem mit Handschuhen zu umgehen. Allerdings ist der Gebrauch alles andere als unumstritten. „Der Handschuh bringt den gewünschten Erfolg nur, wenn er nach jedem Bedienvorgang gewechselt wird. Dieses ist jedoch selten der Fall, was auch persönliche Beobachtungen zeigen. Wenn man sie nicht richtig anwendet, ist es sogar gefährlicher, Einmalhandschuhe zu tragen, als sie wegzulassen“, sagt Müller. Mittlerweile setzt sich im Handel langsam die Auffassung durch, dass das Tragen von Handschuhen gegenüber sachgemäß gereinigten Händen keine Vorteile für die Hygiene bringt. Im Gegenteil, für die Gesundheit der Haut, das zeigen Studien der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, ist das Tragen von Handschuhen sogar nachteilig. Der Weg zurück zum Bedienen ohne Handschuh ist laut Müller aber beschwerlich, auch weil dem Konsumenten jahrelang eingetrichtert wurde, dass ein Handschuh hygienisch ist.
Große Vorsicht ist beim Schneiden von Käse geboten, denn hier gilt es, mögliche Kreuzkontaminationen zu vermeiden. Um das zu erleichtern, gibt es heute Messer mit verschiedenfarbigen Griffen. Diese lassen sich den einzelnen Käsen leicht zuordnen. Ein Problem für Allergiker tut sich mit den Käsen auf, welche mit Kräutern, Heu oder dergleichen ummantelt sind. „Diese haben ein zum Teil hohes allergenes Potenzial, welchem durch besondere Arbeitsanweisungen bezüglich des Umgangs und der Reinigung der Schneidwerkzeuge, die damit in Berührung gekommen sind, Rechnung getragen werden sollte“, erklärt Müller. Auch bei den Brettern gibt es einiges unter Hygiene-Aspekten zu beachten. Müller favorisiert Kunststoff-Bretter. Das Reinigen sollte mindestens zweimal täglich erfolgen. Dabei reiche es aber nicht, die Bretter nur abzuwischen. Sinnvollerweise sind alle Arbeitsbretter doppelt vorhanden, sodass diese nach der Reinigung richtig gelagert werden und noch abtrocknen können.
Schmeckmuster sind ein weiteres Thema. Diese sollten so präsentiert und gereicht werden, dass eine gesundheitliche Benachteiligung für den Kunden ausgeschlossen werden kann. So sollte direkter physischer Kontakt zwischen Kunde und Verkäufer beziehungsweise Kunde und dem entsprechendem Werkzeug vermieden werden. „Sinnvollerweise werden Schmeckmuster persönlich überreicht. Am besten auf einem Zahnstocher, und dem Kunden auf einem Schälchen serviert. Das hört sich aufwendig an, ist in der Umsetzung jedoch einfach“, sagt Müller. Sollte das Schmeckmuster auf der Theke zur Selbstbedienung angeboten werden, ist ein Spuckschutz unumgänglich.
Eigenproduktionen sind bei den Händlern beliebt, da sie die Chance auf eine attraktive Marge bieten. Allerdings können im Markt selbst hergestellte Lebensmittel eine große Schwachstelle unter hygienischen Aspekten sein. „Diese Eigenproduktionen sollen und dürfen keine Resteverwertung sein“, erklärt Müller. Im Gegenteil, sie müssten qualitativ und auch hygienisch sowie bakteriologisch höchsten Ansprüchen genügen. Die Herstellung selbst erfordere höchste Konzentration und müsse durchdacht sein. Ein Mitarbeiter, der eine Eigenproduktion nebenbei machen soll, muss auch die Zeit dafür haben. „Es wirkt sich problematisch auf die Eigenproduktion aus, wenn von der ersten Zutat bis zum fertigen Produkt ein riesiges Zeitfenster benötigt wird, bedingt durch Arbeitsunterbrechungen, beispielsweise durch Bedienen oder Warenannahme “, sagt Müller.