Round-Table Spirituosen-Hersteller Kreative Partner

Die LP diskutierte mit Spirituosen-Herstellern über die Präsentation ihrer Waren im deutschen Handel.

Dienstag, 30. November 1999 - Hersteller
Reiner Mihr

Während viele Händler ihre Weinabteilung durch kreative Erlebniswelten aufwerten, wird die Kategorie der Spirituosen häufig noch eher stiefmütterlich behandelt. Dabei stellen Spirituosen für den Händler eine attraktive Warengruppe dar. Und: Es gibt interessante Geschichten zu erzählen

.Die Präsentation von Spirituosen im deutschen LEH ist meist wenig attraktiv. Welche Ansprüche haben Sie hier an den Handel?
William Verpoorten: Ich vermisse bei unseren Handelspartnern manchmal die Ideen. Man sollte dem Verbraucher Lust machen auf unsere Produkte, es müssen kreative Anreize geschaffen werden. Ich bewerbe meine Marke beispielsweise indem ich dem Verbraucher zeige, was er damit alles machen kann: fruchtige Longdrinks mixen oder einen Coffee-Cocktail ausprobieren.

Dr. Thomas Koy: Ich finde, dass die „Erlebniswelt Spirituosen“ noch zu selten über den Flaschenkauf hinweg generiert wird. Wir haben z. B. ein Aroma-Set für einen schottischen Whiskeyhersteller produziert, das alle 12 enthaltenen Gerüche beinhaltet, das schafft Mehrwert und ist dazu noch mehr als der bei uns immer so propagierte Eyecatcher. Ich halte auch Produktschulungen im Handel für wichtig, gerade was die regionalen Spezialitäten betrifft. Es gibt dafür gute und weniger gute Beispiele: Im bayerischen Wald beispielsweise haben die Leute wenig bis keine Ahnung von Korn. Im Norden kommt es aber sicher häufiger vor, dass die Leute wissen, was Blutwurz ist. Um die Diversifikation der deutschen Spirituosenindustrie zu verdeutlichen braucht, es den Handel.

Stichwort Erlebniswelt. Werden solche Konzepte vom Handel ausreichend gewürdigt?
Verpoorten: Alles in allem kann ich für unsere „gelbe Welt“ nicht sagen, dass Spirituosen vom Handel nicht ausreichend anerkannt würden. Allerdings findet man in der Weinabteilung wesentlich mehr Erlebniswelten. Ich versuche, dem Händler zu vermitteln: Du hast die Chance, deinen Kassenbon aufzubessern, wenn du unsere Ware themenbezogen zur jeweiligen Jahreszeit darstellst. Man muss den Käufer von Spirituosen an sich binden, denn er ist in der Regel kein Schnäppchenjäger. Manchmal kriege ich aber das Grausen, wenn ich zu einer Aktion Belegfotos aus den Märkten bekomme. Da prangt beispielsweise mittig auf der 4-Farb-Frontseite unseres Displays gedankenlos ein riesengroßes Aktionspreisschild in schwarz-weiß „Aktion Eierlikör Euro ...“ und relativiert die ursprünglich positive Anmutung deutlich. Weniger ist auch hier manchmal mehr. Kann heißen, ein kleineres Preisschild am vorderen oberen Rand täte es auch, und die Wertigkeit der Zweiplatzierung bleibt gewahrt.

Dr. Koy: Für uns als Hersteller kreativer und individueller Verpackungen aus Holz stellt sich immer die Frage: Erlaubt es uns der Handel, dieses Kulturgut zu inszenieren? In Deutschland sehe ich noch Defizite. Zwei Beispiele: Für einen französischen Hersteller fertigen wir original Marktkarren, für einen Schweizer Kunden geflammte Regale. Solche außergewöhnlichen Ideen werden im Ausland besser angenommen.

Thomas Ernst: Da haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht. Eine Aktion mit Grünkohl und Oldesloer Kümmel geht gerade noch, aber aufwendige Aufbauten sieht man kaum in den Märkten.


Ganz allgemein: Welche Bedeutung haben denn Spirituosen für den deutschen Lebensmittel-Einzelhandel?
Angelika Wiesgen-Pick: Spirituosen sind eine der umsatzstarken Warengruppen im LEH und behaupten sich weiterhin unter den „Top 10“ der Marken-Umsatzträger des Handels – gemäß aktuellen Ergebnissen der Marktforschungsinstitute. Die Distribution von Spirituosen erfolgt zu mehr als 80 Prozent über den klassischen Einzelhandel sowie den Discount. Insofern spielen diese Vertriebsschienen eine wichtige Rolle für die Spirituosen-Industrie. Für den Handel gilt das ebenso: Spirituosen sind eine wertschöpfende und leicht zu „handelnde“ Warengruppe, insbesondere da die Produkte auch nicht nach Mindesthaltbarkeitskriterien zu analysieren sind, ist der Handling-Aufwand gering. Mit rund 20 Prozent mengenmäßig lassen sich rund 46 Prozent umsatzmäßig im LEH Erlöse erzielen – bezogen auf den Gesamtbereich von Spirituosen, Wein und Sekt.

Jan Rock: Für den Händler kommt positiv hinzu, dass das Spirituosen-Segment von starken Marken geprägt ist, die mit oft hohen Werbeaufwendungen den Verkauf maßgeblich unterstützen.

Ein wichtiges Thema bei dieser Warengruppe ist der Diebstahl. Die Antwort des Handels darauf bisher sind geschlossene Glasvitrinen. Technische Lösungen wie RFID stecken noch in den Kinderschuhen. Wie bewerten Sie diese Maßnahmen?
Rock: Über die Glasvitrinen kann man sich einerseits ärgern, da den Kunden der Einkauf erschwert wird. Andererseits unterstreicht der Handel damit ja die Wertigkeit dieser besonderen Marken.

Wiesgen-Pick: Gemäß den Analysen des EHI Retail Institutes zu Inventurdifferenzen 2010 werden mehr als 20 Prozent Inventurdifferenz durch Mitarbeiter, rund 9 Prozent über Lieferanten und Servicekräfte und rund 16 Prozent über sonstige Organisationen verübt. Wichtig ist, dass die richtigen Lösungen für die jeweiligen Produkte gefunden werden. Der Einsatz des RFID-Labels in der Spirituosenwelt ist derzeit zu früh, da die Technik hier noch nicht umfassend ausgereift ist. Insofern ist die Entscheidung des Handels, das Thema für Spirituosen zurückzustellen, richtig.

Regionalität ist derzeit ein dominierendes Thema der Branche. Gilt das auch für Spirituosen?
Ernst: Wir als regionaler Hersteller können sagen, dass wir es mit treuen Käufern zu tun haben. Hier in Schleswig-Holstein gibt es eine starke regionale Bindung und Korn oder auch Kümmel werden als „flüssiges Kulturgut“ angesehen.

Allerdings gehören Korn wie auch Branntwein zu jenen Spirituosen-Sorten, die im Markt rückläufig sind. Verlieren Sie Ihre klassischen Konsumenten?
Ernst: Diese Befürchtung habe ich nicht. Wie gesagt, Korn ist ein regional verankertes Produkt und wird generationenübergreifend geschätzt.

Rock: Die Verwender werden qua zunehmendem Alter zu klassischen Verwendern. Daher haben wir auch weder als Hersteller noch als Verband den Anspruch, krampfhaft jüngere Verbraucher an unsere Produkte heranzuführen. Das ist auch nicht unsere Zielgruppe. Wir wissen, dass die Verwender mit dem Alter in die jeweiligen Genuss-Kategorien „hineinwachsen“. Das braucht einfach seine Zeit. Whisky ist kein klassisches Jugendgetränk. Das gilt auch für Marken wie etwa Pott Rum oder Jacobi V.S.O.P., mit denen wir kaum in erster Linie die 25-Jährigen im Fokus haben.

Wiesgen-Pick: „Jugendlicher“ ist generell in diesem Zusammenhang der falsche Begriff. Die Hauptzielgruppe der Spirituosen-Industrie liegt bei 49 plus.

Beim sensiblen Thema Jugendschutz tritt auch der BSI auf den Plan. Welche Bilanz können Sie zu den zahlreichen Projekten des Verbandes bis jetzt ziehen?
Wiesgen-Pick: Mit der 2005 ins Leben gerufenen Eltern-Präventationsinitiative „Klartext reden!“ des „Arbeitskreises Alkohol und Verantwortung“ des BSI sind über das Internet bereits mehr als 10.000 Eltern und mit Workshops mehr als 5.000 Eltern erreicht worden. Bis zum Jahresende wird der „Arbeitskreis Alkohol und Verantwortung“ rund 1 Million Broschüren („Verantwortung von Anfang an!“) zum Thema alkoholhaltige Getränke während der Stillzeit und Schwangerschaft in gynäkologischen Praxen und bei Hebammen verteilt haben. Die Präventionsinitiative „Schulungsinitiative Jugendschutz“ („SchuJu“) motiviert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gastronomie, Handel und Tankstellen seit 2007 für die praktische Umsetzung des Jugendschutzgesetzes. Die Mitglieder des BSI erwarten bis Jahresende, dass rund 100.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter registriert, zertifiziert und geschult sein werden. Allerdings reicht uns das nicht, daher die klare Aufforderung an d en Handel weiter und aktiv bei der „Schulungsinitiative Jugendschutz“ mitzumachen, denn Projekte wie „SchuJu“ leben von der umfassenden Kooperation.