Erfahrungsbericht Bauernhof Mit allen Sinnen

Donnerstag, 17. November 2011 - Management
Sonja Plachetta
Artikelbild Mit allen Sinnen
Fühlen: Wolfgang Christ gibt sich die Antwort auf seine Frage selbst. Er probiert aus, ob die Schweineschnauze kalt oder warm, feucht oder trocken ist.
Bildquelle: Plachetta

Wie wird das Vertrauen in Lebensmittel gestärkt? Eigenes Erleben kann helfen. Der Verein Erfahrungsfeld Bauernhof bringt Landwirte und Verbraucher zusammen.

Die Schweine grunzen, begierig stecken sie die Schnauzen zwischen den Stäben ihres Stalls hindurch. Wolfgang Christ geht näher heran, um eins der Tiere zu berühren. Seine Neugier treibt ihn: Wie fühlt sich eine Schweineschnauze an? Kaum hat er sich selbst durch Ertasten diese eine Frage beantwortet, stellt er schon die nächste: „Was fressen die Schweine?“ Reiner Freund weiß das genau. Er ist Inhaber des Hofes Ramshardt in Rohnstadt bei Weilmünster, den einige Landwirte und andere Wissbegierige gerade in einem etwa eineinhalbstündigen Rundgang entdecken. Doch Reiner Freund ist dieses Mal nicht der Führer. Er ist zum Lernen hier – genauso wie die anderen ist er Teilnehmer eines viertägigen Kurses, den der gemeinnützige Verein Erfahrungsfeld Bauernhof (EFB) anbietet. Der hat das Ziel, die Begegnung zwischen Menschen und Landwirten, oder anders gesagt, den Dialog zwischen Verbrauchern und Lebensmittelerzeugern zu stärken. In dem Kurs werden Interessie rte zu EFB-Begleitern ausgebildet. Sie lernen, Gruppen als neutrale Moderatoren über einen Hof zu führen und den Fokus weniger auf Wissensvermittlung als vielmehr auf das Wahrnehmen der Umgebung mit allen Sinnen zu legen. „Der Kurs soll befähigen, Dinge anders zu machen, als man sie bisher aus Gewohnheit gemacht hat“, sagt der EFB-Vorsitzende Olaf Keser-Wagner.

Der Diplom-Agraringenieur macht anhand von Wolfgang Christs Frage vor, wie ein EFB-Begleiter darauf reagieren kann. Er führt die Teilnehmer zum Futtertrog und bittet sie, das Getreide in die Hand zu nehmen und zu fühlen, daran zu riechen und schließlich, es zu probieren. Er begleitet die Erfahrungen mit Fragen wie „Welche Farbe würdet ihr dem Geruch geben?“. Dadurch wird das Erlebnis intensiver, als wenn die Gruppe nur gesagt bekäme, dass die Schweine eine Mischung aus Weizen, Gerste, Soja und Mineralfutter mit Kräutern fressen.

Die Ausbildung zum EFB-Begleiter mit initiiert hat Claudia Klebach, Rewe-Händlerin aus dem hessischen Mengerskirchen. Sie beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit der Frage, wie die Landwirtschaft zu retten ist in einer Welt, in der für immer mehr Menschen immer mehr Lebensmittel gebraucht werden. „Viele Händler haben lange nur über den Preis geworben“, sagt sie. Doch wo nur der Preis regiere, gerate die Qualität schnell in den Hintergrund. Früher hat Claudia Klebach mit Kundenabenden, zum Beispiel Kochabenden mit Landwirten, versucht herauszufinden, nach welchen Kriterien Verbraucher ihre Kaufentscheidung treffen. „Was wirkt, ist die persönliche Beziehung zum Landwirt“, hat sie festgestellt. So entstand 2008 die Idee, Begegnungen direkt auf dem Bauernhof zu ermöglichen. In das Projekt hat sie auch ihre Auszubildenden eingebunden. Die Kauffrau ist überzeugt: „Durch die Führungen entsteht eine ganz andere Akzeptanz. Die Transparenz vom Feld bis au f den Teller erhöht das Vertrauen.“ Die Menschen bekommen einen neutralen Einblick und können hinterher bewusster wählen, was sie essen möchten. Das mache ihre Entscheidung unabhängiger vom Preis. In Klebachs Markt greifen die Verbraucher seit der Existenz der EFB-Führungen zum Beispiel deutlich häufiger als früher zu Land-Markt- und regionalen Produkten.

Für Menschen von 3 bis 103

Die Zahl der EFB-Begleiter wächst stetig. Mehr als 40 Menschen haben bundesweit die Ausbildung bereits absolviert, darunter viele Lehrer. „Unser Wunsch wäre, dass jeder Schüler im Laufe der Schulzeit drei Höfe mit unterschiedlichen Haltungsbedingungen kennenlernt und sich dann selbst eine Meinung bildet“, sagt Claudia Klebach. Bis es so weit ist, dauert es allerdings noch. Bisher machen mehr als 20 Bauernhöfe bei dem Projekt mit, Tendenz steigend. Geeignet sind die Rundgänge laut EFB-Broschüre für „Menschen von 3 bis 103“. Auch für Unternehmen, die den Zusammenhalt von Teams stärken wollen, ist das Angebot interessant.

Die Führer stehen jedes Mal aufs Neue vor einer Herausforderung. Sie müssen die Stimmung der Teilnehmer erspüren, Brücken bauen zwischen den einzelnen Interessen und sich intuitiv den Hof erschließen, den sie zum Teil selbst nicht kennen. Denn auch Landwirte, die nicht EFB-Mitglieder sind, können einen EFB-Begleiter für eine Führung auf ihrem Gelände buchen. Damit eine solche Tour ein Erfolg wird, ist besonders auf die „Entwartung“ zu achten, erklärt Olaf Keser-Wagner den angehenden EFB-Begleitern: „Wir wollen, dass die Teilnehmer ihre Erwartungshaltung überwinden.“ Dazu sollten die Führer Fragen nicht gleich konkret beantworten. Hilfreicher sei es, wertfreie Gegenfragen zu stellen, damit der wissbegierige Teilnehmer sich selbst darüber bewusst wird, welche Wahrnehmung oder Meinung hinter seiner Frage steht. Am Ende gewinnen bei den EFB-Führungen alle, ist sich Claudia Klebach sicher: die Verbraucher, die mündigere Kaufentscheidungen treffen können, und die Landwirte, deren Leistung aus der Anonymität geholt und stärker wertgeschätzt wird.

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Der nächste Ausbildungsgang ist in Wiesbaden am 8./9. März und 22./23. März 2012, Anfragen auf der Homepage unter Kontakt.
www.erfahrungsfeld-bauernhof.org

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Befreiend: Beim spontanen Holzwurfspiel werden Erwachsene wieder zu Kindern.
Bild öffnen Fühlen: Wolfgang Christ gibt sich die Antwort auf seine Frage selbst. Er probiert aus, ob die Schweineschnauze kalt oder warm, feucht oder trocken ist.
Bild öffnen Hören: Die Gruppe lacht auf, als endlich klar ist, woher das Tropfen stammt, das vorher nicht zu lokalisieren war.
Bild öffnen Riechen: Was ist wohl drin im Schweinefutter?
Bild öffnen Balance halten: Die Gruppe beisammen zu halten, ist nicht einfach. Die erfahrenen Führer Olaf Keser-Wagner und Claudia Klebach schaffen es aber.

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