Verkehrte Welt“, platzt es aus einem Kaufmann heraus, der in Jahrzehnten noch nie solche Kosten hatte. Der erfahrene Händler kämpft nicht nur mit Energiekosten in ungeahnten Höhen, auch die galoppierende Inflation trifft ihn. Er spürt Kaufzurückhaltung, die Verschiebung von Marken zu Handelsmarken, von Bio zu konventionell, aber vor allem die inflationsindexierte Miete. Sie war jahrzehntelang die Lieblingsmietart im Einzelhandel, noch heute ist sie laut EHI Retail Institute am weitesten verbreitet. Mit steigender Inflation, 10 Prozent aktuell – perspektivisch rechnen Ökonomen wie Werner Sinn für 2023 eher mit 15 Prozent – zeigen die Zahlen Wohlstandsverlust an. Die Werterhaltungsklausel wird für die Mieter zum Kostentreiber. In gewerblichen Mietverträgen, insbesondere von Center-Betreibern und institutionellen Eigentümern, ist sie Standard und beschäftigt deshalb momentan die Lidl-Zentrale genauso wie die Edeka Minden-Hannover und auch Kaufleute.
Lösungsansatz: Laufzeitverlängerung
Wohl dem, der einen guten Draht zu seinem Vermieter hat. Denn Möglichkeiten, die höheren Kosten zu umgehen, gibt es quasi nicht. In vielen Fällen können aber durch vorzeitige Laufzeitverlängerungen die Mietsteigerungen abgefedert werden, berichtet Hans Sander, Handelsexperte der Helaba. Das bestätigt dm-Geschäftsführer Markus Trojansky, der das Ressort Expansion verantwortet: „Wir gehen mit Indexforderungen bewusst nüchtern um. Sie sind unbestritten ein legitimer Bestandteil des Mietvertrags.“ Entscheidend für die Akzeptanz einer Index-Erhöhung sei, ob im Gegenzug auch die Vertragsleistungen des Vermieters in vollem Umfang erbracht werden. „Unsere Akquisiteure sind mit den Vermietern im Austausch und arbeiten daran, gemeinsam gute Lösungen zu finden. Durch eine Neujustierung der Mietvertragslaufzeit kann häufig ein Aussetzen von Index-Erhöhungen erreicht werden“, berichtet Trojansky.
Auf partnerschaftliche Lösungen mit den Vermietern setzt auch Kodi. „Aufgrund des massiven Anstiegs des Verbraucherpreisindexes und der hohen Inflationsrate seit Sommer 2022 sind bereits nahezu alle vertraglich vereinbarten Index-Schwellen in unseren Mietverträgen überschritten“, berichtet Geschäftsführer Matthias Schob. Ein plötzlicher und schneller Anstieg der Netto-Mietbelastung sowie die hohen Energiekosten hatten eine massive Steigerung der Gesamtmietkosten zur Folge. In den letzten 20 Jahren hat sich faktisch der Verbraucherpreisindex kumuliert nur unwesentlich verändert, weshalb die Index-Schwelle selten überschritten wurde. Jetzt ist das anders. In vielen deutschen Innenstädten ist die Leerstandsquote hoch. Grund dafür seien auch die hohen Mietbelastungen, so Schob. Kodi geht auf seine Vermieter zu, bittet zudem um Unterstützung bei Politik und Verbänden. Schob: „Nur gemeinsam können wir die multiplen Krisen bewältigen und dem Aussterben der Innenstädte entgegenwirken.“
Lösungsansatz: Staffelmieten
„Bei Neuverträgen werden derzeit die Indexklauseln intensiv verhandelt“, so Dirk Wichner, Head of Retail Leasing JLL Germany, dem größten Gewerbeimmobilien-Makler in Deutschland. „Dabei will der Vermieter so schnell wie möglich die Miete anpassen, während der Mieter über diese Steigerungen die Kontrolle behalten möchte. Deshalb einigt man sich derzeit häufig auf Staffelmieten.“
Die Edeka Südwest meint es gut mit ihren Kaufleuten und schluckt für sie die Kosten, jedenfalls da, wo die Vermieter auf Vertragstreue bestehen und nicht oder nur eingeschränkt mit sich reden lassen. Innerhalb der Genossenschaft seien die angezeigten Erhöhungen in dieser schwierigen Zeit ausgesetzt. „Das heißt im Klartext, wir sind momentan nicht betroffen“, freut sich ein Kaufmann. Von den rund 1.120 Geschäften, die zur Edeka Südwest gehören, befinden sich einige im Eigentum, die Mehrheit ist aber gemietet, viele von der Genossenschaft.
5 Fragen an
Dr. Christian Wiggers, Rechtsanwalt und Partner bei der Kanzlei Peters, Schönberger & Partner in München. Der Spezialist für Immobilien-Recht sprach beim Handelskongress zur Index-Miete.
Welche Handlungsmöglichkeiten sehen Sie für gewerbliche Index-Mietverträge? Was können Betroffene tun?
Dr. Christian Wiggers: Am einfachsten ist es, einvernehmliche Lösungen zu finden, etwa das Aussetzen der Anpassung, soweit es für den Mieter erforderlich und für den Vermieter wirtschaftlich vertretbar ist. Man kann auch den Mietvertrag ändern, durch einen schriftformkonformen Nachtrag. Und man kann eine Regelung für künftige Anpassungen vornehmen.
Welche Argumente können Mieter ins Feld führen?
Sie können sagen, dass Sinn und Zweck von Wertsicherungsklauseln die Wahrung des Äquivalenzverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ist. Steigt der in Bezug genommene Index wesentlich stärker als der Wert der vertraglichen Gegenleistung, kann eine Äquivalenzstörung vorliegen.
Was bedeutet das konkret?
Die Steigerungen des Verbraucherpreisindexes sind vor allem durch steigende Energiepreise verursacht, die aber in der Regel der Mieter selbst trägt. Sinn und Zweck der Indexierung ist es, das Verlustrisiko des Geldgläubigers zu vermindern, jedoch nicht, ihm eine zusätzliche Gewinnchance zu verschaffen.
Sehen Sie noch weitere Ansatzpunkte für Mieter?
Man kann versuchen, die Unwirksamkeit der Wertsicherungsklausel gemäß Paragraf 8 des Preisklauselgesetzes zu erreichen. Wirksam ist sie aber bis zum Zeitpunkt ihrer gerichtlich rechtskräftig festgestellten Unzulässigkeit. Bis dahin sind weitere Erhöhungen möglich und zu bezahlen.
Haben Sie noch einen letzten Tipp?
Ja, die bis dahin bezahlte Miete kann nicht zurückgefordert werden. Es sei denn, rückwirkende Unwirksamkeit ist vertraglich vereinbart. Also: Als Mieter darauf achten, dass Rückwirkung vereinbart wird.