Recruiting Personalmangel im LEH

Ob qualifizierte Arbeits- und Fachkräfte, Auszubildende oder dual Studierende – dem Lebensmitteleinzelhandel mangelt es an Personal.

Montag, 15. August 2022, 08:00 Uhr
Markus Heine und Wibke Niemeyer
Artikelbild Personalmangel im LEH
Bildquelle: Getty Images

Viele Branchen treibt seit Monaten dasselbe Problem um: Es fehlt an gutem Personal, in nahezu allen Bereichen. „Die Situation ist als dramatisch einzuschätzen, da deutlich mehr Stellen angeboten werden, als qualifizierte Bewerber vorhanden sind“, beschreibt Prof. Dr. Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn die Situation im Einzelhandel. „Dies wird vermutlich kurzfristig sogar eine Auswirkung auf die Öffnungszeiten haben, zunächst bei Bäckereien und Metzgern, dann aber auch im klassischen LEH.“

Die Gründe für den Personalmangel sind vielfältig. Der Handelsverband Deutschland (HDE) sieht wesentliche Ursachen im demografischen Wandel und im anhaltenden Trend zur Akademisierung. Dennoch hätte die Einzelhandelsbranche in den letzten Jahren stetig Beschäftigung aufbauen können. Zahlen der Bundesagentur für Arbeit bestätigen das. Nach einem leichten Rückgang in den Jahren 2019 bis 2021 ist die Zahl der gemeldeten Stellen 2022 erneut angestiegen – in einer Unterkategorie, zu der auch der LEH zählt, liegen sie um 37 Prozent über denen im Jahr 2019.

„Die Arbeitszeiten im Handel, verbunden mit langen Öffnungszeiten und Arbeit an Samstagen, schrecken viele Bewerber ab.“

Sascha De Rosa, Leiter Bereich Mitarbeiter bei Globus Markthallen

Zwar profitierte der Handel während der Corona-Pandemie auch von einer Abwanderung von Arbeitskräften aus der Gastronomie, das Mehr von 35.000 Mitarbeitern (Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft) im Verkauf reicht jedoch nicht aus, um den Personalmangel zu decken. Sascha De Rosa, Leiter Bereich Mitarbeiter bei Globus Markthallen, betont, dass die Herausforderungen in der Mitarbeitergewinnung schon seit Jahren groß seien und sich durch pandemiebedingte Veränderungen sogar verschärft hätten. „Die Arbeitszeiten im Handel, verbunden mit langen Öffnungszeiten und Arbeit an Samstagen, schrecken viele Bewerber ab. Die Menschen legen heute mehr Wert auf die Freizeitgestaltung, die mit einer Beschäftigung im Handel herausfordernder ist.“

Bessere Bezahlung

Auch Stephan Rüschen weist darauf hin, dass Händler im Vertrieb kein Homeoffice und nicht immer freie Wochenenden bieten können. „Daher sollten die Aufstiegschancen und auch das Gehalt herausgestellt werden“, empfiehlt er. „Das Gehalt ist gerade für junge Menschen sehr relevant für die Berufswahl. Erst später ist Verantwortung und Arbeitsplatzatmosphäre wichtiger für die Zufriedenheit. Das bedeutet aber auch, dass der Handel überdurchschnittliche Gehälter bezahlen muss – zumindest bei entsprechender Leistung.“

„Der Handel muss überdurchschnittliche Gehälter bezahlen.“

Prof. Dr. Stephan Rüschen, Duale Hochschule Baden-Württemberg 

Laut HDE sind die Tarifentgelte im Einzelhandel in den letzten fünf Jahren jährlich um durchschnittlich 2,3 Prozent, die tarifliche Ausbildungsvergütung um 4,5 Prozent gestiegen. Nach der vierteljährlichen Verdienst‧erhebung des Statistischen Bundesamtes seien die Effektiventgelte in der Branche (Einzelhandel, ohne Handel mit Kfz) in den Jahren von 2016 bis 2021 sogar um durchschnittlich 5 Prozent pro Jahr angewachsen, so der Verband.

Die Discounter Aldi und Lidl haben ihre Einstiegslöhne in den letzten Wochen auf mindestens 14 Euro erhöht, womit sie deutlich über dem Mindestlohn von künftig 12 Euro liegen. „Durch unseren intern festgelegten Mindesteinstiegslohn sowie eine freiwillige Lidl-Zulage stellen wir sicher, dass unsere Tarifmitarbeiter jederzeit übertariflich bezahlt werden“, teilt Lidl auf Anfrage mit. „Zusätzlich erhalten alle Tarifmitarbeiter Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie nach sechs Monaten Betriebszugehörigkeit eine jährliche Altersvorsorge bei Vollzeitbeschäftigung in Höhe von 300 Euro.“

Besonders dramatisch zeigt sich der Personalmangel bei den Auszubildenden. Laut HDE kann das Ausbildungsangebot nicht vollständig besetzt werden, was viele Einzelhändler vor große Herausforderungen stellt, da sie ihren Fachkräftebedarf decken müssen. Stephan Rüschen bestätigt die Problematik: „Im Vertrieb sehen wir, dass es für die Unternehmen immer schwieriger wird, junge Menschen für den Handel zu begeistern.“

Die Nachwuchssorgen spürt der Handel jedoch nicht nur bei den Auszubildenden, sondern auch bei den Bewerbern für duale Studiengänge. „Unsere dualen Handelsunternehmen würden das Doppelte an Studierenden einstellen, wenn sie genügend qualifizierte Bewerber hätten“, ist sich Rüschen sicher.

Um potenzielle junge Bewerber zu erreichen, setzt man im Handel vor allem auf den Social-Media-Bereich. Bei Globus ist man seit Beginn des Sommers sogar mit einem Globus-eigenen Song unterwegs. „Damit sprechen wir die Menschen auf eine junge, frische und moderne Art und Weise an und freuen uns über erste, sehr positive Reaktionen“, erklärt Sascha De Rosa.

Ansprache über Social Media

Auch Stephan Rüschen hält es für unbedingt erforderlich, in sozialen Medien die Freude an der Arbeit im Handel plus entsprechende Aufstiegsmöglichkeiten zielgruppenge‧recht zu kommunizieren. Erfolgreiche Rollenmodelle könnten dabei hilfreich sein.

„Wir wollen zeigen, dass Lebensmittel verkaufen viel mehr ist als Regale einräumen und kassieren““

Johannes Esslinger, Edeka Esslinger

 Bei Edeka Esslinger hat man solche Personen mit Vorbildcharakter selbst erschaffen und etabliert ein Image als moderner Lebensmittelhändler am Puls der Zeit. Kaufmann Johannes Esslinger führt mit seinem Vater Herbert vier Märkte in Süddeutschland. Im LEH zählt er zu den renommierten Experten für die Social-Media-Kanäle Tiktok und Instagram. Die Inhalte werden vor allem von Azubis und jungen Mitarbeitern selbst produziert. „Und das mit null Euro Budget, ohne Marketingagentur, aus der eigenen Truppe heraus“, erzählt Johannes Esslinger. Videos vom Arbeitsalltag im Unternehmen, aktuelle Trends und neu gelistete Produkte sind zu sehen. „Wir wollen zeigen, dass Lebensmittel verkaufen viel mehr ist als Regale einräumen und kassieren“, sagt Johannes Esslinger.

Verantwortlich für die Website und die Social-Media-Kanäle ist Geschäftsleiter Pascal Seifert. „Wir produzieren teilweise mehrmals am Tag wie am Fließband, wie an der Kasse.“ Kassenvideos sind besonders beliebt, aber auch authentische Einblicke rund um das Thema Ausbildung, beispielsweise die Vorstellung der neuen Auszubildenden beim Ausbildungsstart oder die Erklärung, wie ein Berichtsheft zu führen ist, werden häufig angeklickt.

Was bringt Social-Media-Kommunikation fürs Geschäft? Erstens ist sie gut für die Bekanntheit über die Region um den Bodensee hinaus. Allein bei Tiktok hat Edeka Esslinger mehr als 419.000 Follower, bei Instagram sind es 3.184. Zweitens kann sie neue Mitarbeiter bringen. „Wir haben einen Überschuss an Bewerbungen für Ausbildungen bei uns und müssen teilweise Bewerbungen ablehnen“, sagt Johannes Esslinger. Im vergangenen Jahr hätten sich 18 junge Menschen beworben und damit mehr, als Ausbildungsplätze zur Verfügung standen. Das Familienunternehmen stellt jedes Jahr zwölf Auszubildende ein, etwa als Einzelhandelskaufleute, Verkäufer oder Frischespezialisten. Seifert nennt neben Image und Recruiting einen weiteren Vorteil: „Wir verkaufen natürlich auch. Gerade Kunden der jungen Zielgruppe sind es, die, nachdem sie das Video über ein neues Produkt wie Mochi-Eis gesehen haben, in den Markt kommen und das Produkt probieren wollen.“

Karriere im Handel

14 Euro beträgt der neue Einstiegslohn bei Lidl und Aldi, 2 Euro über Mindestlohn. Eine bessere Bezahlung ist nur ein Weg zur Mitarbeitergewinnung.

80 Prozent der Führungskräfte im Handel haben ihre Karriere laut HDE mit einer Ausbildung begonnen. Die Branche bietet über 60 Ausbildungsberufe sowie Abiturientenprogramme und duale Studiengänge an.