Jahrhundertflut Schwer angeschlagen

Zwischen Wegzug und Wiederaufbau: Wirtschaftlich wirkt die Flutkatastrophe noch immer nach. Wenn die Hilfen enden, droht ein Abschwung durchzuschlagen, der längst begonnen hat.

Freitag, 15. Juli 2022 - Management
Christina Steinhausen
Artikelbild Schwer angeschlagen
Bildquelle: Christina Steinhausen

Der Durchschnittsbon von 34 auf 26 Euro gesunken, die Anzahl der Kunden von 1.600 auf 1.100, über 70 Stammkunden von Edeka-Kaufmann Mathias Rudolphi haben die Flut vor einem Jahr nicht überlebt. Dabei hatte sein Markt in Ahrweiler direkt an den Weinbergen noch Glück. Der Schlamm bedeckte nur den Parkplatz, drinnen gab es quasi keine Schäden, ein paar Tage keinen Strom, aber 18 zum Teil sehr schwer betroffene Mitarbeiter. Wohnraum hat der 69-Jährige zur Verfügung gestellt, zwei Autos besorgt, sich gekümmert. Stolz ist er auf seine Edeka-Region Rhein-Ruhr, deren Chef, Dirk Neuhaus, sich für ihn Zeit genommen und schnell und unbürokratisch Hilfe geleistet hat. 7 bis 10 Prozent weniger Umsatz als vor der Flut trotz Pandemie und Preissteigerungen und obwohl Edeka-Kollege Timo Boden seinen Markt noch nicht wieder eröffnen konnte, zeigen, wie sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert hat.

Bei Rewe-Kaufmann Jörg Schäfer im Stadtteil Bad Neuenahr kam die Flut am Lager rein, stand dort 70 Zentimeter hoch und 30 Zentimeter hoch im Laden. Ein Schaden im hohen sechsstelligen Bereich, 2,5 Monate geschlossen, fünf Mitarbeiter massiv betroffen. Vieles konnte repariert werden, aber 21 neue Stolpertruhen mussten sein. Drei Mitarbeiter sind weggezogen, auch viele Kunden, neues Personal ist kaum zu finden. Montags bis mittwochs kommen Handwerker, immerhin, donnerstags bis samstags sind die umsatzschwachen Tage. Verkehrte Welt. Nur wenige Meter weiter bei Lidl stand noch zwei Wochen nach der Flut der Schlamm in der Tiefgarage. Dutzende Autos mumifiziert. Schäden an Ware, Kühlung und Technik. Acht Wochen lang war zu.

Noch heute sind im Gebiet der Edeka Rhein-Ruhr vier Märkte geschlossen. Ebenso viele bei der Rewe West, bei der sich die Kosten auf einen hohen zweistelligen Millionen-Betrag summieren.
Auch bei Timo Boden im Ahrtalcenter sieht es heute noch so aus wie vor elf Monaten. Die letzten, die dort ein- und ausgingen, waren Schreiner aus dem Westerwald, die den völlig zerstörten Eingangsbereich mit Spanplatten verschlossen. Von den knapp 40 Mitarbeitern waren 23 schwer betroffen. Die Flut hatte Autos und Unrat in den Markt geschwemmt und alles zerstört. Die Edeka Rhein-Ruhr hat Timo Boden einen Markt in Plittersdorf (Bonn) gegeben. Obwohl ihn die Flut in Bad Neuenahr-Ahrweiler von den Kaufleuten am härtesten getroffen hat, versprüht er den meisten Optimismus, will das Weihnachtsgeschäft 2023 im neuen Markt mitnehmen. Ahrtalcenter wird nicht mehr dranstehen. Aufgeständert soll sein Markt sein, ebenerdig Parkplätze, der Markt im ersten Obergeschoss, Büros und Technik im zweiten.

Beim Sinziger Mineralbrunnen sorgt sich Geschäftsführer Thomas Beckmann um seine gut 60 Mitarbeiter. Denn die Umsatzausfallversicherung, die bislang greift, läuft nun aus, aber in Sinzig noch nicht wieder alles rund. Wie auch? Es wird wieder abgefüllt, in PET und Glas, ja, aber jetzt bräuchten viele Betriebe im Flutgebiet weiter staatliche Hilfe, ein Förderprogramm etwa.

Von Deutschlands ältester Winzergenossenschaft Mayschoss-Altenahr, über 16 Millionen Euro Schaden, ist äußerlich nicht mehr viel übrig, der Abriss vorerst gestoppt. Geschäftsführer Dirk Stephan: „Erst wenn wir alles schwarz auf weiß haben, können wir den Abriss fortführen. Wenn wir komplett abreißen, besteht die Gefahr, dass ein Wiederaufbau nicht mehr genehmigt wird.“ Dabei laufen die Geschäfte super, sagt er. 2023 Wiederaufbau, 2025 Neustart, so sein Ziel.

Vivien Greber von der Winzergenossenschaft Dagernova plant mit ähnlichem Zeithorizont die kaputte Vinothek in Dernau wieder aufzubauen, sogar moderner und schöner als früher. Drinnen laufen noch immer Trocknungsgeräte. Auf das Geländer gelehnt, schaut er einem großen Schwarm kleiner Fische in der plätschernden, glitzernden Ahr zu, im Hintergrund die Weinberge. Acht Hektar weniger seit der Flut hat die Winzergenossenschaft, 142 aktuell. Die kaputten Straßen, Notlaternen, Baustellen sieht man von hier nicht, nur ein herrliches Panorama. Greber: „Das Wichtigste haben wir noch.“