Immobilien Wo die Grenzen verschwimmen

Im schwedischen Stockholm entsteht auf 96 Hektar der neue Stadtteil Hagastaden. Im Oktober 2020 hat Coop seinen Flagship-Store eröffnet. Dort wird getestet, was langfristig flächendeckend zum Einsatz kommen soll.

Sonntag, 22. August 2021 - Management
Inka R. Stonjek
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Bildquelle: Lennart Johansson

Eine älter werdende Gesellschaft, der Hunger einer wachsenden Weltbevölkerung, extremere Klimaereignisse, ausgediente Energiequellen und wachsende Müllberge – die Frage, wie wir in Zukunft leben werden, beschäftigt Wissenschaftler weltweit. Im schwedischen Stockholm ist man mit der Antwort auf diese Frage einen kleinen Schritt weiter. Im Norden, wo die Stadt auf die Gemeinde Solna trifft, entsteht auf 96 Hektar der neue Stadtteil Hagastaden. Bis 2030 wird es dort ca. 6.000 Wohnungen und 50.000 Arbeitsplätze geben.

Hagastaden soll für Lifesciences werden, was das Silicon Valley für Technologie ist. Lifesciences sind ein vergleichsweise junges Forschungsgebiet, das Elemente aus Biologie, Chemie, Medizin, Technik und Informatik vereint. Seine Erkenntnisse sollen das Leben der Menschen künftig verbessern: zum Beispiel mit neuen Technologien, hochwertigen Lebensmitteln, umweltfreundlichen Treibstoffen bis hin zu Lösungen, Müll zu reduzieren.

Die Weichen dafür sind in Hagastaden gestellt: In einem Umkreis von fünf Kilometern befindet sich die Hälfte der Lifesciences-Unternehmen der Region. Darunter das Karolinska-Institut, die medizinische Universität, die seit 2016 durch das Neue Karolinska-Universitätskrankenhaus ergänzt wird.

Jung und hungrig
Die ersten Anwohner sind 2017 eingezogen, mittlerweile leben rund 3.500 Menschen in den hellen Lofts von Hagastaden. Wenn sie aus den bodentiefen Fenstern schauen, prägen Krane, Laster und Betonmischer das Stadtbild. Noch ist Hagastaden eher Großbaustelle als Vorzeigeprojekt. Aber schon jetzt lassen die ersten fertiggestellten Blocks erahnen, wie alles aussehen wird.

Zwischen neuen Straßen, die ausschließlich nach bedeutsamen Wissenschaftlerinnen benannt sind, ragen die Häuser höher und enger in die Höhe als bislang in Stockholm üblich: Platz ist knapp in der Zukunft. Parkende Autos sind an den Straßen nicht erlaubt, Stellflächen sind den Häusern zugeordnet.

Auch Müllautos werden die Anwohner seltener zu Gesicht bekommen als früher. Restmüll, Biomüll und Zeitungen werden künftig mit 70 Kilometern pro Stunde durch das unterirdische Rohrnetz gesaugt.

Die Anwohner spielen bei dem Projekt eine große Rolle. Wollte man sie charakterisieren, liefe es wohl auf „Early Adopter“ hinaus: Menschen, die sich für Neues begeistern und die neuesten technischen Errungenschaften nutzen. „Junge, gut Ausgebildete und Ältere mit erwachsenen Kindern, die ein großes Interesse an gutem und gesundem Essen haben und sich Hilfe und Inspiration beim Kochen wünschen“ – so beschreibt Maria Ytter ihre Kunden. Sie ist Marktleiterin im Coop-Markt, der im Oktober 2020 im Nova-Park-Gebäude eröffnet hat.

Anders als andere Märkte
Der 2.400 Quadratmeter große Markt ist Coops neuer Flagship-Store und soll Stockholms innovativster Lebensmittelmarkt sein. „Unser Geschäft unterscheidet sich von anderen Lebensmittelhändlern, aber wir glauben, dass es das ist, was Kunden in Zukunft wollen“, sagt Maria Ytter. Optisch setzt er unter anderem auf eine großzügige Deckenhöhe und viel Beleuchtung. Große Fensterflächen lassen viel Licht hinein und nutzen so die langen Tage des Stockholmer Sommers bestmöglich aus.

Der Markt selbst ist voll mit Lösungen für die mobile Gesellschaft von morgen. Großeinkäufe werden hier nicht gemacht – durch die Parkplatzsituation sind die Kunden vor allem zu Fuß unterwegs. Sie kaufen auf dem Weg zur Arbeit noch schnell einen Coffee to go und etwas für die Pause, andere nehmen sich noch einen Salat für den Feierabend zu Hause mit.

Schon 60 Prozent der Kunden zahlen mit der App „Scan & Pay“. Sie scannen die Lebensmittel mit ihrem Smartphone selbst ein, bezahlen mit ihrem Handy und verlassen den Laden. Nettes Gimmick: Wer ohnehin gerade sein Smartphone in der Hand hält, kann mit der Coop-App auch gleich den Nachhaltigkeitswert seiner Einkäufe checken.

Salat und Kräuter
Regionalität ist ein weiteres wichtiges Thema der Zukunft. Maria ‧Ytter legt viel Wert darauf, die Wege ihrer Waren kurz zu halten, und bietet schwedischen Produkten eine Plattform. Den Auftakt bildeten die Hofkäserei Stafva auf Gotland und Roslagens Mosterei in Åkersberga. Mittlerweile sind die beiden Betriebe nur 2 von 500 schwedischen Lieferanten, die den Laden mit ihren Produkten beliefern.

Noch kürzer sind die Wege bei Salat und Kräutern. Da setzt Coop Hagastaden komplett auf Selbstversorgung. Sowohl die Pflanzen für den Verkauf als auch die, die der Markt in seinen Lunchboxen, Salaten, Sandwiches, Dressings, Pfannengerichten und Soßen verwendet, ziehen die Mitarbeiter vor Ort selbst heran. „Wir werden in Zukunft auch andere Filialen beliefern“, sagt Maria Ytter.

Das machen die vertikalen Gewächshäuser von „Grönska Stadsodling“ möglich, die das Serviceangebot des Marktes seit dem Frühjahr ergänzen.
Hier wachsen die Pflanzen unter LED-Lampen in einer Nährlösung heran. Die 20 Vitrinen fassen etwa 5.000 Pflanzen und befinden sich in einem separaten Raum mit großen Glasflächen zum Laden hin. So können die Kunden beobachten, wie die Pflanzen wachsen; aus Hygienegründen dürfen aber nur die Mitarbeiter des Ladens ernten.

Wird es künftig nur noch solche Märkte geben? Maria Ytter: „Diese Art von Markt erfüllt absolut das Bedürfnis nach einem Geschäft, von dem wir mehr sehen werden, aber dann eher in größeren Städten oder Marktplätzen.“