Immobilien Wohnen über dem Supermarkt

Eine Kombination aus Geschäften, Wohnraum und Freizeitmöglichkeiten – das gilt bei Stadtplanern als Rezept für ein lebenswertes Umfeld. Wir zeigen zukunftsweisende Beispiele – von Schweden bis zum Bodensee.

Sonntag, 22. August 2021 - Management
Heidrun Mittler
Artikelbild Wohnen über dem Supermarkt
Bildquelle: Rewe Group

Baugrundstücke sind knapp. Und teuer, vor allem wenn man in Metropolen wie Hamburg, Frankfurt, Stuttgart oder München schaut.

Für jeden Händler, der einen neuen Markt errichten will, stellt sich automatisch die Frage nach der Wirtschaftlichkeit: Kann man die teure Fläche allein mit dem Verkauf eines Lebensmittel-Sortiments rentabel betreiben? Oder sollte man ein weiteres Stockwerk obenauf satteln, dessen Fläche sich vermieten lässt und somit zusätzlich Geld einbringt?

Städteplaner haben für diese Überlegungen längst einen Fachbegriff geprägt: den „Mixed-Use“, übersetzt ‧also „die gemischte Nutzung“. Dabei geht es um die Frage,  wie unsere Städte künftig aussehen sollen. ‧Neben Einkaufsmöglichkeiten und gastronomischen Angeboten spielen ‧eine Rolle: Wohnraum für unterschiedliche Zielgruppen,  Arbeitswelten (Büros, Kanzleien, Arztpraxen, Handwerksbetriebe, Hotels), soziale Treffpunkte, Kultur- und Freizeitangebote, Freiräume (Grünflächen, Parks). In Innenstädten ist Nahverkehr Voraussetzung für die Umsetzung, sonst kommt der Punkt Parkraum hinzu.  

Der Kiez als urbaner Treffpunkt
Die Überlegung, ob Shoppen mit Wohnen verbunden werden soll, führt in eine weitere Dimension: Wie wollen wir in Zukunft leben? Heute sind viele Innenstädte nach Ladenschluss tot, weil sich kaum noch Menschen die Mieten in Citylagen leisten können. Da erscheint der Gegenentwurf, der „Kiez“ (das Viertel/ Veedel, das Quartier) mit einer Mischung aus Läden und Kneipen, als die viel elegantere Lösung. Weitere Frage: Wollen wir künftig noch Einkaufszentren auf der grünen Wiese, die nach Ladenschluss zu seelenlosen Monstern werden?

Zweites Standbein
Dirk Thärichen, Vorstandssprecher der Konsum Leipzig eG, ist ein Anhänger der Kombination von Wohn- und Handelsobjekten. Das „zweite Standbein“ befürwortet er wegen der besseren Flächenausnutzung und der Mehreinnahmen: „Die Kosten-Nutzen-Relation ist einfach besser.“ Nachdem der Konsum schon bei mehreren Projekten Erfahrungen gesammelt hat, steht zurzeit die Errichtung der „Märchenwiese“ im Leipziger Stadtteil Marienbrunn an: „Mit Blick auf die Wohnraumentwicklung in der Stadt und im Sinne einer schonenden Flächen- und Ressourcennutzung ist es uns sehr wichtig, auf unseren Grundstücken nachhaltige Projekte umzusetzen, anstatt die Gebäude einfach abzureißen und eingeschossig neu zu bauen.“

An der Märchenwiese entsteht ebenerdig ein Markt mit 800 Quadratmetern Verkaufsfläche. Darüber kommen drei Etagen, die komplett an den Advita Pflegedienst verpachtet werden. Diese Einrichtung betreibt Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz und eine Tagespflege.
Was sind erfahrungsgemäß die größten Hürden bei einem solchen Projekt? Dr. Claudia Matz, die Projektverantwortliche für Konsum, weist auf das Thema Lärm hin. Ursache sind in erster Linie Lkws, die Ware anliefern, aber auch die Fahrzeuge der Kunden. Dieser Punkt muss unbedingt bei der Planung berücksichtigt werden.

Ob die Kombination aus Shoppen und Wohnen für die Rewe Group ein Trendthema ist? Stephan Koof, Geschäftsführer Immobilien/Expansion, verneint: „Im Grunde ist das nichts Neues – schon die ersten Rewe-Märkte 1927 befanden sich zum Teil in mehrgeschossigen Häusern.“

In vielen Städten üblich
Zudem gebe es seit Jahrzehnten Stadtmärkte: Diese haben sich schon eh und je unter Wohnungen befunden. Koof: „Für uns ist das normales Tagesgeschäft und auch zu einem gewissen Grad Mittel zum Zweck: Aufgrund der gestiegenen Grundstückspreise können Sie an vielen Standorten einen Markt wirtschaftlich nicht darstellen, ohne in die Mehrgeschossigkeit zu gehen und etwa auch Wohnraum überm Markt zu bauen.“ Auch wenn das natürlich viele Herausforderungen mit sich bringe: von der Anlieferung bis zu von Kunden ungeliebten Tiefgaragen.

Auf den Standort zugeschnitten
Kaufland betreibt deutschlandweit große Filialen als Mixed-Use-Immobilien. Angelus Bernreuther verantwortet bei Kaufland Dienstleistung den Bereich Institutionelle Investoren und Immobilienwirtschaft. Er weiß: Die Kombination aus Wohnen und Lebensmittel-Einzelhandel ist zwar eine gefragte Entwicklung in den Kommunen. Letztlich aber kommt es immer auf die Standorteignung an. „Tendenziell werden bei den reinen Wohnformen nur Großstädte und Metropolen profitieren“, erläutert er.

Je kleiner die Stadt, desto weniger werden solche Mischnutzungen auch vonseiten der Wohnungsnachfrage akzeptiert. Temporäres, dann aber meist gewerblich ausgerichtetes Wohnen wie Hotels, Boarding-House oder Studentenzimmer hat seiner Meinung nach wohl mehr Perspektive.