Discounter „Es fehlt die Vision“

Funktion und Preis sind nicht alles: warum das bedürfnisgetriebene Sortiment Kunden anspricht und welche Rolle Sozialmarken spielen, dazu Dr. Robert Kecskes (Foto), Gesellschaft für Konsumforschung.

Montag, 12. April 2021 - Management
Susanne Klopsch
Artikelbild „Es fehlt die Vision“
Bildquelle: GfK

Im Corona-Jahr 2020 bauten die Vollsortimenter ihren Umsatzanteil gegenüber Vorjahr um 1,1 Prozentpunkte aus – während der Discount um 1,1 Prozentpunkte an Marktanteil verlor (GfK Consumer Index 12/2020). Im Gespräch nannte Dr. Robert Kecskes, Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), gleich mehrere Themengebiete mit Nachholbedarf für den Discount.

„Der Discount muss sich schrittweise sicher etwas neu erfinden.“ Denn auch wenn Aldi, Lidl und Co. Trends wie Bio, Regional oder Fair mit Eigen- und Herstellermarken gut bedienten: „Der Discount muss schauen, wie er den Spagat zwischen Preisführerschaft und Rentabilität schafft.“ Allen sei klar, welche Felder sie besetzen müssten: „Es ist eine Heroen-Aufgabe, dies mit dem Selbstverständnis eines Discounts hinzubekommen und nicht als ‚Vollsortimenter zweiter Klasse‘ wahrgenommen zu werden.“

Der neue Markenkern. Marktforscher Kecskes macht dies am effizienten Einkauf im Discount deutlich: „Dies war jahrelang eine Stärke, ist jedoch aus meiner Sicht heute eine Schwäche. Das hört sich in Zeiten von Corona erst mal paradox an: Aber der Kunde sucht heute auch beim Lebensmitteleinkauf mehr als reine Funktionsräume, mehr als unpersönliche Nicht-Orte der Gleichförmigkeit.“ Gefragt seien sogenannte Ortserfahrungen, Orte der Individualität und sozialer Beziehungen. „Der Händler wird zu so etwas wie einem Anker in der Nachbarschaft, man fühlt sich wohl, macht neue Entdeckungen.“ Der Preis sei weiter wichtig, „aber die Vollsortimenter haben die Balanceverschiebung vom reinen Funktionsraum zum nachbarschaftlichen Sozialraum verstanden und umgesetzt. Es geht um die Balance von ‚Sozialität‘ und ‚Effizienz‘, nicht um das eine oder das andere.“

Was spricht den Kunden an? „Anerkennung spricht die Kunden an, das heißt, ihnen zu vermitteln, dass sie nicht Mittel, sondern Zweck sind. Nur über Preise und Effizienz zu kommunizieren, vermittelt dies nicht.“ Im Endeffekt gehe es um ein bedürfnisgetriebenes und nicht um ein preisgetriebenes Sortiment. „Der Preis ist natürlich wichtig, aber er ist heute in einem sozialen Kontext eingebettet. Das haben die Vollsortimenter schon vor Corona erkannt und begonnen, es umzusetzen.“

Die Markenstrategie. Gerade für jüngere Konsumenten sei nicht die Unterscheidung zwischen Eigenmarken und Marken entscheidend. Sie unterschieden zwischen Funktionsmarken, die ihr Produktversprechen gut erfüllten, aber eben auch nur das, und Sozialmarken: Diese gäben den Menschen das Gefühl, sich und der Umwelt etwas Gutes zu tun. „Und – wichtig – der Trend zu Sozialmarken ist nicht sozio-ökonomisch getrieben, sondern sozio-kulturell.“ Daher seien Vollsortimenter strukturell im Vorteil, „denn sie bewegen sich im ‚Raum der sozio-kulturellen Möglichkeiten‘, während die Discounter traditionell den ‚Raum der sozio-ökonomischen Notwendigkeiten‘ besetzen.“ Ein Vorteil des Vollsortimenters sei zudem, dass er Sozialmarken und günstige Handelsmarken anbiete.

Was die Eigenmarke braucht. Robert Kecskes sieht das starke Wachstum der Herstellermarken im Discount (siehe Tabelle auf S. 20) als strukturelle Schwäche der Discount-Handelsmarke: „Ich glaube, es fehlt den Discountern die Vision.“ Der Kunde nehme die Produkte nur als isolierte Punkte wahr. „Es fehlt die Einbettung in eine kohärente Vision des (Discount-)Handels der Zukunft für die Menschen.“ Beim Vollsortimenter seien die Eigenmarken in ein Konzept eingebettet, untereinander vernetzt. Neben den Themen Nachhaltigkeit sowie Verbundenheit mit der Region als Bestandteile einer Handelsvision ist für Kecskes auch ein anderer Umgang mit dem Thema Wachstum und Preise notwendig. Er nennt es „Bricolage“: nicht immer mehr Konsum um jeden Preis, sondern kreatives Arbeiten mit den Ressourcen. Dies bedeute, im Markt nicht nur auf den Preis zu fokussieren: „Dieser ist weiterhin wichtig, doch er ist nicht mehr der zentrale Punkt. Diese Aspekte vermitteln die Supermärkte sehr viel besser als der Discount: und das in einem Gesamtkonzept, nicht als Insellösung. Dies ist aus meiner Sicht ein zentraler Punkt, weshalb der Supermarkt stärker als der Discount jüngere Menschen wie die Millennials anspricht.“

Ladenbau. Auch hier bemängelt der Experte die fehlende Vernetzung zwischen den Abteilungen. Zwischen gut gemachten Abteilungen wie den Frischebereichen gebe es solche, die wie „Niemandsland“ wirkten. „Für das Store-Konzept muss in Mustern, die verbinden, gedacht und umgesetzt werden.“

Welche Folgen hat Corona bei den jüngeren Konsumenten? Für GfK-Marktforscher Kecskes wird die Pandemie die schon vorhandene Bereitschaft, sich für das Klima einzusetzen, nachhaltiger und regional fokussiert einzukaufen, weiter vorantreiben. Sicher blieben Funktionsmarken und Preiseinstieg weiterhin wichtig, aber: „Millennials sehen sich nicht mehr als Kunden – sie sehen sich als aktive Akteure im Streben nach einer besseren Welt. Und dieses Streben verlangen sie auch von einem Händler.“