Technik Gas geben bei der Digitalisierung

Die Digitalisierung hat in alle Bereiche des Handelsalltags Einzug gehalten. Was sind die angesagten IT-Trends? Und welche Neuerungen versprechen den Händlern Erleichterungen bei der täglichen Arbeit? Einen Blick auf verschiedene Handelsprozesse wirft LP-Autor Bernd Liening.

Dienstag, 16. März 2021 - Management
Bernd Liening
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Bildquelle: Girocard

Zeit für Neues. „Im Einzelhandel wird sich vieles verändern“, sagt Michael Gerling im Rückblick auf das Corona-Jahr 2020. In technisch-organisatorischer Hinsicht erwartet der Geschäftsführer des EHI Retail Institute einen starken Schub der Digitalisierung entlang sämtlicher Handelsprozesse.

Einen aktuellen Überblick über die Entwicklungen und Lösungen speziell für den Handel in den Bereichen Payment und Check-out, E-Commerce und Multichannel, Digital Marketing, Big Data und Supply Chain, Workforce Management oder Warensicherung hätte im März 2021 die Eurocis in Düsseldorf liefern können. Die europäische Leitmesse für Retail Technology musste aber coronabedingt abgesagt werden und wird erst zu ihrem nächsten regulären Termin, dem 15. bis 17. Februar 2022, wieder stattfinden. Bis dahin wird die Messe den Handel mit verschiedenen „digitalen Touchpoints“ unter www.eurocis.com über das Jahr verteilt über aktuelle Trends informieren.

Welche IT-Trends den Handel aktuell beschäftigen und wo die Unternehmen jetzt ihre Investitionsschwerpunkte setzen, das hat das EHI als Initiator der Eurocis in verschiedenen Umfragen ermittelt. Ergebnis: Die Digitalisierung hat im Corona-Jahr 2020 stark an Dynamik gewonnen und alle Bereiche des Handels erfasst. „Auch 2021 wird es mit Vollgas weitergehen“, so die Fachleute des EHI. Zwar hätten einige innovative Projekte, etwa aufgrund von Kapazitätsengpässen, zurückgestellt werden müssen, aber den Umfragen zufolge steigen branchenübergreifend die IT-Budgets im Handel weiter an.

In praktisch allen stationären Geschäften macht sich der Trend zum bargeldlosen Bezahlen bemerkbar, der 2020 einen starken Schub erhalten hat. Auch kleinere Beträge werden verstärkt bargeldlos bezahlt. Die Mehrheit der Verbraucher zahlt inzwischen mit der Karte statt mit Bargeld, und das am liebsten kontaktlos. Selbstbedienungskassen erfreuen sich laut EHI ebenfalls wachsender Beliebtheit, egal ob als stationäre Einrichtungen, als mobile Lösung oder als Scanning-App auf dem eigenen Mobiltelefon.

Bei allen Vorteilen der Karte: Nicht nur das Handling von Bargeld, sondern auch die Kartenzahlung verursacht Kosten und Gebühren. Neben den Banken, die ihren Handelskunden die Kartenlesegeräte anbieten oder vermitteln, gibt es eine Reihe weiterer Dienstleister mit ebenfalls interessanten Leistungen. So weist der Kartenzahlung-Spezialist Paytec darauf hin, dass Händler nicht nur Gebühren für die Nutzung der Terminals, sondern auch zum Beispiel das Kreditkarten-Disagio „deutlich senken“ können, wenn sie einen bankenunabhängigen Direkt- anbieter von PoS-Terminals für die Abwicklung einschalten.

Daten von überall abrufen können
Cetin Acar, IT-Experte beim EHI, bezeichnet die Digitalisierung aus mehreren Gründen als das „treibende Thema“ für den Handel. Bei den Handelsunternehmen mussten beispielsweise innerhalb kürzester Zeit Rahmenbedingungen für die Mitarbeitenden geschaffen werden, damit diese von überall auf Daten zugreifen und ortsunabhängig arbeiten konnten – Stichwort Homeoffice. Diese Veränderung wird nach Ansicht der befragten IT-Verantwortlichen im Handel nachhaltig sein und auch nach Corona bestehen bleiben.
Aber auch Prozesse in anderen Bereichen, wie in der Logistik oder auf der Fläche, werden digitalisiert. Der digitale und vernetzte Store beispielsweise wurde in den vergangenen IT-Trendstudien des EHI vom Handel zudem als eines der wichtigsten strategischen Themen genannt und beeinflusst Investitionsentscheidungen in hohem Maße.

Künstliche Intelligenz
Zeitgleich hat die allgemeine technologische Entwicklung weiter an Dynamik zugenommen. Themen wie „Internet of Things“ (IoT) und „künstliche Intelligenz“ (KI) eröffnen dem Handel laut Acar „neue Möglichkeiten und Perspektiven der Gestaltung einer Digitalisierungsstrategie“. Die Smartphones der Konsumenten sind zudem technologisch so weit entwickelt, dass sie sowohl eine vielschichtige Interaktion mit in der Filiale befindlichen Geräten als auch eine stark personalisierte und individualisierte Kommunikation ermöglichen. Der Handel konstatiert dabei den KI-gesteuerten Lösungen ein hohes Entwicklungspotenzial.

Cloud sorgt für Flexibilität
Eine weitere starke Entwicklung gibt es im Bereich Cloud. Insbesondere die Skalierbarkeit und die damit gewonnene Flexibilität versprechen Vorteile für den Handel. Bedarfsabhängig können Dienstleistungen innerhalb kurzer Zeit in Anspruch genommen und – wenn die Systeme nicht genutzt werden – auch schnell wieder zurückgebaut werden. Es muss weder Hard- und Software noch Personal bereitgehalten werden. Von der anfänglichen Skepsis im Handel gegenüber Cloud-Lösungen sei mittlerweile nichts mehr zu spüren, kommentiert das EHI die Umfrageergebnisse. Gleichwohl schaue der Handel aber bei der Auswahl seiner Partner „immer noch ganz genau auf Themen wie Sicherheit und Datenschutz“.

Als einen weiteren Grund für den Siegeszug von Cloud-Diensten nennen Händler aber auch das Argument, dass es in einigen Bereichen teilweise keine On-Premise-Lösungen (Nutzungs- und Lizenzmodell für serverbasierte Software) mehr gibt oder in absehbarer Zeit keine geben wird.

Ausfall von Hardware verhindern
Die Cloud springt heute bereits ein, wenn PoS-Systeme kurz vor dem Absturz stehen. So hat Toshiba eine Lösung in seinem Retailer-Portfolio, die Kassen vor Ausfällen bewahren kann. Statt erst zu reagieren, wenn eine Kasse ausgefallen ist, können Einzelhändler ihre IT-Infrastruktur mit den proaktiven Verfügbarkeitsservices von Toshiba in Echtzeit aus der Ferne überwachen, bewerten und vorausschauend handeln. Das System erfasst laufend die Daten beliebiger Hardware wie PoS-Terminals, Self-Check-out-Systeme, Peripheriegeräte oder mobile Geräte und zeichnet deren Zustand und die Warnmeldungen auf.

Die Ferndiagnose in der Schaltzentrale greift bei bestimmten Ereignissen in Echtzeit ein. Techniker führen vor Ort in der Filiale die vorab definierten Maßnahmen durch – sowohl präventive Maßnahmen als auch die Notfall-Maßnahmen. Auch hier kommen künstliche Intelligenz und Analytik-Methoden zum Einsatz. Algorithmen können den Ausfall von Hardware vorhersehen, sodass dieser verhindert werden kann.

Globus profitiert von KI
Wie künstliche Intelligenz vom Handel erfolgreich genutzt wird, zeigt aktuell ein Projekt von Globus CR. Das tschechische SB-Warenhausunternehmen der Globus-Gruppe hat einen Teil seiner Supply Chain digitalisiert und setzt KI- und Machine-Learning-Lösungen von Blue Yonder ein. Diese beinhalten eine KI-gestützte Bedarfsplanung, dank derer sich die zu erwartende Nachfrage jedes einzelnen Produkts prognostizieren lässt. Nach wenigen Monaten im Einsatz zeigte sich, dass damit die Rate sowohl der unerwartet ausverkauften Artikel als auch der zu viel bestellten und unverkauften Artikel deutlich reduziert werden konnte.

Vertriebskanäle verschmelzen
Ein klarer Trend, den viele Händler im laufenden Jahr verstärkt ausbauen wollen, ist Connected Retail, also die Verschmelzung der verschiedenen Vertriebskanäle. Die Herausforderung liegt hier in der Abstimmung der verschiedenen Kanäle und damit auch der Systeme aufeinander. Die Retail-Experten von Fujitsu sehen im Zusammenhang mit Omnichannel die Entwicklung der sogenannten „letzten Meile“, also der unmittelbaren Auslieferung an den Kunden, als wichtigen Baustein.

Im Zusammenspiel mit „Click & Collect“ könnte das Ladengeschäft auf Dauer zum etablierten Abholpunkt werden. Das zeigt unter anderem eine Studie des Beratungshauses KPMG, das Retail-spezifische Prognosen für das Jahr 2025 erarbeitet hat. Das entsprechende, sogenannte BOPIS-Prinzip (buy online, pick up in store) macht den stationären Handel im KPMG-Szenario auch zu einem neuen wichtigen Faktor in den Logistikketten.

Leistungsfähige Netzwerke
Unerlässlich für die Vernetzung und zentrale Ansteuerung der PoS-Systeme sind leistungsfähige Netzwerklösungen. Der Spezialist Lancom hat hierfür unter anderem die Lösung „SD-Branch“ (SD = software defined) entwickelt, die eine „radikale Vereinfachung des Filial-Netzwerk-Managements“ verspricht. Händler können damit ihr gesamtes Netzwerkportfolio mit Router, Firewalls, Access Points oder Switches mit der Software-defined Networking-Technologie für alle Netzsegmente (WAN, LAN, WLAN und Security) in einem einzigen, cloudbasierten Management-System verwalten. Das Highspeed-WLAN ermöglicht dann die schnelle und problemlose Inbetriebnahme von Retail-Anwendungen wie elektronische Preisauszeichnung (ESL), Digital Signage oder Mobile Payment auf der Fläche.

Abschriften vermindern
Der ESL-Anbieter SES-imagotag weist auf den Vorteil der Preisautomatisierung in Echtzeit hin. Mithilfe von ESL-Lösungen können auch verderbliche Produkte einfacher verwaltet werden, da wichtige Produktinformationen wie Lagerbestandswarnungen, Verfallsdaten oder Lagerkapazitäten direkt am Regal und über die Software abgerufen werden können. Ein weiteres Argument des Anbieters: „Neben dem Preis ändern sich auch andere Daten mit einer gewissen Häufigkeit, und durch ESLs kann ein ansonsten komplexes Preismanagement (Stück-, Kilo-, Batch-Management) vereinfacht und automatisiert werden.“

Der Leergutautomat ist voll!
Fujitsu sieht für „smarte“ digitale Lösungen viele Ansatzpunkte gerade auf den stationären Flächen – etwa durch das Erfassen der Betriebsabläufe und optimierten Steuerung von Prozessen und Ressourcen. So erkennen digitale Technologien automatisch, wenn der Leergutautomat voll ist, die Kühlkette bei TK unterbrochen ist oder die Temperatur nicht stimmt. Ein anderes Einsatzfeld ist für Fujitsu die dynamische Anpassung von Liefermengen. Hier kommen intelligente Technologien wie das „Store Operations Cockpit“ zum Einsatz, mit dem Prozesse automatisiert, Ressourcen sowie die Personaleinsatzplanung gesteuert werden können.

Bizerba ermöglicht mit seiner Schneidemaschine VSP an der Bedienungstheke ebenfalls eine cloudbasierte Datenerfassung und -verarbeitung sowie die Kommunikation aller Maschinen miteinander. Die Technologie erfasst beispielsweise Reinigungs-, Schleif- und Wartungsindikatoren für ein transparentes Monitoring und zentrales Datenmanagement. Dazu werden die Daten zur Analyse ins Backoffice geschickt und bilden die Basis für Prozessoptimierungen: Updates laufen automatisiert ab, und durch eine Fehlersuche können Probleme direkt behoben werden.