Trendforschung „Unterhaltsam, aber überflüssig“

Der ehemalige Soziologie-Professor Dr. Holger Rust (Foto) geht mit der Trendforschung und ihren Prognosen zum Beispiel zu Ernährungsgewohnheiten ins Gericht.

Freitag, 26. Februar 2021 - Management
Thomas Klaus
Artikelbild „Unterhaltsam, aber überflüssig“
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Herr Dr. Rust, warum nehmen Sie denn so sehr die Trendforschung ins Visier? Die scheint ja ganz vieles falsch zu machen.
Dr. Holger Rust: Meine Zweifel an der inflationär verbreiteten Trendforschung beginnen schon mit den Begriffen „Trend“ oder sogar „Megatrend“. Es sind völlig verbrauchte Wörter, die zunächst einmal keinen festen Sinn haben.

Wie definieren Sie denn einen Trend? Wie macht man das wissenschaftlich sauber?
Im statistischen Sinn wäre ein Trend eine sich fortdauernd in die gleiche Richtung verändernde Entwicklung, die von Dauer ist. Und die muss sich zu verschiedenen Messzeitpunkten feststellen lassen. Wir haben es bei einem Trend also sozusagen mit einem Muster zu tun, das sich in den Handlungsweisen der Menschen widerspiegelt. Bei der Trendbeobachtung ist es die Frage, ob tatsächlich grundlegende Veränderungen im Alltag passieren oder ob es sich lediglich um neue Spielarten von Grundmustern handelt. Letzteres ist im Übrigen bei kulinarischen Moden oft der Fall. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass inhaltlich eigentlich nichts grundlegend Neues passiert. Und dann stellt sich noch eine Frage: Welcher Trend gilt denn nun?

Was meinen Sie damit genau?
Zählen Sie einfach einmal für ein Jahrzehnt zusammen, wie viele Trends in den Reports der einschlägigen Agenturen auf den Markt geworfen wurden! Und schauen Sie sich einfach noch mal an, was von den Zukunftsdeutern schon im März 2020 über die „Zeit nach Corona“ alles verbreitet wurde und was daraus wurde.
Davon einmal abgesehen: Zurückhaltend geschätzt, gibt es allein in Deutschland ungefähr 200 dieser Agenturen oder besser gesagt: Firmen. Die stehen natürlich in Konkurrenz zueinander und wollen jeweils ein Alleinstellungsmerkmal aufbauen. Da kommen eine Menge Zukünfte zusammen.

Wie funktioniert im Gegensatz dazu wissenschaftliche Markt- und Sozialforschung nach Ihrem Geschmack?
Markt- und Sozialforschung benötigt klare Merkmale und Kriterien, die sich messen lassen. Diese Arbeit ist ein langfristiger, oft mühseliger Prozess. Echte Forschung fragt immer auch: Was spricht gegen meine Hypothese? Markt- und Sozialforschung benennt alle Bedingungen, unter denen die Arbeiten entstehen. Beispiele dafür sind die Stichproben, die der Arbeit zugrunde liegen, Aufgabenstellung und Reichweite der Ergebnisse. Dieser Art von Forschung stehen Versuche gegenüber, Trends zu entdecken und publikumswirksam zu präsentieren, bevor man überhaupt irgendetwas messen kann.

Der Markt ist auf jeden Fall da.
Der Markt ist auf jeden Fall da, wie der für Horoskope und Verschwörungstheorien auch.

Ist Trendforschung aus Ihrer Sicht komplett überflüssig?
Trendforschung ist im Prinzip unterhaltsam, aber grundsätzlich überflüssig. Denn was man wirklich wissen will in Unternehmen, ist ganz sicher nicht das, was alle wissen können. Und was die Trendforschung produziert, drängt ja in die Öffentlichkeit. So entsteht der kleine, aber knirschende Widerspruch, dass alle diese Agenturen mit Kundenlisten von Hunderten oder Tausenden Unternehmen aufwarten, aber natürlich damit werben, dass sie exklusiv einen Wettbewerbsvorteil sichern helfen.

Ihr Tipp an die Praktiker der Lebensmittelwirtschaft lautet?
Mein Appell: Prognosen, Trends und Ausblicke auf die Zukunft darf man nicht gedankenlos für bare Münze nehmen. Stattdessen sollte man akzeptieren, dass es nicht möglich ist, in die Zukunft zu schauen. Es gibt verlässliche Methoden, die universellen Muster zu studieren, die unsere Alltags- und Esskultur grundlegend prägen, und in ihrem Rahmen interessante und unverwechselbare Variationen zu entwickeln – also wenn man so will: Trends zu setzen, statt ihnen hinterherzulaufen.

Zur Person
Dr. Holger Rust, Jahrgang 1946, em. Professor für Wirtschaftssoziologie; lehrte und forschte an Universitäten des In- und Auslandes; langjähriges Vorstandsmitglied des Institutes für Soziologie an der Universität Hannover; Verfasser zahlreicher Bücher (darunter: „Zukunftsillusionen – Kritik der Trendforschung“ und „Fauler Zahlenzauber – Fiktionen über Fakten in Wirtschaft und Management“), Autor für angesehene Wirtschaftsmagazine wie zum Beispiel das „Manager Magazin“ und den „Harvard Business Manager“.