Bargeldlos in Schweden Karte statt Krone

Praxisbeispiel: Die Schweden sind für ihre Affinität zum elektronischen Zahlungsverkehr bekannt. In wenigen Jahren soll Bargeld vielleicht sogar komplett überflüssig sein.

Dienstag, 05. November 2019 - Management
Inka Stonjek
Artikelbild Karte statt Krone
Bildquelle: Swish

Aus für Bargeld. Am 24. März 2023 endet in Schweden die Ära des Bargeldes. Von diesem Tag an wird es Scheine und Münzen zwar noch geben, doch werden sie im Alltag keine Rolle mehr spielen. Denn für den Handel, den Ort, an dem sie gegen Waren getauscht werden, wird ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis kippen. Dann werden die Kosten für den Umgang mit Bargeld ein Niveau erreichen, an dem sich seine Annahme einfach nicht mehr lohnt. Das haben die Forscher Niklas Arvidsson von der Königlich Technischen Hochschule KTH in Stockholm und Jonas Hedman von der Copenhagen Business School berechnet.
Der Coop Konsum in Kalmar hat als erster schwedischer Lebensmitteleinzelhändler Bargeld komplett aus dem Laden verbannt. Im April 2018 hat er seine Kunden darüber informiert, dass das Bezahlen künftig nur noch elektronisch möglich sein wird. Selbst Kleinstbeträge für Pfandbons können seitdem nicht mehr bar ausgezahlt werden. Eine Reaktion darauf, dass das Bargeld auch unliebsame Besucher angezogen hat. In nur einem Jahr wurde das Geschäft drei Mal Opfer von Raubüberfällen, zwei Mal wurde eingebrochen. „Wir greifen zu diesen drastischen Maßnahmen, um die Sicherheit von Kunden und Mitarbeitern zu erhöhen. Und längerfristig geht es darum, das Überleben des Geschäfts zu sichern“, sagt Jerry Svennerlind, CEO von der Coop-Konsumentenvereinigung Göta. Diese betreibt neben dem Coop Konsum in Kalmar weitere 44 Coop-Geschäfte sowie drei SB-Warenhäuser im Großraum Småland und der Insel Öland.

Dürfen die das?
Diese Entscheidung wurde in den Medien heftig diskutiert. Haben schwedische Bürger ein Recht darauf, mit Bargeld zu bezahlen? „Nein“, das machen seitdem zahlreiche Konsumentenportale klar. Von der Reichsbank ausgegebene Banknoten und Münzen sind zwar gesetzliche Zahlungsmittel, doch in Beziehungen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern liegt Zivilrecht zugrunde. Hier gibt es Vertragsfreiheit. Geschäfte können also selbst darüber entscheiden, ob sie Bargeld annehmen möchten oder nicht. Allerdings sollten sie den Kunden darüber informieren. Der Coop Konsum in Kalmar macht dies über einen großen Aushang direkt am Eingang. „Vår butik är kontantfri“ ist dort zu lesen – „Unser Geschäft ist bargeldlos.“ So kann der Kunde wählen, ob er die vorgegebene Zahlungsart akzeptiert oder die Einkaufsstätte wechselt.

Flexibel: Bar und Karte
Läden wie der Kalmarer Coop Konsum, die konsequent kein Bargeld mehr akzeptieren und dafür sogar in Kauf nehmen, Kunden zu verlieren, sind Einzelfälle. Derzeit bieten 97 Prozent der Händler ihren Kunden beides an: Bar- und Kartenzahlung. Selbst Mitbewerber, die ebenfalls auf reinen digitalen Zahlungsverkehr setzen, gehen größtenteils flexibler damit um. Die Mitarbeiter von Ikea in Valbo bei Gävle beispielsweise machen für Kunden, die nicht anders als bar zahlen können, eben eine Ausnahme. Das Warenhaus hat nach einem halbjährigen Testlauf nämlich ebenfalls erst im Frühjahr auf Kartenzahlung umgestellt. „Wir fragen unsere Kunden permanent, wie wir unsere Abläufe verbessern können. Es stellte sich heraus, dass die Mehrheit der Befragten es nicht für wichtig hielt, mit Bargeld bezahlen zu können. Die meisten Menschen entscheiden sich heute für eine andere Zahlungsweise“, sagt Patric Burstein, verantwortlich für das Kundenerlebnis bei Ikea in Valbo, gegenüber dem schwedischen Fachmagazin Dagens Handel. Auch in der neuen Boutique von Lager 157 in Visby wird kein Kunde weggeschickt. Das Modegeschäft wurde im Frühjahr bargeldlos eröffnet. Dies soll künftig bei allen Läden der Kette der Fall sein.
Einer Studie des Handelsrates zufolge geht die Hälfte der schwedischen Händler davon aus, dass sie bis 2025 komplett bargeldlos sein werden. Tatsächlich nimmt der Anteil an Barzahlern seit 2010 jährlich um etwa 15 Prozent ab. „Die Reichsbank untersucht alle zwei Jahre, wie sich das Bezahlverhalten verändert. Der jüngsten Erhebung 2018 zufolge haben 13 Prozent der Schweden ihren letzten Einkauf bar gezahlt. Der Rest hat die Karte gezückt – 80 Prozent die Bankkarte, sieben Prozent die Kreditkarte“, sagt Malin Johansson, Kommunikationschefin bei der Deutsch-Schwedischen Handelskammer. Warum bezahlen die Schweden so gerne digital? „Es ist einfach und praktisch“, erklärt Malin Johansson. Sie kennt die Vorlieben der Deutschen ebenso wie die ihrer eigenen Landsleute. Man müsse keinen Geldautomaten suchen. Zudem habe die Begeisterung sehr viel mit der Kultur und Geschichte des Landes zu tun. „Wir Schweden vertrauen unseren Behörden“, sagt sie: „Es gibt zentrale Messungen, wie sehr die Bürger der EU-Mitgliedsstaaten ihren Behörden vertrauen. Da liegt Schweden immer weit oben, während Deutschland oft weit unten ist.“

„Swish“ macht es ganz einfach
Ihre eigenen zwei Kinder bekommen sogar das Taschengeld digital. „Sie brauchen es nicht bar, weil sie es selbst wiederum nicht bar ausgeben. Untereinander nutzen die Schweden Swish. Mit der App für’s Smartphone lassen sich Geldbeträge bequem in Echtzeit überweisen. Ein Kartenleser ist ebenso überflüssig wie die Kenntnis der IBAN. Lediglich die Mobilnummer des Empfängers muss bekannt sein. „Swish nutzen Klassenkameraden, um sich geliehenes Geld zurückzuzahlen. Schulklassen sammelt für Lehrergeschenke, Sportvereine für den Ausflug“, sagt Johansson. Ihre Kinder sind zwei von 7.207.433 Privatanwendern, die Swish im September 2019 genutzt haben. Auch Unternehmen und Händler haben die App für sich entdeckt. Auf dem Flohmarkt hängen Anbieter ihre Swish-Nummer an den Stand, in der Kirche wird die Kollekte per App aufgestockt. Bisweilen nutzen auch Obdachlose Swish. Man muss mit der Zeit gehen.