Tegut Mutig expansiv unterwegs

Tegut hat den Turnaround geschafft und will künftig stärker in Ballungsgebiete vordringen. Geschäftsführer Thomas Gutberlet und Lukas Sommer, Leiter Supermärkte, darüber, welche Vorteile die Kooperation mit Amazon für die Zukunft hat und warum sie in klassischer Gastronomie keine Lösung sehen.

Mittwoch, 19. Juni 2019 - Management
Sonja Plachetta
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Bildquelle: Robert Gross

Welche sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Kriterien für den Supermarkt der Zukunft?
Lukas Sommer: Der Supermarkt der Zukunft wird sich insbesondere auf die Frischesortimente konzentrieren. Dabei spielt die Frischeinszenierung vor allem an den Theken eine entscheidende Rolle. Denn dort kann man sich mit Bio-Siegeln, eigenen Qualitätsprogrammen und regionalen guten Lebensmittel differenzieren. Zudem lässt sich durch die Beratung von kompetenten Mitarbeitern eine echte Fangemeinde aufbauen. Ein weiteres Thema in die Zukunft ist die fortschreitende Digitalisierung – sie wird vieles verändern. Wir werden den Kunden entlang der Customer Journey gut begleiten und häufiger mobil ansprechen.

Thomas Gutberlet: Die Aufgabe wird sein, stärker herauszuarbeiten, welche Leistung der Kunde bekommt, wenn er in den Märkten einkauft. Der stationäre Handel kann beim emotionalen Einkauf punkten, kann Frische, Auswahl und Neuheiten inszenieren und Inspiration bieten. Für unbequeme Sortimente, die ins Netz abwandern, brauchen wir künftig keinen Platz mehr. Deshalb werden die Flächen tendenziell kleiner, was angesichts der heutigen Mietpreise von Vorteil ist. Standorte mit mehr als 2.000 Quadratmetern brauchen wir eher nicht mehr.

Welche Sortimente meinen Sie mit unbequem?
Gutberlet: Durch unsere Kooperation mit Amazon haben wir gelernt, was im Netz läuft. Dazu zählen Produkte wie Toilettenpapier oder Windeln genauso wie sehr spezielle Artikel wie Schwangerschaftsöl, das wir bei Amazon überproportional häufiger verkaufen als in den Filialen. Unser Eigenmarken-Apfelsaft im Tetra-Pak ist der absolute Renner bei Amazon. Auch H-Milch, Chips und Mais in Dosen laufen sehr gut, aber auch Spezialprodukte wie Hummus, wo wir eine besonders hohe Qualität anbieten können.

1,04 Milliarden Euro betrug 2018 der Netto-Umsatz der Tegut-Gruppe. Das entspricht einem Plus von 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Wie zufrieden sind Sie mit der Zusammenarbeit mit Amazon?
Gutberlet: Das ist ein gutes, stabiles Geschäft. Hätte Amazon seine Konzepte ausgerollt, wäre zwar für uns mehr Umsatz drin gewesen. Wir sind aber froh, dass wir diese Kooperation haben und den Online-Handel nicht selbst aufgezogen haben. Wir erleben, was im Netz geht und was nicht, und partizipieren an den Online-Umsätzen, ohne dass wir großes Geld verlieren. Insofern bin ich zufrieden.

Wie sehr hilft die Kooperation, die Marke Tegut bekannter zu machen?
Gutberlet: Leichte Tendenzen sind erkennbar, unter anderem daran, wie viele Tegut-Eigenmarken zum Beispiel nach München geliefert werden. Wenn wir dort den ersten Markt eröffnen, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Münchner wissen, dass es bei uns mehr als nur Tee gibt. Das war, als wir in Stuttgart gestartet sind, anders. Wir bekommen bei Amazon sehr gute Bewertungen für unsere Produkte. Das spricht dafür, dass der Kunde die Marke Tegut positiv wahrnimmt. Wir glauben, dass es ein großer Vorteil für uns sein kann und es uns langfristig helfen wird.

273 Tegut-Märkte gab es Ende 2018. In diesem Jahr sind rund zehn Neueröffnungen geplant, darunter erstmals auch zwei Märkte in Heidelberg.

Welche Ziele haben Sie für Ihre Expansion nach München? Wollen Sie da irgendwann so präsent sein wie jetzt in Frankfurt?
Gutberlet: Wir wollen dort eine gewisse Grundpräsenz erreichen. Wir sind uns aber im Klaren, dass es in München genauso lange dauern wird, uns zu etablieren, wie in Frankfurt. Dort haben wir fünf bis zehn Jahre gebraucht, bis die Kunden Tegut richtig kannten. München wird also kein Schnellschuss. Außerdem ist der Markt umkämpft und teuer, denn auch die Wettbewerber wissen, dass aufgrund des demografischen Wandels die Ballungszentren Zukunftsmärkte sind. In Frankfurt oder München entsteht gefühlt jedes Jahr eine neue Stadt. Insofern gibt es also neue Kunden und neue Märkte zu verteilen.

Sommer: Unser Expansionsfokus für das Konzept Supermarkt liegt eindeutig auf Ballungsgebieten – neben Frankfurt und Stuttgart insbesondere München. Dort haben wir jetzt einige Standorte in Planung. Allerdings müssen wir noch viel Arbeit leisten, um uns in den Expansionsgebieten bekannter zu machen. Unsere Erfahrung ist: Die Schwaben lieben uns, wenn sie uns erst einmal entdeckt haben. Sie schätzen unser Preis-Leistungs-Verhältnis, die guten Qualitäten unserer Eigenmarken und unsere Bio-Auswahl. Dieses Jahr haben wir noch einiges an Expansion in Baden-Württemberg, insbesondere im Großraum Stuttgart, vor. Wir eröffnen dort noch einen Nahversorger und im August in Schwäbisch Gmünd einen Supermarkt. Zudem kommen wir Ende des Jahres neu mit zwei Standorten nach Heidelberg – einer davon in der Fußgängerzone. Insgesamt planen wir dieses Jahr rund zehn Neueröffnungen, darunter auch je einen Markt in Erlangen und Fürth.

Wollen Sie langfristig in ganz Süddeutschland präsent sein?
Gutberlet: Ganz Süddeutschland wäre zu viel. Unsere Achse ist Fulda, Darmstadt, Lorsch, Heidelberg, dann Stuttgart und von dort Richtung Ansbach, Nürnberg und künftig München. Das ist schon ein relativ großes Gebiet. Regionen wie den Schwarzwald oder Bodensee lassen wir außen vor.

Welche Pläne haben Sie mit Ihrem Nahversorgerkonzept, den Lädchen?
Gutberlet: Wir wollen auch unser Kerngebiet weiterentwickeln. Aber dort erleben wir weniger Dynamik als in den Großstädten. Seit dem Jahr 2000 hat der Vogelsberg 15 Prozent der Bevölkerung verloren. Wir sind historisch gesehen ein Kleinstadt-Unternehmen und mit den ländlichen Kunden groß geworden. Deshalb sehen wir uns in der Pflicht, ihnen ein Angebot wie das Lädchen zu machen, das sich den veränderten Rahmenbedingungen anpasst. Der Erfolg der Lädchen hängt allerdings stark ab von der Akzeptanz in der jeweiligen Gemeinde und auch von dem Engagement des Betreibers. Wir haben ein Nettowachstum von ein bis zwei Lädchen pro Jahr.

Haben Sie Ambitionen, auch in die Ballungsgebiete im Westen und Norden vorzudringen?
Gutberlet: Nein. Wir brauchen ein gesundes Kerngebiet und überlegen uns, wie viel wir in das Wachstum in Neugebiete investieren wollen. Neue Regionen anzugehen kostet Kraft, etwa im Marketing und in der Mitarbeiterausbildung. Wir sind mit den Gebieten im Süden mutig expansiv unterwegs. In Stuttgart und München haben wir viel zu tun, es gut zu machen. Aktuell besteht kein Bedarf, über andere Regionen nachzudenken.

Tegut ist nicht der einzige Händler, der in die Ballungsgebiete drängt. Was zeichnet Ihr City-Konzept aus?
Sommer: Wir sind ein Problemlöser, wenn der Kunde Hunger und Durst hat. Die Nähe zum Kunden, also der richtige Standort, schlägt da viele andere Faktoren. Darüber hinaus bekommen die Kunden bei uns andere Qualitäten als bei der Konkurrenz, zum Beispiel bei unserem Landprimus-Fleisch-Programm und unserer Bio-Bäckerei Herzberger. Wir punkten mit unserer historischen Stärke, dem hohen Bio-Anteil, der fast 30 Prozent des Umsatzes ausmacht. In den Ballungsgebieten liegen wir zum Teil sogar deutlich über 40 Prozent. Tegut steht für Werte wie Transparenz, etwa bei der Rückverfolgbarkeit bis zum Landwirt, und Nachhaltigkeit, auch was die Mitarbeiterführung und -entlohnung angeht.

Gutberlet: Natürlich ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wir sind gefordert, den Kundenerwartungen immer besser zu entsprechen. Das heißt auch, neue Verzehrgewohnheiten aufzuspüren und neue Produkte auszuprobieren, etwa, wie aktuell, die Insektenartikel. Diese Artikel werden kein großer Umsatzbringer, aber sind interessante und nachhaltige Zusatzangebote.

Ist Handelsgastronomie für Sie ein Thema?
Gutberlet: Klassische Gastronomie mit gekochten Gerichten und Sitzplätzen im Markt eher nicht. In der Richtung habe ich noch nichts gesehen, was mich überzeugt hat. Meiner Meinung nach sind wir auf dem Gebiet nicht so stark wie die Anbieter, die aus dem Gastronomie-Geschäft kommen und die es zuhauf in den Innenstädten gibt. Wir wollen den schnellen, convenienten Verzehr bedienen, der unmittelbar nach dem Einkauf geschieht. Wir bieten zum Beispiel günstig Kaffee an, den der Kunde auch während des Einkaufs trinken kann, und das bringt uns Frequenz, um mehr Backwaren zu verkaufen.

Sommer: Es gibt Filialen, da verkaufen wir mehrere Hundert Brötchen am Tag, die vor Ort belegt werden. Es ist aber gerade in Ballungszentren nicht einfach, noch Mitarbeiter für den Einzelhandel zu finden. Da stellt sich die Frage: Wie können wir uns beim Personal, das keinen direkten Kundenkontakt hat, schlank aufstellen? Möglicherweise können wir solche Aufgaben zentralisiert noch besser machen.

„Die Kooperation mit Amazon ist ein großer Vorteil für uns und kann uns langfristig helfen.“
Thomas Gutberlet

Ist angesichts des Mitarbeitermangels denkbar, dass Sie in Ballungsgebieten Läden ganz ohne bediente Kassen eröffnen, wie es zum Beispiel Amazon Go testet?
Sommer: Mittelfristig müssen wir uns damit beschäftigen und neue Lösungen finden. Schon aus dem Grund, weil Kunden den Kassierprozess an sich lästig finden und manche, wenn auch in seltenen Fällen, dann den Einkauf abbrechen. Bisher hat sich in Deutschland aber keine Variante des Selbst-Kassierens richtig durchgesetzt – auch bei Tegut nicht. In der Schweiz ist das ganz anders. Dort gibt es Filialen, die mit Self-Scanning oder Self-Checkout Anteile von über 50 Prozent realisieren.

Gutberlet: Amazons Technologie funktioniert derzeit nur auf Kleinflächen. Die Genauigkeit liegt nur bei 90 Prozent, und die Investition dafür ist derzeit noch sehr hoch. Außerdem hat man bei solchen Konzepten einen enormen Verpackungszuwachs, damit die Technik ein Produkt erkennt. In Deutschland wäre es nicht vermittelbar, dass wir dafür zum Beispiel jeden Apfel einzeln verpacken.

Zur Fußball-WM 2018 haben Sie in Frankfurt in einem Laden eine 24-Stunden-Öffnung getestet. Ist das eine Option für die Zukunft?
Gutberlet: Es mag vereinzelt Standorte geben, wo das funktioniert. Aber in Deutschland haben wir selbst an Flughäfen und Bahnhöfen nachts nicht die Frequenz, die es dafür bräuchte.

Wie zufrieden ist die Migros mit der Entwicklung von Tegut?
Gutberlet: Wir haben im vergangenen Jahr den Spagat gut hinbekommen, parallel die Gesundung des Unternehmens und die Investition in Expansion voranzutreiben. Wir schreiben auch im Ergebnis wieder schwarze Zahlen. Es macht sich bezahlt, dass wir viel in Konzepte und Sortimentsentwicklung investiert, das Kerngeschäft neu aufgestellt, die Herzberger-Bäckerei wieder integriert und die Expansion in neue Gebiete vorangetrieben haben.

Sommer: Wir haben seit sechs Jahren im Supermarkt-Geschäft nahezu die gleiche Gesamtquadratmeterfläche, und wir haben es trotzdem geschafft, den Umsatz kontinuierlich zu steigern. Nach dieser Flächenstagnation wollen wir wieder mehr Fläche dazugewinnen, was sicher auch einen zusätzlichen Umsatzanstieg bedeutet.