Interview mit Frank Seipelt Mehr Cash und weniger Carry

Professioneller Partner bei der Verpflegung für fast alle Gelegenheiten – mit diesem Anspruch bewegt sich Transgourmet Deutschland im Markt, hat durch Zukäufe neue Felder erschlossen und sondiert neue. Frank Seipelt, Vorsitzender der Geschäftsführung, setzt auf Vielfalt.

Mittwoch, 24. April 2019 - Management
Dieter Druck
Artikelbild Mehr Cash und weniger Carry
Bildquelle: Transgourmet, Jancey Pineda

Transgourmet hat einige bewegte Jahre hinter sich. Unterschiedliche, teils schwergängige Groß- und Einzelhandelsstrukturen wurden, nachdem die Coop Schweiz das Ruder übernommen hat, neugeordnet. Gleichzeitig ist die nationale wie internationale Cash-&-Carry-Branche (C&C) nicht unbedingt eine übermäßig ergiebige Goldader, aber auch nicht so reizlos, wie etwa das nationale Engagement von Edeka zeigt. Transgourmet setzt auf Viefalt: Selgros, Transgourmet, Niggemann, EGV, Frischeparadies und das nun operativ gestartete Joint Venture Food & Beverage mit Dr. Oetker bilden die Entwicklungsplattform.

Cash & Carry – einst die Expansions- und Erfolgsformel im In-und Ausland und jetzt?
Frank Seipelt: Der C&C-Markt in Deutschland ist im Wandel. Damit haben alle Marktteilnehmer zu kämpfen. Die Exklusivität der Cash-&-Carry-Formate, zum Beispiel in Vorzeiten verkörpert durch den Berechtigungsschein für den Großhandelseinkauf, ist in der vergangenen Jahren abhanden gekommen. Die Grenzen zwischen den klassischen Strukturen Großhandel und Einzelhandel lösen sich langsam auf, unter anderem auch wegen der vielfältigen Online-Angebote unterschiedlicher Handelsunternehmen. Ich kann heute auch direkt beim Hersteller bestellen und dabei die Großhandelsfunktion ausschließen.

Online ist für jedes stationäre Handelsformat heute ein ernst zu nehmender Wettbewerber. Aber worin liegt die die C&C-spezifische Herausforderung dieser Tage?
Die Grundfunktion einer Großfläche, dazu rechne ich gleichfalls die SB-Warenhäuser von Real über Globus bis Kaufland, ist heute, beim kundenseitig angestrebten One-Stop-Shopping möglichst viel Sortiment und Service auf einer Fläche zu bieten. Und das, zumindest bei unserer C&C-Sparte, für unterschiedlichste Kundengruppen und -ansprüche. Wir haben den Gastronom, die Geburtsklinik, das Seniorenheim und auch Kreuzfahrtschiffe. Zudem bedienen wir Abhol- und Zustellkunden.

Circa 15.000 Artikel, neben Lebensmitteln auch Ge- und Verbrauchsgüter sowie Großküchenausstattung, umfasst das Vollsortiment von Transgourmet.

Welche Sparten unter dem Transgourmet-Dach stehen für die Zustellung, welche für das Abholen?
Eine messerscharfe Trennung gibt es nicht. Den Zustellformaten zuzurechnen sind Transgourmet, Frischeparadies, EGV und Niggemann. Für das Abholen stehen Selgros, ebenso Niggemann und Frischeparadies. Es ergeben sich also Schnittmengen.

Wie wichtig ist dieses Unterscheidungsmerkmal heutzutage noch?
Für uns bei Transgourmet ist es nicht mehr so entscheidend, wie der Kunde in Kontakt mit dem Produkt tritt, sondern unser Bestreben ist, ihm verschiedene Wege dafür zu bieten. Denn letztlich können wir gar nicht abschätzen, was der Kunde künftig präferieren wird. Für uns sehen wir eine gewisse Verlagerung auf die Zustellung.

Erreicht der Gastronomie-Hype im Handel den C&C-Handel?
Die Handelsgastronomie ist noch ein sehr heterogenes Feld, das zudem als strategisches Modul meist vom Handel selbst gesteuert und teils von eigenen Großhandelsstrukturen beliefert wird. Aber wir erkennen für uns eine Annäherung über Produkte, die außerhalb der unmittelbaren Food-Kompetenz des LEH liegen.

Welchen Status haben die rund 40 klassischen Selgros-Standorte heute? Ist das ein Expansionsfeld?
Mit Selgros versuchen wir, möglichst viele Kunden, die Ware unmittelbar einkaufen und mitnehmen möchten, zu erreichen. Damit decken wir auch unterschiedliche Kaufanlässe wie Vorrats- und Nachkauf ab. Was die Zahl der Standorte angeht, kann ich nur sagen, sie ist passend, wenn die Zahlen stimmen.

Wie kann sich Selgros im C&C-Umfeld profilieren?
Profilierung auf der Großfläche ist schwierig. Aber ich denke, dass wir durch die Beratung im Markt , die Bedienung und das dort nach wie vor über ausgebildete Metzger existente handwerkliche Know-how uns im Wettbewerb abheben können.

Es bestehen auch noch vier Transgourmet-C&Cs. Gibt es Anlass, diese unters Selgros-Dach zu hieven?
Da stellt sich uns die Frage, kann man beide Formate überhaupt zusammenbringen. Diese Transgourmet-Standorte sind nach wie vor spezielle Abholmärkte für Gastronomen. Sie stellen auch keine klassische Großfläche dar, und dort finden Sie nicht das landläufige Spektrum der C&C-Kunden, sondern wirklich überwiegend Gastronomen.

Und was verkörpern die von Oetker übernommenen Frischeparadiese?
Das sind Outlets für beispielsweise Gastronomen und Endverbraucher, die hier nicht ihren Wochenendeinkauf tätigen, sondern auf der Suche nach dem Besonderen sind. Qualitativ bewegen wir uns hier am oberen Level. Treibende Kraft ist der Frischfisch, die Königsdisziplin der Frische und damit ein starkes Differenzierungsmerkmal. Es sind ja auch größtenteils ehemalige Fischgroßhandlungen. Hinzu kommt das Premiumfleischsortiment.

Wie entwickeln sich die Umsätze bei Frischeparadies?
Wir bewegen wir uns hier im hohen einstelligen Prozentbereich, das Ganze überwiegend generiert über den Zustellgroßhandel und wiederum den Frischfisch. Standorte wie Fürth und Leipzig zeigen auch, dass wenn eine gewachsener Fischbasis in der Vorgeschichte fehlt, die Etablierung schwerer fällt.

Wie steht es hier um das Expansionspotenzial?
Ausgehend von den aktuell zwölf Standorten in Deutschland, würde ich das als eher begrenzt bezeichnen, denn ein Frischeparadies braucht ein großes, möglichst dicht besiedeltes Einzugsgebiet und Städte mit bester Kaufkraft. Es sollen neue Standorte in der Schweiz und Österreich dazukommen, in Basel wird demnächst einer eröffnet , danach schauen wir weiter. In Basel sehe ich eine besondere Herausforderung, da wir dort auf bereits in der Breite stark qualitätsorientierte Handelsunternehmen treffen, der Abstand zu Transgourmet in dieser Hinsicht also geringer ausfallen dürfte.

Der klassische Lebensmittel-Einzelhandel setzt auf Eigenmarken. Was macht man bei Transgourmet?
Das Thema Eigenmarke ist extrem spannend. Die Eigenmarkenumsätze im B2B-Markt sind bei uns höher als die addierten Umsätze mit den großen Marken, wobei anzufügen ist, dass Marken in der (Profi-)Küche nicht das Gewicht haben wie im LEH.

„Wir kombinieren unterschiedliche Handelsstrukturen neu, um den sich verändernden Kundenansprüchen zu entsprechen, die über das Sortiment hinaus gehen.“

Welche Funktion haben dann die Handelsmarken im C&C-Umfeld?
Unsere Eigenmarken bieten den Kunden Praxis-Lösungen, die die Marke nicht bereithält. Und diese Lösung besteht nicht primär im Niedrig-Preis. Aber wir haben keine Ambitionen, bei den Eigenmarken eine strategische Expansion einzuleiten. Allerdings müssen wir immer dort reagieren , wo die Marke nicht die Profilösung bereithält.

Mit dem übergreifenden Blick auf E-Food, liefert das Online-Geschäft bei Transgourmet bereits neue Impulse?
Generell erkenne ich derzeit im deutschen E-Food-Sektor viel Euphorie und wenig Ergebnis. Die große Bestell- und Lieferrevolution ist noch nicht in Sicht. Aber Transgourmet mischt natürlich mit. Wenn ich Online als systemische Orderfunktion ohne eine persönliche Bestellannahme definiere, kommen die hierüber generierten Umsätze bei uns bereits an die Milliardengrenze. Die über die ‘kleine‘ Gastronomen-App realisierten Umsätze haben sich in den vergangenen vier Jahren verdreißigfacht. Also ein unwahrscheinlich starker Zug, auf den wir reagieren. Unsere Digitalverantwortlichen versichern mir, dass wir keinen Vergleich mit den großen B2C-Händlern scheuen müssen.

Passt Online für das Frischeparadies?
Das muss sich erst noch zeigen. Gemessen am dominierenden, aktiven Telefonverkauf in Richtung Gastronomie und die damit verbundene Zustellung, ist der B2C-Bereich via Webshop ein sehr zartes Pflänzchen. Auch fällt es sicherlich schwer, die besondere Qualität eines Lachssteaks über diese Schiene zu vermitteln. Und über die B2C-Zustellung wird zwar in Deutschland viel geredet, aber kaum einer verdient Geld. In der Schweiz bewegen wir uns da auf einem viel profitableren Niveau. Also mal sehen.

Was ist beim Team Beverage, dem Joint Venture mit Oetker, bereits zu sehen?
Ja, wir sind seit Jahresbeginn aktiv und haben uns aus meiner Sicht nicht allzu lange mit Grundsatzdiskussionen aufgehalten, dank einer relativ großen Schnittmenge, sondern waren schnell im Arbeitsmodus.

Welche Herausforderungen stehen jetzt an?
Das ist sicherlich die Harmonisierung der Welten von Radeberger und Team Beverage. Und Ziel ist es, den zunehmend prozessual denken Kunden die Lösung, die Essen und Trinken zusammenbringt und die 70 bis 90 Prozent seines Warenabsatzes abdeckt, aus einer Hand zu bieten. Der erste Schritt dabei, mehr als 8.000 Gastronomen quasi als Neuzugänge, in diese Welt einzubeziehen. Hochspannend!