Mit den meisten Neuheiten aus der Gründerszene kann man erstmal kein großes Geld verdienen. Im Gegenteil. Was treibt Sie an?
Dirk Goerzen: Ich betrachte uns als Trüffelschweine. Ich möchte den Red-Bull- oder Bionade-Erfinder von morgen entdecken. Das habe ich mir auf die Fahne geschrieben.
Wollen das nicht viele Ihrer Händler-Kollegen?
Die Edeka-Zentrale in Hamburg unterstützt Händler wie mich mit der Foodstarter-Plattform, die die Zusammenarbeit mit den Gründern erleichtert. Aber es gibt auch Kollegen, die das belächeln. Jemand hat mal zu mir gesagt: „Goerzen, was machst du eigentlich da? Die Aufgabe des Kaufmanns ist es, dafür zu sorgen, dass morgens das Licht angeht und genügend Personal hinter der Bedientheke steht. Themen wie Start-ups machen höchstens die vierte Stelle hinter dem Komma beim Umsatz aus.“ Der Mann hat natürlich irgendwo Recht, aber mir macht das trotzdem Spaß.
Foodstarter ist eine Plattform für die rund 4.000 selbstständigen Kaufleute. Gründer stellen hier offiziell seit knapp drei Monaten online ihr Produkt vor, während die Einzelhändler sich die Vorschläge ansehen und bei Interesse direkt ein Probepaket anfordern können.
Stichwort Foodstarter. Wie funktioniert das Projekt und nehmen Sie das Angebot war?
Ich bin froh, dass wir das Food-Tech-Projects-Team in der Hamburger Zentrale haben. Die haben sich des Themas angenommen und treffen für uns bei den unzähligen Start-up-Projekten eine gewisse Vorauswahl. Teilnehmende Händler bekommen einmal in der Woche per SMS 3 bis 5 neue Produkte vorgestellt. Dabei halte ich natürlich Ausschau nach den Dingen, die noch keiner hat. Das x-te Craft Bier oder die 40. Erdbeermarmelade braucht keiner.
Das klingt sehr anonym. Wie wichtig ist Ihnen der direkte Kontakt mit den Gründern?
René Drißang: An erster Stelle steht für uns das Produkt. Das muss uns überzeugen. Aber der persönliche Kontakt kann durchaus auch sehr wichtig sein um, um sich einer Idee überhaupt erst zu öffnen. Das war beispielsweise bei Grillido so. Die Jungs haben wir beim Symposium „Feines Essen und Trinken“ getroffen und hatten gleich einen guten Draht zu denen, inhaltlich sehr konstruktiv. So kam es zu der ersten Bestellung. Ähnlich war es bei Frau Frucht und Herr Gemüse (Hersteller von Aufstrich. Anm. d. Redaktion). Trotzdem: Grundsätzlich geht es um das Produkt. Das muss sich von selbst verkaufen.
Abgrenzung
Dirk Goerzen weiß, dass er sich als Händler immer mehr vom Discount und Online-Geschäft abgrenzen muss. Beispielsweise mit diesem Ingwer Drink von Kloster Kitchen. Der hat zwar einen stolzen Preis, findet aber bei seinen Kunden durchaus Anklang.
Sie können jetzt mal die Werbetrommel rühren. Was ist Ihre aktuell spannendste Neuentdeckung und warum?
Goerzen: Einer unserer stärksten Lieferanten ist Hafervoll. Das sind handwerklich hergestellte Haferriegel aus England. Ich mache diesen Job im Markt seit 30 Jahren und bilde mir ein, beurteilen zu können, was läuft und was nicht funktioniert. Ich war am Anfang skeptisch, aber diese Produkte laufen gut. Außerdem erfolgreich sind die bekannte Marke Grillido und Chimpanzee, die proteinreiche Energie-Riegel produzieren.
Drißang: Favoriten sind immer geschmacksabhängig. Chimpanzee kommt derzeit aber am besten bei den jungen Leuten an. Die Hersteller, die für das Produkt stehen, treffen unsere Zielgruppe. Das sind in erster Linie junge Leute, Studenten, die auf Innovationen stehen und immer was Neues brauchen, um den eigenen geschmacklichen Horizont zu erweitern.
Verkauft sich das auch?
Goerzen: Displayweise, ja.
Dem unübersichtlichen Angebot aus der Gründerszene stehen relativ wenige richtig erfolgreiche Produkte gegenüber. Aktuelle Positivbeispiele sind Grillido, Koawach oder Mymuesli. Woran liegt das?
Start-up-Gründer kommen nicht selten direkt von der Uni. In der Regel gab es da eine Idee, die auf einer Studentenparty geboren wurde. Allerdings kennen diese Leute den Markt, den Handel nicht. Die machen zu Beginn einige Fehler.
Drißang: Die Ideen und Intentionen sind meistens sehr gut, aber es scheitert an der Umsetzung. Beispiel Verpackung: Da bringt ein Start-up ein Produkt in einem viel zu großen Glas auf den Markt. Da ist es dann logistisch schon eine Herausforderung, dieses Glas auf die Fläche zu bringen, da die Vertriebskosten zu hoch sind.
Goerzen: Es gibt Produkte, die ich liebe, aber die wegen der Verpackung und den damit verbundenen Kosten floppen. Wie dieses Produkt (zeigt ein Glas mit einer Suppe. Anm. d. Redaktion): Karotten Ingwer Kokos Suppe. Kostet 3,34 Euro im EK-Preis, also mit einem VK-Preis von 5,99 Euro. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kunden für 350 ml diese Summe bezahlen. Oder das hier (Pistaziencreme Anm. d. Redaktion). Das ist mein Geheimtipp. Verkaufspreis 6,95 Euro.
Drißang: Das ist der Soundtrack von Startup. Es gibt viele tolle Produkte, aber die Leute kennen es nicht und sind nicht bereit, einen hohen Preis zu bezahlen.
Goerzen: Der Preis ist oft die Schwelle.
Gibt es neben schlecht kalkulierten Konzepten noch andere Hindernisse, die die Zusammenarbeit erschweren?
Einige Produkte sind beispielsweise nicht verkehrsfähig. Stichwort Mehlwürmer. Ich finde Insekten total spannend, aber wir mussten die Marke „Snack Insects“ wieder aus den Regalen nehmen, da herauskam, dass sie so gar nicht verkauft werden dürfen. Das wussten weder das Start-up noch wir. Auch der Grüne Punkt ist ganz wichtig. Die Entsorgung der Umverpackung muss geregelt sein, Neuheiten ohne Grünen Punkt nehmen wir in der Regel nicht in das Sortiment auf. Auch die Logistik ist ein Thema. Man spricht mit Gründern über Lieferbarkeit, und die versichern dir, das sei kein Problem. Und dann kommt der Erstauftrag, und es gibt Probleme. Das ist für uns Händler sehr ärgerlich. Beim Zusammentreffen mit dem einen oder anderen Start-up-Gründer sind wir auch erstaunt über das mangelnde Wissen über MHD oder EAN-Code.
Wie viel Zeit geben Sie einer Neuheit, um sich im Markt zu beweisen?
Drißang: Mein Chef ist dafür bekannt, dass er Gäule auch gerne mal totreitet. Bis zum bitteren Ende kriegt jedes Produkt, das uns sympathisch ist, eine faire Chance.
Goerzen: In der Regel behalte ich etwas, bis das MHD uns trennt. Das gilt zumindest für die Produkte hinter denen ich stehe, und wo ich mit gewissem Herzblut dabei bin. Manchmal klappt das aber auch nicht.
Die wenigsten Produkte verkaufen sich aber von selbst, und Start-ups haben in der Regel nur ein kleines Budget für Werbung.
Also, in der Regel haben sie gar keins (lacht). Displays beispielsweise sind für viele zu teuer. Wir unterstützen die Produkte mit Verkostungen und Zweitplatzierungen. Für die Neuheiten ist eine Platzierung in der Kassenzone natürlich das Beste, denn häufig sind das Impulskäufe. Ob und mit wem ich das mache, hängt durchaus von meiner Sympathie gegenüber dem Produkt ab. Grillido habe ich auch schon im Handzettel beworben. Wenn ich sowas mache, verlange ich dann aber auch eine gesicherte Warenversorgung. Da gab es schon den einen oder anderen Flop.
In welcher Warengruppe sind die Gründer denn am innovativsten?
Ich würde sagen, etwa 10 Prozent der Neuheiten sind wirklich innovativ. Wir brauchen nicht den 100. Energy-Riegel. Ich habe in meinem Laden mehr als 30.000 Produkte stehen. Ich suche Dinge, die es noch nicht gibt, spannende Konzepte und Geschichten. Davon abgesehen passiert bei den Getränken sehr viel. Helga, ein Getränk auf Algenbasis, ist ein Beispiel dafür oder Kale&Me, Säfte auf der Basis von Pflanzen. Eine Erfolgsstory gibt es ja auch mit True Fruits und den Smoothies. Da ist vor Jahren eine völlig neue Kategorie entstanden, die sich mittlerweile fest etabliert hat und erfolgreich ist.