Neue Märkte Yes, you can

Ein detaillierter Blick auf Schwellenländer lohnt sich auch für mittelständische Unternehmen.

Samstag, 07. Januar 2017, 23:54 Uhr
Nicole Ritter
Artikelbild Yes, you can
Bildquelle: GettyImages

Sobald meine Kollegen diesen Artikel sehen, werden sie sich vermutlich von ihrem Platz erheben, zu mir zu kommen und zu sagen: „Also, diese Überschrift, die ist ja ganz schön effekthascherisch. Mein lieber Schwan.“ Und ich werde seelenruhig meine Kaffetasse abstellen und antworten: „Mag sein, aber das ist schon in Ordnung. Denn erstens konkurriert mein Artikel mit vielen anderen, und ich will ja, dass er gelesen wird. Und zweitens ist es wirklich so, dass viele Mittelständler vor dem Sprung in Schwellenländer zurückschrecken, weil sie daran zweifeln, eine echte Chance zu haben. Und denen wollte ich schreiben, dass es sich lohnt, die Möglichkeiten dort einmal genau unter die Lupe zu nehmen.“ Und dann schleichen meine Kollegen hoffentlich gesenkten Hauptes und mit hängenden Schultern an ihre Plätze zurück, um mein Gehalt zu erwirtschaften, während ich wieder in Ruhe Tetris spielen kann.

Asien und Afrika
Vor einigen Jahren sprach ich in Johannesburg mit einem südafrikanischen Lebensmittelhersteller über Exportmöglichkeiten in Asien. Das Gespräch endete damit, dass der Repräsentant einer führenden Marke in leicht resigniertem Tonfall sagte: „Es ergibt ja nicht viel Sinn für uns, nach Asien zu exportieren. Wir Afrikaner“ – das hat er tatsächlich so gesagt – „verstehen diese Märkte einfach nicht.“ Die Frage, ob er es sich angesichts eines immer stärker werdenden internationalen Wettbewerbsdrucks in einer stagnierenden Volkswirtschaft denn leisten könne, nicht einmal zu versuchen, die asiatischen Märkte zu verstehen, konnten wir dann zum Glück bei anderer Gelegenheit vertiefen. Für viele europäische Mittelständler stellt sich die Frage heute ebenso. Und der genaue Blick auf zunächst unscheinbare Märkte lohnt sich.

Strategische Kernmärkte
Unscheinbare Märkte von überschaubarer Größe sind für mittelständische Exporteure zunächst besonders geeignet – in einem fremden Umfeld empfiehlt es sich, die Komplexität gering zu halten und strategische Entscheidungen im Zusammenhang mit logistischen Investitionen und der Auswahl von Distributionspartnern möglichst reversibel zu gestalten.

Die große Lehre aus den 1990er-Jahren im Lebensmittelhandel war vermutlich, dass eine Expansionsstrategie mit möglichst breiter geographischer Streuung nicht zwangsläufig nachhaltig ist: In möglichst vielen Ländern eine Mitläuferrolle zu spielen, verspricht weniger Erfolg als eine klare Entscheidung für wenige strategische Kernmärkte, in denen dann mit den vorhandenen Ressourcen eine marktführende Rolle angestrebt wird. Im internationalen Diskurs ist das sogenannte „flag planting“, das strategische Besetzen bestimmter Positionen, hier das Stichwort für einen überwiegend gescheiterten Ansatz.

Auf exportierende Konsumgüterhersteller lässt sich der Denkansatz relativ gut übertragen. Besondere Chancen ergeben sich aber dadurch, dass ein Markteintritt für Hersteller mit geringeren finanziellen Risiken behaftet ist als für Händler. Und auf die westlichen Händler zu warten, auf deren Rücken man in die Märkte reiten kann, lohnt sich in den meisten Schwellenländern bekanntermaßen kaum.

Außerhalb der saturierten Märkte Westeuropas bieten sich die wachsenden Mega-Städte (siehe dazu meinen Beitrag in LP 19/2016) in zahlreichen Schwellenländern als überschaubare Märkte an. In China allein gibt es acht solcher Mega-Citys mit mehr als 10 Mio. Einwohnern. Weltweit sind es 31 Städte, von denen mit Moskau und Istanbul nur zwei in Europa liegen – und selbst die stehen mit einem Fuß in Asien. Der Blick über den europäischen Tellerrand lohnt sich also durchaus.

Wenig Saturiert
In den kommenden Wochen und Monaten werden wir uns, wie bereits angekündigt, in loser Abfolge an die Chancen und Herausforderungen in verschiedenen geografischen Regionen und einzelnen Megastädten herantasten. Die großen globalen Player (Coca-Cola, Nestlé, P&G, Unilever) sind dort zumeist schon seit den 1970er-Jahren vertreten. Aber die Märkte sind weit davon entfernt, saturiert zu sein. Wer schon einmal die Produkte von Haribo und Ritter Sport in einem südafrikanischen Provinz-Supermarkt gesehen hat, ahnt die Vielzahl und das Ausmaß der Möglichkeiten.

Im Bild sehen wir einen Händler aus Soweto, Johannesburg. Auf maximal 30 qm verkauft er ca. 200 Artikel, darunter mindestens 50 internationale Marken, die er überwiegend im Cash-&-Carry-Markt einkauft. In Südafrika gibt es 200.000 solcher sogenannten Spaza-Shops. Der durchschnittliche Township-Bewohner läuft von seiner Haustür nur 280 m bis dorthin und ist deshalb fast täglich dort.