Demografischer Wandel Von wegen "Altes Eisen"

Der demografische Wandel verlangt vom Handel neue Konzepte. Nicht nur in der Kundenansprache. Es ist auch eine neue Personalpolitik gefragt: eine, die die größer werdende Ressource „Alter" berücksichtigt.

Donnerstag, 10. Februar 2011 - Management
Dörte Fleischhauer
Artikelbild Von wegen "Altes Eisen"
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Die Wirtschaft entdeckt die Alten. Das ist weder despektierlich noch provokant: Der demografische Wandel, dessen Dimension wir bisher nur schätzen können und dessen Wirkung auf die Bevölkerungszahlen gern mit „wir werden weniger, älter und bunter" umschrieben wird, hinterlässt erste Spuren. Die Silberhaarigen sind schon jetzt die Gruppe mit der größten Kaufkraft und sie sind bereit, diese Kaufkraft in Konsum umzusetzen. Die Handelsunternehmen passen auf breiter Front ihre Marktstrategien an das Kaufverhalten dieser sehr solventen Zielgruppe an: vom Marketing über Ladenbau und Lichtgestaltung bis hin zur Schulung des Verkaufspersonals. Doch die „Jungen Alten", „Best Ager" oder „Silver Generation" – wie auch immer sie genannt werden – sind nicht nur als Kunden immer mehr gefragt, auch ihre Wertschätzung als Arbeitnehmer steigt im Zuge des demografischen Wandels.

„Die Beschäftigungschancen von älteren Arbeitnehmern werden sich mit zunehmendem Fachkräftebedarf erhöhen", sagt Dr. Jürgen Pfister, der diesem Thema bis vor Kurzem als Bereichsleiter Personal & Soziales der Metro Group viel Aufmerksamkeit widmete und dies als Vorstandsvorsitzender des Demographie Netzwerks (ddn) noch immer tut. „In der Vergangenheit waren in den Unternehmen Altersbilder an der Tagesordnung, die das Einhergehen von Alter und Erwerbstätigkeit ausgeschlossen haben." Dabei gebe es viele Ältere, die noch arbeiten wollten, die die gleiche Motivation, Flexibilität, Lernbereitschaft und mindestens genauso viel Know-how vorweisen könnten wie ihre jüngeren Kollegen. Laut Eurostat liegt der Anteil der Erwerbstätigen der 55- bis 64-Jährigen bei mehr als 50 Prozent. „Es findet langsam ein Umdenken statt", so der Personalexperte weiter. Die Unternehmen reagieren; wenn auch in vielen Branchen schneller als im Handel: Sie setzen sich mit den neuen gesellschaftlichen Notwendigkeiten auf verschiedene Art und Weise auseinander; manche vordergründig, manche glaubwürdig. In den letztgenannten Fällen ist oft die Folge, dass die vorhandenen Altersteilzeitmodelle abgeschafft werden, die seit den 90er-Jahren für eine – staatlich geförderte – Freisetzung Älterer sorgten.

Wie Handelsbetriebe den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft begegnen können, zeigt das Beispiel Galeria Kaufhof: Das Unternehmen forciert seit mehr als zwei Jahren den Umbau seiner Häuser zur barrierearmen „Galeria für Generationen". Die Demografiearbeit wird aber nicht nur in den Verkaufsräumen betrieben. Andrea Ferger-Heiter, Demografiebeauftragte des Konzerns, legt Wert auf die Feststellung, dass dies ganzheitlich und nachhaltig geschehe, und das bedeute „nach außen wie auch nach innen: Ein Drittel unserer Mitarbeiter ist 50 Jahre oder älter." Statt ältere Kollegen in den vorgezogenen Ruhestand zu schicken, setze man auf Gesundheitsprogramme und individuelle Weiterbildung, um die Belegschaft fit zu halten. „Wir unterstützen unsere Mitarbeiter, damit sie gesund und leistungsfähig im Betrieb älter werden können, denn wir wollen sie solange wie möglich im Arbeitsprozess halten", sagt Ferger-Heiter. Dazu gehöre auch, wenn möglich auf die Bedürfnisse der älteren Mitarbeiter einzugehen, beispielsweise wenn sie den Wunsch hätten, Teilzeit zu arbeiten, oder dass Schulungen regional veranstaltet würden, um Reisezeiten zu vermeiden. Natürlich bedeute die Altersstruktur der Belegschaft auch, dass man in absehbarer Zeit einen Teil verlieren werde. Doch diesem Prozess sollen Strukturanalysen und darauf basierend eine gezielte Nachwuchsförderung – die durchaus auch rein standortabhängig sein kann – entgegenwirken.

Bei Rewe hat man, um dem demografischen Wandel zu trotzen, 2008 ein entsprechend ausgerichtetes Projekt in der Logistik ins Leben gerufen. „Der Großteil der Tätigkeiten im Logistikbereich ist mit hoher körperlicher Belastung verbunden", so Rewe-Sprecher Andreas Krämer über die Gründe: Ein Kommissionierer bewege im Jahr ungefähr das Gewicht von 1.000 Rewe-Lkw. Die Zeit dieser Belastungen erhöhe sich mit der Verschiebung des Renteneintrittsalters erheblich und dadurch bedingt träten mit zunehmendem Alter vermehrt Leistungsminderungen und erhöhte Fehlzeiten auf. In das Projekt wurden Mitarbeiter aller Bereiche und Hierarchiestufen, der Betriebsrat und die Personalabteilung einbezogen, um zu prüfen, wo Veränderungsbedarf besteht. Ergebnis: der Einsatz neuer Stapler mit Kippkabine, von Rückenstützgurten und Scherenhubgeräten. Eine Job-Rotation wurde eingerichtet, die Umsetzung von Mitarbeitern unter Berücksichtigung ihres Alters und eventueller Krankheitsbilder veranlasst, Aushilfen werden eingesetzt, um Überstunden zu vermeiden, individuelle Arbeitszeitmodelle, Fitness- und Gesundheitspräventionsprogramme angeboten.

Gerade ältere Menschen legen beim Einkauf Wert auf Service und Beratung, auf Fachpersonal, das sie als vertrauenswürdig einschätzen. Ein Grund, warum die Handelskonzerne das Thema Bedienungstheken im Lebensmittelhandel wieder für sich entdeckt haben. Bei Real hat man daran ein besonderes Projekt gebunden. In mehr als 100 Märkten betreibt Real Fischbedienungstheken. Für das Personal, das hier eingesetzt werden sollte, gab es jedoch kein Berufsbild. Gerade für ältere und branchenfremde Mitarbeiter ein schwerwiegendes Manko. Also entwickelte man in Zusammenarbeit mit der IHK das Konzept für eine Ausbildung zur Fachkraft für Frischfisch und Fischfeinkost im Handel (IHK). Knapp 240 Real-Mitarbeiter haben diese Ausbildung seit deren Einführung 2007 durchlaufen, 40 Prozent der Teilnehmer waren 41 bis 50 Jahre alt, knapp 19 Prozent hatten ein Alter von 51 bis 60 Jahren. „Diese Maßnahme diente nicht nur der Mitarbeiterschulung. Sie sollte jüngere wie auch ältere Mitarbeiter motivieren, in Zukunft noch enger zusammenzuarbeiten, um ihre Erfahrungen und ihr Wissen auszutauschen. Und sie sollte insbesondere den älteren Mitarbeitern Wertschätzung vermitteln, ihnen zeigen, dass sie nicht zum ‚alten Eisen' gehören", so Jürgen Munsch, Bereichsleiter Personalentwicklung bei Real und Leiter dieses Projektes. „Die Kollegen machen noch immer ihren Job mit sehr viel Begeisterung."

Natürlich, und das betonen alle, die sich mit der Thematik rund um ältere Arbeitnehmer auseinandersetzen, liegt das Heil im Umgang mit dem demografischen Wandel nicht darin, nur auf die Silberhaarigen zu setzen. Das käme letztlich einer von den Älteren dominierten Struktur der Arbeitswelt gleich. „Ausgewogenheit in der Personalstruktur ist der Schlüssel: Zukunftsfähig ist letztlich nur das Arbeiten in altersgemischten Teams, alles andere wäre betriebswirtschaftlicher Unsinn", sagt Pfister. Doch damit zeigt sich die nächste Herausforderung, die der Handel meistern muss: Auch in der Leitungsebene, die oft sehr leistungs- und kostenorientiert ist, muss ein Umdenken stattfinden. Hier fehle oft die Erfahrung im Führen altersgemischter Teams, wie sie im Verkauf bereits zu finden sind, sagt der Personalexperte. „Ob jemand mit 65 beziehungsweise bald mit 67 in Rente geht oder noch länger im Unternehmen bleibt, ist auch vom gesellschaftlichen Umfeld abhängig, also von der ‚Altersakzeptanz' und damit eine mentale Sache", sagt Pfister. Das Potenzial, das Ältere dem kommenden Fachkräftemangel entgegenbringen können, sei demzufolge noch lange nicht ausgeschöpft.

Das sagt der Handel: