Warenverkaufskunde Kräuterliköre

Kräuterliköre, Bitter und Halbbitter werden in einer geheimnisvollen „Kräuterküche“ hergestellt. Allein die Gewinnung der Kräuterextrakte ist eine Wissenschaft für sich. Die wichtigsten Fakten kurz erklärt.

Freitag, 11. März 2022 - Warenkunden
Hedda Thielking
Artikelbild Kräuterliköre
Die Kräutermischung in Kräuterlikören ist geheim.
Bildquelle: Underberg/Diversa Spezialitäten, Getty Images

Kräuterliköre haben eine jahrhundertelange Tradition. Um das Jahr 1500 destillierte der „Wundarzt“ Hieronymus von Brunschwig als einer der Ersten in Europa mit Kräutern versetzten Alkohol und verwendete ihn zu medizinischen Zwecken. Ab dem 17. und 18. Jahrhundert waren in Europa Kräuter aus der ganzen Welt verfügbar. Somit standen schnell unterschiedlichste Kräuter mit wertvollen Inhalts- und Aromastoffen zur Verfügung. Bald begannen auch Gastwirte, ihre eigenen Balsame und Bitter aus heimischen sowie exotischen Kräutern zu produzieren, und boten sie ihren Gästen als Getränk an. Mit der Zeit wurden die Herstellungsverfahren immer weiter verfeinert und überliefert – besonders von Apothekern, Ärzten und Mönchen. So werden auch heute noch in manchen Klöstern Kräuterliköre bzw. Kräuterbitter hergestellt.

Likör, Bitter, Halbbitter
Im Allgemeinen spricht man bei den Spirituosen auf Kräuterbasis von „Kräutern“ oder „Kräuterlikören“. Und was sind dann Bitter und Halbbitter? Die Spirituosenverordnung definiert zumindest die Begriffe Bitter und Liköre sinngemäß so: Bei einem „Bitter“ handelt es sich um eine Spirituose mit „vorherrschend bitterem Geschmack“. Sie kommen häufig auch als Kräuter- oder Magenbitter in den Handel. Hierfür wird Trinkalkohol mit natürlichen und/oder naturidentischen Aromastoffen oder -extrakten aromatisiert. Der Mindestalkoholgehalt beträgt wie bei allen Spirituosen 15 Prozent, viele Bitter sind mit etwa 35 bis 45 Vol.-Prozent Alkohol aber deutlich hochprozentiger. Bitter können mit oder ohne Zucker hergestellt sein, wobei sie weniger als 100 Gramm Zucker pro Liter enthalten müssen.

Liköre, und dazu gehören auch Kräuterliköre, enthalten mindestens 100 Gramm Zucker pro Liter. Der Zusatz von bestimmten Aroma- und Farbstoffen ist erlaubt. Auch viele Kräuterliköre enthalten mehr als 15 Vol.-Prozent Alkohol.

Halbbitter gehören lebensmittelrechtlich zu den Likören, da sie ebenfalls mindestens 100 Gramm Zucker pro Liter aufweisen. Die Bezeichnung Halbbitter ist in der Spirituosenverordnung aber nicht definiert, und in der Praxis werden häufig die Begriffe „Kräuterlikör“ sowie „Amaro“ für italienische Erzeugnisse verwendet. Diese Produkte unterscheiden sich geschmacklich, denn sie sind in der Regel nur leicht herb und sie haben einen süßeren Geschmack.

Ob es sich bei einer Spirituose um einen Bitter oder einen Kräuterlikör bzw. Halbbitter handelt, hängt also vor allem vom Zuckergehalt ab.

Kräuter extrahieren
Für die Herstellung von Kräuterlikör, Halbbitter oder Bitter werden je nach Marke und Produkt unterschiedlich viele Kräuter verwendet. In der Praxis sind es bis zu 50 verschiedene Zutaten bzw. Kräuter, die von den Herstellern aus etlichen Ländern der Welt importiert werden. Zu den am meisten verwendeten Zutaten gehören im Allgemeinen Enzian, Anis, Zimt, Nelken, Ingwer, Bitterorangen und Süßorangen. Verwendet werden mitunter auch Blüten, Blätter, Samen, Beeren, Früchte, Wurzeln und Rinden von Pflanzen sowie Gewürze. Wie die Kräutermischung zusammengesetzt ist, bleibt häufig ein wohlgehütetes Familien- oder Betriebsgeheimnis.

Die Herstellung von Kräuterlikör und Bitter ist ein äußerst komplexes Verfahren, das von sehr vielen Qualitätskontrollen begleitet wird. Zuerst werden die Kräuter meist zerkleinert und getrocknet. Gegebenenfalls werden sie danach weiter zerkleinert. Mithilfe unterschiedlicher Verfahren wird nun das Kräuterextrakt bzw. der Kräuterauszug gewonnen.

Mazeration
Bei der Mazeration, auch Kaltextraktion genannt, handelt es sich um das einfachste und älteste Verfahren. Dafür werden die zerkleinerten Kräuter mit „Ansatzsprit“ (einem hoch- oder niederprozentigen Alkohol-Wasser-Gemisch) versetzt. Die Inhaltsstoffe und Aromen werden aus den Kräutern extrahiert und gehen in das Alkohol-Wasser-Gemisch über. Die Mazeration findet bei Raumtemperatur statt (daher Kalt‧extraktion) und dauert von wenigen Tagen bis zu mehreren Wochen. Es handelt sich um ein sehr schonendes Verfahren zur Gewinnung des Kräuterextraktes.

Digestion
Die Digestion erfolgt ähnlich wie die Mazeration, hier erfolgt die Extraktherstellung zusätzlich unter Wärmezufuhr. Auf diesem Wege geht die Extraktion zwar schneller vonstatten, allerdings kann dies auch den Geschmack des Kräuterauszugs deutlich beeinflussen, da hitzeempfindliche Inhalts- und Aromastoffe abgebaut bzw. freigesetzt werden.

Perkolation
Hier werden die Kräuter mit Ansatzsprit befeuchtet und in einem trichterförmigen Gefäß, dem Perkolator, aufgeschichtet. Dann wird von oben kontinuierlich Ansatzsprit zugegeben, der langsam durch den Trichter fließt und als Extrakt aus dem Trichter herausläuft. Es wird so lange Ansatzsprit nachgefüllt, bis die Kräuter vollständig ausgelaugt sind. Die Perkolation erfolgt bei Raumtemperatur. Es handelt sich um ein rationelles und effizientes Verfahren. Da hier ständig Ansatzsprit nachgefüllt wird, können auch unerwünschte Stoffe extrahiert werden, die Geschmack und Qualität beeinflussen.

Destillation
Bei der Destillation werden die Kräuterauszüge (das Mazerat, Digestat oder Perkolat) langsam erhitzt. Dabei verdampfen flüchtige Bestandteile wie Alkohol, Wasser und verschiedenste Aromastoffe. Die Dämpfe gelangen durch ein Rohr in ein Kühlsystem. Dort kühlen die Dämpfe ab, kondensieren dabei und werden als Destillat aufgefangen. Die Kräuterdestillation dient dazu, dass leicht flüchtige Bestandteile, wie ätherische Öle und Alkohol, von schwer flüchtigen Bestandteilen, wie Harzen und Bitterstoffen, getrennt werden.

Vermählen, Ausmischen, Reifen
Ob ein oder mehrere Extraktionsverfahren zum Einsatz kommen, variiert je nach Hersteller und Produkt. Die Unternehmen lassen sich da nicht in die Karten schauen. So können bestimmte Kräutermischungen auch mit unterschiedlichen Verfahren extrahiert und das jeweilige Mazerat, Digestat, Perkolat oder Destillat anschließend „vermählt“ werden. Filtrationen sorgen zudem dafür, unerwünschte Schweb- und Begleitstoffe zu entfernen.

Das Kräuterextrakt hat meistens eine dunkelgrüne bis dunkelbraune Farbe. In unserem Beispiel hat der Kräuterbitter einen zuckerfreien Extraktgehalt von 12 Gramm pro Liter. Manche Bitter enthalten noch zusätzliche natürliche/naturidentische Aromastoffe, teilweise werden sie mithilfe von Honig gesüßt. Für Liköre/Halbbitter kommen Zucker, gegebenenfalls Aromen und teilweise Farbstoffe hinzu. Viele Hersteller lagern ihre „Kräuter“ zum Reifen in speziellen Holzfässern.

Kennzeichnung
Auf dem Flaschenetikett der Spirituosen muss weder eine Zutatenliste noch eine Nährwerttabelle stehen. Da alle Spirituosen einen Alkoholgehalt von mehr als 10 Vol.-Prozent haben, ist auch kein Mindesthaltbarkeitsdatum erforderlich. Mögliche Allergene sind aber auch bei Spirituosen kennzeichnungspflichtig.

Im Handel
Damit der Kunde sich in der Spirituosenabteilung besser orientieren kann, sollten Schilder oder Regalstopper auf die „Kräuter“ hinweisen. Ankermarken für Bitter und Kräuterliköre/Halbbitter sollten den jeweiligen Regalbereich eröffnen und gehören in die Sichtzone. Preiseinstiegsprodukte werden in den unteren Regalböden einsortiert. Darüber hinaus gehören Kräuterliköre in die Zweitplatzierung, vor allem zu saisonalen Anlässen wie zur Grillsaison. Auch kulinarische Themenplatzierungen bieten sich an, sei es zu Gans/Wild, mediterranen Speisen oder zu festlichen Anlässen. Es empfiehlt sich daher, Kunden mittels Saison- und Themenplatzierungen auf die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten der Kräuterliköre aufmerksam zu machen.

Tipps für Verbraucher
Für „Kräuter“ gibt es keine „Soll-Trinktemperatur“, sondern eine breite Temperaturspanne von stark gekühlt bis zur Zimmertemperatur. Sie werden meistens pur getrunken, häufig in geselliger Runde als Digestif nach dem Essen. Ob ein Kräuterbitter oder -likör als Verdauungsschnaps nach einem gehaltvollen Essen tatsächlich verdauungsfördernd ist, ist wissenschaftlich nicht bewiesen. Viele Verbraucher empfinden diesen Digestif jedoch als wohltuend, was vor allem dem Kräuterextrakt und weniger dem Alkohol zuzuschreiben ist. „Kräuter“ kommen aber auch auf Festen gut an, sei es als Begleiter zum kühlen Bier oder zu herzhaften Speisen. Auch Cocktails und Longdrinks lassen sich damit mixen. Selbst zum Marinieren von Grillfleisch sollen sich Kräuterliköre eignen. Rezeptvorschläge gibt es häufig auf den Internetseiten der Hersteller.

Wissen checken

Wer gut gelesen hat, kann die folgenden Fragen beantworten.

{tab=Frage}

  1. Was versteht man unter Bitter?
  2. Worin unterscheidet sich ein Kräuterlikör hauptsächlich von einem Bitter?
  3. Wofür werden Bitter und Kräuterliköre verwendet?

{tab=Antworten}

  1. Bitter haben einen deutlichen Bittergeschmack und weniger als 100 Gramm Zucker je Liter.
  2. Kräuterliköre dürfen mehr Zucker enthalten und schmecken weniger bitter.
  3. Pur als Digestif, für Longdrinks, Cocktails, Grillmarinaden.

Die Warenverkaufskunde erscheint regelmäßig als Sonderteil im Magazin Lebensmittel Praxis. Wir danken Diversa Spezialitäten GmbH, Rheinberg, für den fachlichen Rat und das zur Verfügung gestellte Material.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Wurden Spirituosen auf Kräuterbasis im Mittelalter eher für medizinische Zwecke verwendet, dienen sie heute vor allem als Genussmittel.
Bild öffnen Die Kräutermischung in Kräuterlikören ist geheim.
Bild öffnen Aus Enzian wird auch ein sortenreiner Kräuterlikör hergestellt.
Bild öffnen Kleine Gebinde eignen sich auch gut für Zweitplatzierungen.

Weil Branchenbeste mehr erreichen!