Interview Energie- und CO2-Kosten werden zunehmend zu einem Wettbewerbsfaktor

Was gilt es bei der Planung und Umsetzungen von Maßnahmen zur Dekarbonisierung und Energieeffizienz im Lebensmittelhandel und bei der Beantragung von Fördermitteln zu beachten? Jörg Lieske, Senior Consultant BFE Institut für Energie und Umwelt, gibt Antworten und Tipps.

Dienstag, 07. Mai 2024, 05:00 Uhr
Marcus Schmidt SB

Verzeichnen Sie nach wie vor eine steigende Nachfrage aus dem Lebensmittelhandel, wenn es um die Beratung zu den Themen Energieeffizienzmaßnahmen, Energieautarkie und Reduzierung von CO2-Emissionen geht? Oder bemerken Sie eine Verunsicherung im Markt durch sich verändernde Rahmenbedingungen?
Jörg Lieske: Wir bemerken tatsächlich beides gleichermaßen. Aufgrund der diversen Änderungen bei den Regulatorien beispielsweise dem Gebäudeenergie-Gesetz (GEG), Energieeffizienzgesetz (EnEfG), Energiedienstleistungsgesetz (EDL-G), das Wachstumschancengesetz, sowie bei den großen Förderungen wie Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG), Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz“ (EEW) und Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) halten viele Unternehmen notendige Investitionen in die Steigerung der Energieeffizienz oder zur Reduzierung der Treibhausgase zurück. Gleichzeitig steigt mit dieser Verunsicherung der Beratungsbedarf gerade mit der Fragestellung „Wo investiere ich zuerst?“ „Was ist mit den gegebenen Rahmenbedingungen die effektivste Lösung für mein Unternehmen?“. So haben wir aktuell immer mehr Unternehmen, die sich im Vorfeld von Investitionen Machbarkeitsanalysen oder geförderte Transformationspläne erstellen lassen in denen sowohl mögliche Effizienzmaßnahmen als auch deren Fördermöglichkeiten untersucht werden und sie eine Expertise an die Hand bekommen sich zukunftsorientiert aufzustellen.

Zu welchen Aspekten und Maßnahmen besteht aktuell der größte Beratungsbedarf? Was hat sich dabei geändert?
Aufgabenstellungen, die derzeit vorrangig auftreten, sind: Welche Pflichten und Meldefristen habe ich als Unternehmen (im Energiesektor) zu erfüllen? Wie dekarbonisiere ich mein Unternehmen beziehungsweise, wie komme ich weg von fossilen Energieträgern? Welche Förderungen gibt es für geplante Investitionen und wie bekomme ich sie?

Welche Maßnahmen sollten Lebensmittelhändler für ihre Supermärkte unbedingt umsetzen?
An erster Stelle sollte immer die Überlegung zur Unternehmensstrategie stehen, wo man in 2, 5, 10 oder 20 Jahren stehen möchte.

Dies gilt nicht nur für Konzerne, sondern auch für selbstständige Kaufleute?
Vor dem Hintergrund tendenziell weiter steigender Energiepreise und zunehmender Verpflichtungen zu mehr Energieeffizienz und Dekarbonisierung gilt dies nicht nur für Konzerne und Regionalgesellschaften, sondern auch für selbständige Kaufleute mit einem oder mehreren Supermärkten. Denn auch für sie werden Energie- und CO2-Kosten zunehmend zu einem Wettbewerbsfaktor.  

Wenn die Strategie steht: Welche nächsten Schritte gilt es zu gehen?
Basierend auf der Unternehmensstrategie können dann konkrete Maßnahmen für den jeweiligen Bereich entwickelt und umgesetzt werden. Wichtig ist hierbei, einen laufenden Prozess oder ein Managementsystem zu etablieren, der es ermöglicht, den eingeschlagenen Weg regelmäßig zu hinterfragen und an Veränderungen anzupassen. Darüber hinaus sollte immer ein möglichst umfassender Ansatz gewählt werden, so dass nicht nur technische sondern auch organisatorische und kaufmännische Maßnahmen mit einbezogen werden, um auf das gesetzte Ziel hinzuarbeiten. Unser Unternehmen bietet da wie ich finde einen recht guten und umfassenden Ansatz

Können Sie mit ein, zwei Beispielen greifbar machen, mit welchen kaufmännischen Maßnahmen Anpassungen vorgenommen wurden, um Energieautarkie und die Reduktion von CO2-Emissionen besser zu erreichen?
Rein kaufmännische Maßnahme, mit der sich Energieautarkie beziehungsweise eine Reduktion von CO2-Emissionen erreichen lässt, wären der Bezug von Grünstrom oder verschiedene Arten des Energie-Contracting. Mit dem Contracting können Unternehmen ihre Energie- und Medienversorgung in Expertenhände geben, die dann dafür sorgen, dass das Unternehmen seine Energiekosten und CO2-Emissionen reduziert. Der Contractor erstellt ein passendes Konzept und hilft bei der Finanzierung. Ein weitere Möglichkeit wäre der Kauf von Emissionszertifikaten. All diese Maßnahmen sehen wir jedoch nie als alleinige Lösung, sondern als ein mögliches Element der Dekarbonisierungsstrategie. Der typische Dekarbonisierungspfad besteht aus den drei Schritten: Reduktion des Energieverbrauchs, Substitution von fossilen durch klimafreundlichere Energieträger, Kompensation des unvermeidbaren Anteils nicht-grüner Energie - in dieser Reihenfolge. Dabei ist es entscheidend, dass sich das Unternehmen seine energetische Situation im Detail anschaut und Maßnahmen wählt, die darauf abgestimmt sind. Das ist in der Regel eine Mischung aus technischen, strukturellen beziehungsweise organisatorischen und kaufmännischen.

Haben Sie weitere konkrete Beispiele für wirkungsvolle Einsparmaßnahmen?
Ein Kunde mit relativ großen, älteren Gebäuden hatte eine Dämmung der Gebäude geplant und dadurch signifikante Energieeinsparungen erwartet, denn „Hersteller von Dämmmaterialien versprechen immense Einsparungen“, so die Aussage des Kunden. Im Rahmen des Transformationsplans hat sich aber gezeigt, dass die Einsparungen längst nicht so hoch ausfallen würden. Stattdessen hat die Sanierung des Heizungssystems ein erheblich größeres Effizienzpotenzial. Bei solchen Überlegungen sind auch Investitionssummen und mögliche Einsparungen gegenüberzustellen. Fördermittel können hier eine große Rolle spielen, manchmal muss eine Maßnahme etwas anders geplant werden, um förderfähig zu sein. Bei einem anderen Kunden hat sich zum Beispiel gezeigt, dass viel Energie verlorengeht, weil die Tür zum Tiefkühlraum oft nicht oder nicht richtig geschlossen wird. Mit Personalschulungen lässt sich das optimieren. Dieser Kunde hat sich mit einer einfachen Feder für wenige Euro beholfen, die die Tür immer wieder schließt.  

Auf welche Hürden sollten sich die Händler einstellen? Und was raten Sie ihnen?
Pauschale Aussagen sind da leider nicht möglich, denn Supermärkte sind zwar häufig gleich aufgebaut, aber die Kosten für Energie, für Material und Netzbetrieb, sowie deren Betrieb können erheblich abweichen. Wie gesagt, am Beginn sollte die Analyse stehen. Der Einsatz einer Wärmepumpe oder PV-Anlage mag im ersten Moment als sinnvoll und einfach erscheinen aber erst eine gesamte Betrachtung aller Möglichkeiten gibt den Handlungsspielraum sich zielführend zu entscheiden. So kann es zu unbeachteten Verzögerungen bei der Beschaffung, bei der Bewilligung von Fördergeldern oder dem Netzausbau kommen, sowie optimalere Lösungen unbeachtet bleiben.

Welche Fördermöglichkeiten können Händler aktuell zu den genannten Maßnahmen beantragen? Selbstständige Händler mit mehreren großen Supermärkten gehören teils nicht mehr zu KMU…
Auch hier ist eine allgemeine Aussage leider nicht möglich, da es zu viele Varianten gibt. Sei es in der Technik, den Rahmenbedingungen, als auch in möglichen Förderprogrammen. Natürlich kann hier der Bereich Heizung exemplarisch genannt werden. Wenn also der Tausch der Heizung ansteht, sollte hierfür auch eine Förderung in Betracht gezogen werden. Die Frage ist: Ist das als einzelne Maßnahme auch sinnvoll und gibt es nicht noch andere Möglichkeiten oder Varianten? Auf Bundesebene gibt es für die Gebäudehülle, für technische Anlagen im Gebäude, zum Beispiel Heizung, Lüftung, Beleuchtung, Messtechnik, für produzierende Anlagen, für Expertisen und Machbarkeitsstudien, für Kälteanlagen etc. ein reichhaltiges Angebot an Förderungen - von den regionalen Förderprogrammen mal ganz abgesehen. Sich da richtig zu entscheiden ist leider nicht trivial.

Wo sind jeweils Fallstricke bei Anträgen zu beachten?
enerell kann gesagt werden, dass es wichtig ist im Vorfeld den zeitlichen Rahmen eingrenzen zu können. Also was wird für die Förderung benötigt? Ist die geplante Maßnahme so förderfähig oder müsste eine Anpassung vorgenommen werden? Wie lange dauert der Förderantrag? Welche Experten benötige ich gegebenenfalls für einen Förderantrag oder kann alles in Eigenregie erfolgen? Meiner Erfahrung nach ist gerade die Zeitplanung etwas, das wenig Beachtung findet. So ist es nicht selten, dass es vom gestellten Förderantrag bis zur Gutschrift auf dem Konto über ein Jahr dauert.

In der Regel darf eine Maßnahme erst nach erfolgter Förderzusage begonnen werden. Zum Beginn zählen häufig bereits geschlossene Aufträge. Dies sollte im Vorfeld genau beachtet werden, da eine begonnene Maßnahme im Nachhinein dann nicht mehr förderfähig ist.