Länderreport Mecklenburg-Vorpommern Bio ist Chefsache

Mit dem Slogan „Mecklenburg-Vorpommern tut gut“ positioniert sich die Region als Gesundheitsland. Das spiegelt sich auch in der Ernährungsbranche wider, die verstärkt auf Ökokompetenz setzt.

Montag, 10. Oktober 2016 - Länderreports
Silke Bohrenfeld
Artikelbild Bio ist Chefsache

„Wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 50 Jahre später.“ Ein Bismarck-Zitat, das den Wohlfühl-Landstrich im Norden Deutschlands auch heute noch ganz gut beschreibt. Hier scheint es gemächlicher zuzugehen als in anderen Regionen der Republik. Nur nicht beim Thema Ökokompetenz. Hier gibt Mecklenburg-Vorpommern das Tempo vor. Während der Anteil des Ökolandbaus an der gesamten landeswirtschaftlichen Fläche im Bundesdurchschnitt bei etwa 6 Prozent liegt, sind es in dem Land an der Küste bereits 9 Prozent.

Das kommt nicht von ungefähr: Die stetige Verbesserung der Ökologie in der Ernährungsbranche des Landes ist Chefsache. So stellte die Landesregierung bereits im Dezember 2015 in Schwerin das Landesprogramm „Ökokompetenz Mecklenburg-Vorpommern 2020“ vor. Mit dem Ziel, eine konkurrenzfähige und marktgerechte Erzeugung im ökologischen Landbau voranzutreiben und als Markenzeichen des Landes weiterzuentwickeln.

Dass das keine leeren Ankündigungen sind, spiegelt sich bereits heute in den Zahlen wider: 2015 wurden etwa 125.550 ha Landwirtschaftsfläche ökologisch bewirtschaftet. Das sind 6.500 ha mehr als 2014. Insgesamt sind derzeit 1.089 Betriebe der Land- und Ernährungswirtschaft entsprechend der EG-Ökoverordnung zertifiziert. Aus dem Land kommen etwa 10 Prozent des Bio-Schweinefleisches, 15 Prozent des Bio-Rindfleisches sowie ein Fünftel aller Bio-Eier in Deutschland. „Damit steht unser Land mit Bayern, Brandenburg und Hessen an der Spitze im ökologischen Landbau – sowohl mit Blick auf die Wirtschaftskraft, als auch im Rahmen der Behördenarbeit“, sagt Till Backhaus, Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, stolz.

Für ihn steht das Thema Ökokompetenz ganz oben auf der Agenda. „Ich möchte die Instrumente der Agrarpolitik auf die wachsenden Herausforderungen ausrichten, um den ökologischen Landbau als eine besondere Chance unseres Landes weiter auszubauen.“

Wachstumspotenziale sieht Backhaus insbesondere im Obst- und Gemüseanbau sowie in der ökologischen Tierhaltung. „Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir uns – wie überall in der Landwirtschaft – in einem knallharten europäischen Wettbewerb bewegen.“ Damit die Öko-Landwirte nicht dasselbe Schicksal ereile wie ihre Kollegen im konventionellen Bereich, müsse „die quantitative Erhöhung mit einem marktgerechten Branchenwachstum einhergehen“. Ziel der Landesregierung sei es, den Anteil der ökologisch bewirtschafteten landwirtschaftlichen Fläche mittelfristig auf 150.000 ha (13 Prozent) auszuweiten. Bis 2020 ist ein jährlicher Zuwachs von circa 5.000 ha geplant. Das Landesprogramm „Ökokompetenz MV 2020“ verfolge gleichzeitig das strategische Ziel, die Eigenschaften von „Regionalität“ und „Öko“ noch stärker zu verbinden. „Eine marktgerechte Platzierung dieser Produkte ist wesentliche Aufgabe der Verbände und der Vermarktungseinrichtungen“, ergänzte der Minister. In der Ernährungswirtschaft sehe er großes Potenzial, um den Ökolandbau als Markenzeichen des Landes weiterzuentwickeln und das Gesundheits- und Tourismusland Mecklenburg-Vorpommern erfolgreich zu bewerben.“

In der Region verankert
Das Engagement des Ministers ist bei einer ganzen Reihe von Unternehmen der Branche bereits angekommen. Auch sie setzen auf Nachhaltigkeit, regionale und Bio-Produkte. Wie der studierte Landwirt Matthias Schilling, der in Schaprode ein Regionalkonzept auf die Beine stellt, das den Hiddenseer Fischern ein Überleben sichern soll. Dazu hat Schilling im Herbst 2015 den Verein Hiddenseer Kutterfischer gegründet, der die Direktvermarktung von Fisch vorantreibt. Die regionale Marke Hiddenseer Kutterfisch ist seit August 2016 auf dem Markt. Zurzeit wird der in Gläsern eingelegte Brathering im Schaproder Fischhaus verkauft. Der Verkauf soll jedoch bundesweit auf den Slow-Food-Markt ausgeweitet werden. Dazu soll die Produktpalette erweitert werden. Rollmops und Bückling sind bereits in der Pipeline.

„Hähnlein“ heißt ein Pilotprojekt in Gräpkenteich, einem Hof des Bio-Erzeugerverbandes Fürstenhof, das bereits im Sommer 2012 gestartet ist. Die 6.000 Hähnchen sind die nunmehr dritte Belegung im Stall.

Noch sind sie die absolute Ausnahme in ganz Deutschland. Denn männliche Küken sind in der auf Legeleistung getrimmten Hybridhühnerrasse „Lohmann Braun“ einfach überflüssig. Sie werden als Eintagsküken aussortiert, getötet und oft zu Futtermitteln verarbeitet. Doch immer mehr Bio-Geflügelhöfe machen sich Gedanken, wie man den ethischen Ansprüchen, die eine Bio-Produktion erfüllen soll, gerecht werden kann.

Regional via Internet

Der Verein Agrarmarketing Mecklenburg-Vorpommern will mehr regionale Lebensmittel in den Küchen der Großversorgungseinrichtungen des Landes platzieren. Ziel des Projektes ist eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Lebensmittelproduzenten desLandes und den verschiedenen Großversorgern. Unter www.mv-ernaehrung.de/grossversorger-produktdatenbank.html können sich Interessierte kostenlos in der Online-Produktdatenbank registrieren und regionale Lebensmittel finden.


Eine Frage der Ethik
Manche versuchen es wie der Fürstenhof mit anderen Hühner-Rassen, den sogenannten Zweinutzungshühnern. Das heißt, die Hühner sollen gute Legeleistungen bringen, die Hähne gute Mastergebnisse. Die Geflügelbauern vom Fürstenhof haben es mit der Rasse „Les Bleus“ probiert. Die Mastergebnisse bei den Hähnchen waren akzeptabel, die Legeleistung bei den Hennen allerdings betrug nur die Hälfte der üblichen fünf bis sechs Eier pro Woche. Und das rechnete sich nicht. Also doch die Mast der Gockel der Legehennen-Rasse? „Ein Hähnchen aus einer der üblichen Mast-Rassen ist in 35 Tagen schlachtreif, die Fürstenhof-Hähne brauchen rund 120 Tage. So würde ein 1,5 kg schwerer Sonntagsbraten im Bioladen rund 20 Euro kosten“, rechnet Annalina Behrens, Geschäftsführerin der Junghennenaufzucht, vor. „Da spielen heute die Verbraucher noch nicht mit.“

Also werden die Kosten gerecht umgelegt: Die 6.000 Legehennen im Stall von Volkenshagen bei Rostock finanzieren das längere Leben der 6.000 Hähne in Gräpkenteich mit. Schwesterliebe. Oder auch „Aufzucht von Hahn und Henne“, wie es auf dem Logo der Eierschachteln und der Tiefkühl-Hähnchen heißt. 3 bis 4 Cent mehr kostet somit das Bio-Ei der „Hähnlein“-Produkte, das Brathähnchen mit seinem langsam gewachsenen festen Fleisch rund 12 Euro. Der Verbraucher scheint es zu akzeptieren. Die Bio-Naturkostläden Dennree und Alnatura vertreiben das neue Hähnchenfleisch und die teureren Eier, und beides findet seine Käufer. „Der Fürstenhof-Erzeugerzusammenschluss überlegt derzeit, einen weiteren Stall für die Hähnchenaufzucht bereitzustellen, denn durch die viermonatige Mastzeit in einem einzigen Stall kann das Fleisch nicht kontinuierlich angeboten werden“, sagt Annalina Behrens. Bisher sind es rund 10 Prozent der Hähnchen, die in den Fürstenhof-Ställen aufwachsen dürfen. Vielleicht bekommen ja bald noch mehr eine Chance.

Neben den vielen nachhaltigen Vorbildern aus der Erzeugung, darf auch der Handel nicht fehlen. Beispiel: Edeka Nord. Die Handelskette und der WWF sind seit einem Jahr Partner für Nachhaltigkeit und haben ein gemeinsames Ziel: Umwelt und natürliche Lebensgrundlagen auch für künftige Generationen bewahren. Daher unterstützt die Edeka das europaweit einzige WWF-Modellprojekt „Landwirtschaft für Artenvielfalt“ im ökologischen Landbau in Zusammenarbeit mit dem ökologischen Anbauverband Biopark und seinem 53 angeschlossenen Betrieben. Ziel des Naturschutzstandards ist, die Vielfalt der wildlebenenden Tier- und Pflanzenarten in landwirtschaftlich geprägten Lebensräumen zu erhöhen und so dem Rückgang der heimischen Tier- und Pflanzenwelt entgegenzuwirken. Alle Produkte, die aus Betrieben des Modellprojektes stammen, sind mit dem Biosiegel und dem grünen Logo „Landwirtschaft für Artenvielfalt“ gekennzeichnet. Zu erkennen sind sie außerdem am Biopark- und WWF-Logo. Unter der Marke Natur pur gibt es exklusiv für Edeka Minutensteaks, Rinder-Rouladen, Kalbsrückensteak, Salami, Bierschinken, Kasslerbraten und mehr. Allein der SB-Wurstabsatz stieg bei der Edeka durch diese Produkte um 30 Prozent. Das Projekt soll auf Mitteldeutschland erweitert werden. Hier laufen bereits Gespräche.

Nachhaltige Absatzmärkte
Der Verein Agrarmarketing Mecklenburg-Vorpommern (AMV) unterstützt dieses Engagement. „Im Mittelpunkt der Tätigkeit stehen seit Gründung des AMV nachhaltige Absatzmärkte. Nicht ein kurzfristiges Erscheinen auf Wochenmärkten oder Verbrauchermessen, sondern professionelle Auftritte bei Fachmessen, Markterkundungsreisen mit Einkäuferkontakten in potenziellen Exportmärkten sowie die Zusammenarbeit mit dem LEH stehen im Fokus. Ebenso wichtig sind Schulungsangebote. Branchentage und gegenseitige Firmenbesuche dienen dem besseren Kennenlernen, schaffen Möglichkeiten zur besseren Vernetzung. Und „nachhaltig sind auch die Kontakte, die zur Landespolitik geknüpft werden, um bestmöglich dazu beitragen zu können, für die Ernährungswirtschaft die Bedingungen in vielfacher Ausrichtung zu optimieren“, unterstreicht Geschäftsführerin Jarste Weuffen. Der AMV geht bei der Umsetzung immer wieder neue Wege. So entstanden zwei Projektideen im Rahmen der Gesundheitswirtschaft, die das Ziel haben, die Ernährungswirtschaft und die Gesundheitswirtschaft im Land stärker miteinander zu vernetzen.