Käse, Fleisch, Wurst, Fisch Bedienungstheken in der Krise

Zu wenig Personal, steigende Kosten und jetzt auch noch die Sparzwänge der Konsumenten. Hat Bedienung überhaupt noch Zukunft?

Donnerstag, 08. Dezember 2022 - Management
Heidrun Mittler
Artikelbild Bedienungstheken in der Krise
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Die Stimmung ist miserabel. Wer zurzeit mit Kaufleuten übers Thekengeschäft spricht, spürt viel Frust: Die allermeisten Händler klagen über fehlendes Fachpersonal – insbesondere über zu wenig Nachwuchs. Und wer zu seinem großen Glück eine fähige Erstkraft für Käse oder einen engagierten Fischverkäufer hat, muss beim Gehalt tiefer als in den letzten Jahren in die Tasche greifen. Angebot und Nachfrage bestimmen eben auch die Höhe der Bezahlung. Der Arbeitsmarkt erscheint wie leer gefegt.

An vielen Theken ist ein Abwärtstrend sichtbar: Sie sind an den verkaufsschwächeren Tagen nur unzureichend besetzt, die Mitarbeiter betreuen mehrere Sortimente gleichzeitig. Das verschlechtert die Qualität der Beratung und die Warenpflege. Die Abschriften steigen, die Betreiber schränken notgedrungen die Öffnungszeiten ein. Eine mangelhaft betriebene Theke verursacht Defizite und nichts als Ärger.

Theken zur Profilierung notwendig

Stephan Rüschen ist klarer Verfechter der Bedienungstheken. Der Branchenkenner unterrichtet als Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und kennt sich beim filialisierten sowie selbstständigen Handel bestens aus. „Bedientheken sind eines der wichtigsten Differenzierungsmerkmale für die Vollsortimenter, mit denen sie sich gegenüber dem Discount profilieren. Dieses Unterscheidungsmerkmal dürfen die Vollsortimenter nicht aufgeben“, fordert er. Unternehmen wie Globus, Edeka und Rewe sollten ähnlich agieren, also die Bedienabteilungen nicht reduzieren oder gar darauf verzichten. Wie Theke funktionieren kann? „Es müssen alle Instrumente der Personalführung eingesetzt werden, um den Arbeitsplatz an der Bedientheke attraktiver zu machen: Gehalt, flexible Arbeitszeitmodelle, Anerkennung, Schulungen.“

Ware liegt wie Blei in der Theke
Wenn das Personal knapp wird, leidet zuerst der Käse. Schließlich sind die Metzgermeister meist die Nummer zwei nach dem Marktleiter – klar, dass die fleischaffinen Stellvertreter ihre eigene (und in der Regel umsatzstärkere) Abteilung in den Vordergrund stellen. Das Käse-Personal hilft dann am Fleischtresen aus, die Gelbe Theke ist schwach besetzt. Aber: Welcher Kunde soll eine hochpreisige Käse-Spezialität kaufen, die er nicht kennt und nicht verkosten kann? Die Konsequenz: „Alles, was teurer ist als 25 Euro pro Kilo, liegt derzeit wie Blei in der Theke“, kommentiert ein Käse-Großhändler, der die Entwicklung mit wachsender Sorge sieht. Bei einem Blick auf die aktuelle Umsatzentwicklung der Käsetheken dürfte ihm angst und bange werden: In den Monaten Januar bis Oktober 2022 hat der Handel hier laut GfK Consumer Panel 661 Millionen Euro umgesetzt. Im gleichen Zeitraum 2019 (also vor Corona) waren es noch 741 Millionen.

Vom Schließen der Theke ist bei Kaufmann Konrad Kreuzberg zwar nicht die Rede. Aber er hat gerade die Käsetheke in seinem Koblenzer E-Center verändert. Sie stand prominent separat gegenüber von Wurst, Fleisch und Fisch. Nun ist der Käse zwischen die anderen Frischebereiche gerückt. In der Mitte präsentiert die Unternehmerfamilie jetzt unter anderem Käse-Spezialitäten in SB. „Der Schritt war richtig“, so Kreuzberg, „der Käse-Umsatz hat zuletzt deutlich angezogen.“

Dirk Endt, Edeka-Kaufmann

Nein, er will in das allgemeine Jammern über die Frischetheke nicht einstimmen! Dirk Endt, seit 35 Jahren selbstständiger Kaufmann, betreibt sieben Vollsortimenter und einen Getränkemarkt in und um Mönchengladbach. Im Vorzeigemarkt an der Steinsstraße misst die Bedienungsstrecke 24 Meter, allein auf Fleisch und Fisch entfallen rund 9,5 Prozent des Gesamtumsatzes. Endt wird Anfang 23 einen weiteren Markt eröffnen, wieder mit Bedientheken. Aber: „Die Situation wird schwieriger“, seine Spanne leidet, weil der Kunde zurückhaltender kauft. Endt hält trotzdem an Bedienung fest. Er verweist auf die Fleischtheke: „Wie sonst sollten wir das Thema Tierwohl und Haltungsstufen vermitteln?“

Wenn die Babyboomer in Rente gehen …
Den Personalmangel hat der Handel selbst zu verantworten. Schlichtweg, weil er in den letzten Jahren zu wenig in Ausbildung und Qualifizierung investiert hat. Zusätzlich geht allmählich die Generation der Babyboomer in Rente – eine Lücke, die kaum ein Arbeitgeber stopfen kann. Anders stellt sich die Lage beim Edekaner Endt dar, der seit Jahren eine eigene Ausbilderin beschäftigt, die sich um die derzeit 50 Azubis kümmert. Acht der jungen Menschen zieht es zur Theke. „Die Schmerzen der Kollegen treffen mich in diesem Punkt nicht“, sagt der Kaufmann. Zudem qualifiziert er ständig Mitarbeiter, die in anderen Abteilungen arbeiten, damit diese bei hohem Kundenandrang die Fachkräfte an der Theke unterstützen können. Sein Credo: Wer hochwertige Ware, zum Beispiel Bauernliebe-Fleisch der Haltungsstufe 3, verkaufen will, braucht Personal, das den Kunden beraten kann. Nur so lässt sich die Wertschätzung für Fleisch und längerfristig auch der Rohertrag an der Theke steigern.

Immer höhere Auflagen
„Es wird immer komplizierter, eine Bedienungstheke zu betreiben.“ Volker Wiem, der in Hamburg neun Märkte unter Edeka Niemerszein betreibt, ärgert sich über immer strengere gesetzliche Vorgaben: „Die größten SB-Händler Deutschlands sagen, wo es langgeht!“ Das sei Gift für die Bedienungstheken.

Der Hamburger Kaufmann, der mit seinen Mitarbeitern zahlreiche Branchenpreise eingeheimst hat, stellt mit Bedauern fest, dass bei Berufsanfängern die Bedienungsabteilungen „noch immer unbeliebt“ sind. Er kann das überhaupt nicht nachvollziehen, Bedienung ist und bleibt sein Steckenpferd. „Wir sind nicht die Billigsten, nicht die Größten, haben auch nicht die meisten Parkplätze“, argumentiert er. Aber: „Wir haben die Nähe zum Kunden, tauschen uns mit ihm aus. Das gelingt hervorragend an den Bedienungstheken.“ Mit diesem Service hebt sich das Niemerszein-Team vom Discounter ab: „Bedienung macht uns aus!“

Natürlich sieht er die wirtschaftliche Seite, kennt die Personalprobleme. Doch Theken schließen kommt für ihn nicht infrage. Das kann er auch keinem Kollegen raten. „Kurzfristig erreicht man zwar eine Kostensenkung, aber langfristig ist das kontraproduktiv.“

Welche Überlegungen er anstellt, um das Thekengeschäft zu verbessern? Der Hamburger verfolgt drei Ansätze: erstens die Theken beim nächsten Umbau kompakter gestalten, zweitens über Kernöffnungszeiten bei Bedienung nachdenken und drittens die Lieferanten unter die Lupe nehmen. Produkte, die in SB stark sind, müssen nicht noch in der Theke liegen. Stattdessen setzt er in Bedienung stärker auf besondere Lebensmittel, mit denen er sich von der Konkurrenz absetzen kann.

Soziale Funktion kontra Kostendruck
Bei allem Kostendruck auf die Theken darf man laut Wiem den Faktor „Mensch“ nicht vergessen. Gerade erst hat er mit einer älteren Stammkundin gesprochen, die ihm sagte: „Es gibt Tage, da sind ihre Mitarbeiter die Einzigen, mit denen ich rede.“ Traurig, aber wahr – und für ihn ein weiteres Argument, die Theken lebendig zu halten.
Andere Händler allerdings setzen den Rotstift an und legen an ihren Theken Sortimente zusammen. Wie viele Wurst- und Käsetheken es in zehn Jahren wohl noch in Deutschland gibt? Wenn es wirklich hart kommt, vielleicht noch 10 Prozent der heutigen Anzahl. Sagt einer, der es wissen sollte, aber nicht zitiert werden will. Lieferanten und Großhändler, die jahrelang den Slogan „frisch vom Stück“ forciert haben, reagieren: Sie bauen ihre SB-Ranges aus und offerieren verpackte Ware, die den Weg fast ohne Mitarbeiter in den Einkaufswagen findet.

Fleisch: vom Plus ins Minus gerutscht

„So gute Jahre wie 2020 und 2021 gibt es nie wieder“, lautet die einhellige Meinung der Fleischexperten, die sich zur Nominierung der „Fleisch-Stars 2023“ getroffen haben. Während der Pandemie war die Gastronomie geschlossen, viele Menschen haben im Homeoffice gearbeitet. Super Voraussetzungen, um den Verkauf an den Fleischtheken zu pushen. Das hilft zur Einordnung, warum viele Fleischtheken 2022 ein Umsatzminus verbuchen. Bio-Fleisch, Dry-Aged Beef sowie Fleisch aus besseren Haltungsformen leiden unter der Kaufzurückhaltung der Kunden.

Ladenbauer sorgen sich um Bedienung

Das Thema Bedienung/Selbstbedienung ist längst im Ladenbau angekommen, so der international tätige Ladenbauer Interstore Schweitzer. In anderen Ländern Europas ist diese Diskussion schon seit längerer Zeit im Gange, weiß Bernhard Heiden, Verkaufschef und Creative Director. „Es ist überall sehr schwierig geworden, gut ausgebildete Fachkräfte zu finden, außerdem steigen die Personalkosten.“

Wie behält man die Fachkompetenz?
In Deutschland bewegt eine Frage vor allem die Fleischabteilungen der Lebensmitteleinzelhändler: Wie bringt man in einer bestehenden Fachabteilung teilweise SB-Module unter oder stellt komplett auf SB um, ohne die Kompetenz des Metzgers, des Spezialisten, zu verlieren? Interstore Schweitzer ist dabei, mit verschiedenen Unternehmen Konzepte, Layouts und Module zu erarbeiten, um auch Brot, Fisch und Fleisch in SB umzufunktionieren. Wichtig dabei: „Ohne den Fachabteilungscharakter zu verlieren.“

Flexible Module für die Frischeabteilungen
Bei allen Gesprächen mit Einzelhändlern empfiehlt Heiden, bei Umgestaltungen oder Neubauten flexible Module in die Frischeabteilungen einzubauen, „um jederzeit auf Trends, Umsätze oder sich rasch verändernde Kundenbedürfnisse reagieren zu können“. Eine neue Lust am Sparen, bezogen auf den Ladenbau, spürt er nicht, aber „ein wachsendes Interesse für neue Formate“. 

12.300

Käsetheken zählte NielsenIQ Mitte 2017 im Bundesgebiet

10.600

sind derzeit noch in Betrieb, Tendenz sinkend

Käsetheke als Imagefaktor

Die Bundesbürger lieben ihre Käsetheke. Hier Ergebnisse einer exklusiven Verbraucherbefragung, die Bonial Deutschland im Auftrag der Lebensmittel Praxis durchgeführt hat (550 Konsumenten, im September 2022 interviewt):

  • 72 Prozent der Befragten kaufen mehrmals im Monat an der Bedienungstheke ein.
  • 7 Prozent geben an, im letzten halben Jahr dort weniger Geld ausgegeben zu haben als früher.
  • 27 Prozent haben dort mehr ausgegeben.

Warum zur Theke?

  • 49 Prozent der Befragten suchen hier Sorten, die es nicht im Regal gibt.
  • 47 Prozent geben an, nur hier die gewünschte Menge zu bekommen.
  • 38 Prozent favorisieren die „gute Qualität und Frische“, 28 Prozent legen Wert auf Beratung.