Interview mit Friedhelm Dornseifer „Voneinander lernen und offen reden“

Nach fast 30 Jahren zieht sich Friedhelm Dornseifer von seinem Posten als 1. Vorsitzender des MLF zurück. Was den MLF ausmacht, warum die Technik Mitarbeiter nicht ersetzen kann und warum Wertschätzung so wichtig ist, das sagt er im Interview.

Freitag, 26. Mai 2023 - Management
Heidrun Mittler und Susanne Klopsch
Artikelbild „Voneinander lernen und offen reden“
Bildquelle: Peter Eilers

Sie haben vor 30 Jahren den Vorsitz im MLF übernommen. Wenn Sie auf den MLF von vor 30 Jahren und heute blicken: Was hat sich verändert?
Friedhelm Dornseifer: Es hat sich schon einiges verändert. Ich würde aber gerne auf das eingehen, was sich nicht verändert hat: Das ist zum Beispiel die Kultur des vertrauensvollen Umgangs miteinander, die entscheidend ist, um voneinander lernen zu können. Wir tauschen uns aus, und wir reden offen; das ist das Besondere am MLF. Und das nicht nur während der Tagungen.

War das schon von Anfang an so?
Ja, das war schon von Anfang an so.

Was hat sich noch geändert?
Wir sind natürlich größer geworden. Inzwischen sind wir 111 Mitgliedsunternehmen und 53 Förderer aus der Industrie. Ganz wichtig finde ich: Seit Mitte der 90er-Jahre gibt es unsere Juniorengruppe. Derzeit sind dies etwa 40 junge Frauen und Männer – wirklich eine gute Truppe. Dort beginnt schon der Austausch.

Welche Rolle spielen die Tagungen?
Die zweimal jährlich stattfindenden MLF Tagungen bilden die Basis unserer Arbeit. Diese richten sich in ihrer inhaltlichen Gestaltung immer nach den Besonderheiten des ausrichtenden Kaufmanns und seinem Konzept. Was kann er am besten? Daraus ergibt sich begleitend das aktuelle Programm und die fachliche Weiterbildung in Form von Vorträgen passender Referenten. Davon lernen wir alle für unsere tägliche Arbeit.

Ist der MLF auch ein politisches Sprachrohr der selbstständigen Kaufleute?
Das politische Sprachrohr des Lebensmittelhandels ist der BVLH (Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e.V.), dem ich seit mehr als zehn Jahren als Präsident vorstehen darf. Natürlich gibt es enge Verbindungen zwischen beiden Verbänden. Wir veranstalten bei den den MLF-Tagungen regelmäßig eine „politische Stunde“. Dort berichtet die Hauptgeschäftsführung über aktuelle lebensmittelpolitische Themen und die Maßnahmen des BVLH. Außerdem ist das BVLH-Präsidium mit selbstständigen Kaufleuten besetzt, die auch MLF-Mitglieder sind.

Wie ist denn die Verbindung zwischen MLF und der Bundesfachschule Neuwied?
Der MLF ist beteiligt am food hotel und der BVLH an der food akademie. Verein und Verband sind also verwoben mit Neuwied und alle profitieren voneinander. Neben dem Hauptstandort Neuwied betreiben wir noch einige Dependancen in der Nation und schulen derzeit insgesamt mehr als 2.000 Studierende.

Wie haben Sie das geschafft?
Das habe ich natürlich nicht alleine geschafft. Nachdem ich 1995 Herrn Fuchs als „pädagogischen Leiter“ – so lautete der damals gängige Titel – gewinnen konnte, haben wir gemeinsam unsere Vision formuliert. Unser Ziel, wo wir mit der Schule hinwollten: Wir sind die Bundesfachschule des Lebensmittelhandels und der Treffpunkt der Lebensmittelwirtschaft. Das wird heute mehr denn je gelebt. Was wir dort geschaffen haben, ist schon großartig: Herr Fuchs und sein Team leben diese Vision, haben sie erfolgreich mit Leben erfüllt und machen eine exzellente Arbeit.

Sie persönlich haben eine langjährige, intensive Beziehung zur food akademie, die schon als „Harvard der Branche“ bezeichnet wurde.
Viele unserer Unternehmensnachfolger haben in Neuwied ihr Studium gemacht und sich das Rüstzeug für ihre berufliche Zukunft angeeignet. Aber auch ihre Väter, so wie ich selbst 1964, haben die „Kaderschmiede“ der Lebensmittelfachschule, wie sie damals noch hieß, durchlaufen.

Wer im Lebensmitteleinzelhandel etwas werden will, muss also in Neuwied gewesen sein?
Auf jeden Fall bekommt man hier die beste Grundlage für eine erfolgreiche Karriere in der Lebensmittelbranche.

Wie kann man die Akademie noch weiter stärken?
Das aktuelle Projekt ist unser Lernsupermarkt, der modernst eingerichtet und variabel nutzbar ist. Dort wird zum Beispiel Wissen rund um die Regalstellung oder Kenntnisse über neueste Kassensysteme vermittelt. Zudem verfügt er über eine Lehrküche. Im Altbau auf dem Grundstück werden wir Mensa und Küche sanieren und damit unter anderem das hauseigene Catering stärken.

Sie sind unter anderem durch Ihr Engagement beim BVLH in engem Kontakt zur Politik. Welche politischen Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht notwendig für selbstständige Kaufleute? Bitte nennen Sie doch drei Punkte.
Ich nenne Ihnen drei Punkte in einem. Politische Entscheidungsträger müssen mehr zuhören, verstehen und umsetzen. Niemand ist näher bei den Menschen, wenn sie Lebensmittel einkaufen, als wir Händler. Wir wissen, wie unsere Kunden ticken und was sie wollen. Dieses Know-how geben wir regelmäßig an die politischen Entscheidungsträger in den Ministerien und Parlamenten weiter. Leider haben wir in letzter Zeit immer weniger das Gefühl, das dort der politische Wille vorhanden ist, unsere Empfehlungen und Forderungen in Maßnahmen umzusetzen.

Können Sie Beispiele nennen?
Ganz konkret: das Thema Tierwohl und das Werbeverbot für zuckerlastige Kinderprodukte.

Personalmangel; die Suche nach dem richtigen Personal, aber auch das Halten der guten Leute ist derzeit eines der großen Zukunftsthemen im Handel. Was können Sie als Händler tun?
Auch auf diesem Themengebiet unterstützt der MLF uns Händler. Wir hatten zum Beispiel bei der Herbsttagung 2022 bei Niemerszein in Hamburg das Motto: „Der Mensch im Mittelpunkt“. Wir haben uns dort intensiv mit dem Thema Personal auseinandergesetzt. Wie geht man miteinander um, wie motiviert man, was kann beim Recruiting besser gemacht werden? Eine Referentin, Mahsa Amoudadashi, hat mich dabei besonders beeindruckt. Sie wirbt für mehr Wertschätzung, Empathie, Dankbarkeit und Begeisterung im Arbeitsalltag und zeigt in ihren Vorträgen, wie man Mitarbeiter zu motivierten Mitunternehmern macht. Sich Wohlfühlen in einem Unternehmen und Perspektiven haben, das ist eine gute Basis für gemeinsames erfolgreiches Arbeiten.

Sind die selbstständigen Kaufleute beim Recruiting auf der Höhe der Zeit? Was ist nötig?
Wir Kaufleute brauchen Mitarbeiter, die sich speziell mit dem Recruiting befassen, die auch mit den digitalen Medien umgehen können. Das haben viele von uns schon umgesetzt. Aus meiner Sicht sind wir selbstständigen Händler dabei sehr wohl auf der Höhe der Zeit.

Können Sie einem jungen Menschen empfehlen, eine Lehre im Lebensmitteleinzelhandel zu machen?
Ja, das kann ich. Davon bin ich tief überzeugt. Wäre ich sonst nicht der Falsche zum Beispiel an der Spitze im MLF, im Verband oder im eigenen Unternehmen?

Wenn Sie auf technische Innovationen wie Smart-Stores schauen: Braucht der Handel noch Mitarbeiter?
Aber ja! Technische Innovationen können gerade in unserer Branche den Menschen niemals ersetzen, sie können ihn nur auf verschiedensten Ebenen unterstützen.

Bei Ihnen ist die Regelung der Nachfolge auf Ihre Söhne Peter und Jörg geräuschlos verlaufen, jedenfalls mit dem Blick von außen. Wie haben Sie das geschafft? Und wann haben Sie begonnen, die Weichen zu stellen?
Da auch ich mich schon als sehr junger Mann selbstständig gemacht habe, fiel es mir leicht, das Unternehmen schon 2010 auf meine Söhne zu übertragen. Sie hatten also genügend Zeit in alle Abläufe hineinzuwachsen. Ich denke, es war die richtige Entscheidung, und sollten mal Unstimmigkeiten zwischen den beiden auftreten, so bilden meine verbliebenen zwei Prozent das Zünglein an der Waage. Davon haben wir allerdings noch nie Gebrauch machen müssen. Diese Aufteilung hat bei uns nicht unwesentlich zur erfolgreichen Unternehmensentwicklung beigetragen. In puncto Nachfolge finden sich aber in jedem Betrieb andere Voraussetzungen; da ist Kreativität gefragt und es müssen viel persönliche Kriterien berücksichtigt werden. Ich kenne gerade hier bei uns im MLF-Kreis viele gelungene Generationswechsel, und auch beim wichtigen Thema Nachfolge profitieren wir immer wieder vom Austausch und den Erfahrungen der anderen Mitglieder.