Cash-Management Ist Bargeld nur zweite Wahl?

Cash-Management ist ein großes Thema im Lebensmittel-Einzelhandel. Dirk Goerzen, Inhaber von Edeka Goerzen in Koblenz, zeigt, wie er mit cleverer Technik das Bezahlen sicherer, schneller und wirtschaftlicher macht.

Dienstag, 18. Mai 2021 - Management
Elena Kuss
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Es ist kurz vor Ladenschluss, als ein bewaffneter Täter in den NP-Markt an der Bergkirchener Straße in Wulferdingsen stürmt. Er erzwingt die Herausgabe des Kasseninhaltes und flüchtet dann als Beifahrer in einem Kleintransporter, berichtet die Neue Westfälische Anfang April. Dass Einzelhändler überfallen werden, mag nach einem schlechten Film klingen, ist aber in ganz Deutschland Realität. Dirk Goerzen von Edeka Goerzen in Koblenz ordnet ein: „Die Edeka hat etwa 10.000 Märkte, die mindestens zweimal in der Woche angefahren werden, um das Bargeld abzuholen. Das sind eine Millionen Transaktionen pro Jahr. Der Anteil, der überhaupt entwendet werden kann, ist also gering.“ Trotzdem ist Bargeld ein Risikofaktor. „Ich habe Bargeld wirklich geliebt“, sagt der Kaufmann. Früher habe er das Geld auf seinem Schreibtisch gezählt, verpackt und selbst zur Bank gefahren. Doch das Risiko sei einfach zu hoch.

Stadien des Bargelds im LEH
Die Transaktion: Der Kunde gibt das Bargeld aus seinem Portemonnaie an den Kassierer. Scheine und Münzen müssen auf Echtheit geprüft werden. „Wir machen das anders“, sagt Goerzen. In seinem Markt nutzt er ein E-Cash-Kassensystem.

Die Münzen werden von den Kunden in den Automaten eingeworfen. Der Kassierer hat keinen Kontakt zum Kleingeld. Scheine werden automatisch auf Echtheit geprüft. „Seit der Einführung des Systems haben wir keine falschen Scheine mehr erhalten“, sagt der Edeka-Kaufmann. Früher seien mehrfach im Jahr falsche 50-Euro-Scheine aufgetaucht. Und auch viele 20-Euro-Scheine seien gefälscht gewesen.

Passendes Wechselgeld wird durch das E-Cash-System ausgezahlt. Wichtig bei der Anwendung eines Automaten ist es, dass das eingeworfene Geld auch wieder für die Ausgabe des Wechselgelds genutzt werden kann. Das sei aber nicht selbstverständlich, sagt Dominik Widmaier, Leiter Produktmanagement Retail SB Systems bei Diebold Nixdorf.
Das international agierende Unternehmen bietet unter anderem Kassensysteme an. Alleinstellungsmerkmal ist das Cash-Recycling. Also sowohl die Self-Check-out-Kassen als auch bediente Kassen mit E-Cash-System verwenden das eingeworfene Geld auch für die Ausgabe. Dabei setzt Diebold Nixdorf auf einen Rollenspeicher, auf dem die Scheine aufgewickelt werden. „Bei Stapeln besteht die Gefahr, dass zwei Scheine aneinander haften“, erklärt Widmaier. Deshalb werde der einzelne Schein oft noch mal in einem separaten Bereich kontrolliert. Bei der Rolle könne das nicht passieren. Eine weitere Kontrolle sei nicht notwendig. Scheine und Münzen werden in einer Kassette sicher verwahrt.
„Wir beobachten einen Trend zur Selbstbedienung, und das auch bei Kassensystemen“, sagt Dominik Widmaier. Etwa zwei Selbstbedienungskassen ersetzen eine Kasse in Bedienung. SB-Kassen ohne Bargeldzahlung benötigen weniger Platz als die Varianten mit dieser Möglichkeit. „Gerade für den schnellen Bedarfskauf sind die SB-Kassen wichtig“, so Widmaier.

Die Sammlung: Zum Schichtende kontrolliert das Kassenpersonal den Kassenbestand. Die Lade mit dem Bargeld wird gewechselt. Das Geld wird ins Backoffice des Händlers gebracht. Bei Dirk Goerzen fällt auch das weg. „Unsere Mitarbeiter melden sich im Kassensystem an“, erklärt der Kaufmann. So kann der Mitarbeiter in wenigen Minuten die Kasse wechseln, ohne dass Wartezeiten entstehen. Kleingeld sammeln die Marktleiter am Ende des Tages ein. Scheine werden über ein Rollensystem von Diebold Nixdorf abtransportiert.

Bereits kurze Transportwege sind ein Sicherheitsrisiko. Im Backoffice kann das Geld gezählt und auf Differenzen geprüft werden. Bei Dirk Goerzen übernimmt das ebenfalls das System.

Die (Zwischen-)Lagerung: Nachdem das Bargeld gezählt wurde, wird das Geld in der Filiale sicher verstaut und lagert bis zur Abholung.

Der Transport: Regelmäßig wird das Geld zur Bank gebracht. „Bei uns ist das mehrfach in der Woche an unterschiedlichen Tagen“, sagt Goerzen. Händler arbeiten üblicherweise mit einem Spezialisten zusammen. Der Werttransportunternehmer bringt das Bargeld beispielsweise zuerst in ein zentrales Cash-Center. Der Kaufmann arbeitet mit der Edekabank zusammen. Transportiert wird das Geld von Prosegur, Partner der Edeka. Dort wird es erneut gezählt und überprüft. Während der Abholung bringt Prosegur auch das vom Händler georderte Wechselgeld mit. „Das ist auch der Grund, warum wir nicht mehr mit lokalen Banken zusammenarbeiten“, sagt Goerzen. Pro Kleingeld-Rolle werde ein Betrag zwischen 20 bis 50 Cent als Bearbeitungsgebühr verlangt. Die Edekabank sei hier deutlich günstiger.

Die Corona-Pandemie habe die Welt des Bezahlens komplett auf den Kopf gestellt. Im Zeitraum vom 1. Februar bis 31. März 2021 wurden 60 Prozent des Umsatzes mit EC-Karte bezahlt. 30 Prozent wurden bar bezahlt. „Noch vor Kurzem war es einfach genau andersherum“, sagt Goerzen. Das wirke sich positiv auf das benötigte Wechselgeld aus. „Während ich früher zweimal pro Woche 10.000 Euro Wechselgeld abgeholt habe, sind es heute einmal in der Woche 5.000 Euro“, sagt der Edeka-Kaufmann.

Cash-Recycling
Immer beliebter wird auch die Möglichkeit, Geld an der Kasse abzuheben. Bei Edeka Goerzen ist das bei einem Einkauf ab 10 Euro möglich. 200 Euro können maximal abgehoben werden. 200 bis 300 Kunden pro Woche nutzen den Service. Bemerkbar beim Cash-Management sei das aber nicht.

Münzwechsel-Automat
Auch der Münzwechsel-Automat wird bei Dirk Goerzen gerne in Anspruch genommen. Die Kunden zahlen 9,9 Prozent Gebühren. Anscheinend sei es ihnen das jedoch wert, sagt der Edekaner. Für die Münzen bekommen die Kunden eine Gutschrift, die im Markt eingelöst werden kann. Zwischen 1. Februar und 31. März wurden etwa 4.000 Euro in Münzenform gegen eine Gutschrift eingetauscht.

Und der Münzwechsel-Automat gewinnt weiter an Bedeutung: So hat das Unternehmen Coinstar im März angekündigt, die von Kaufland übernommenen Real-Märkte auszustatten. „Mithilfe unseres schlüsselfertigen Komplettservices können Einzelhändler nachweislich von höheren Umsätzen und mehr Filialbesuchern profitieren“, so Andreas Spinkler, Managing Director Coinstar Deutschland. „Wir stehen schon jetzt in den Startlöchern, um nach der Testphase weitere Kaufland-Märkte mit unseren Münzwechsel-Stationen auszustatten.“

Bezahlen per App
Die Edeka-App rangiert bei Dirk Goer‧zen auf Platz 5 der umsatzstärksten Zahlungsmethoden. Neben Edeka bietet mit Lidl auch ein Discounter eine App zum Bezahlen an. Für die Bezahlung ist der einmalige Scan der digitalen Kundenkarte im Zuge des Einkaufs an der Kasse notwendig. Dies kann bereits während des Scans der Artikel erfolgen. Wird anschließend die gewählte Zahlmethode zusätzlich gegenüber dem Kassierpersonal bestätigt, ist die Zahlung beglichen. Die Sicherheit der Daten soll durch ein vom Kunden festgelegtes Autorisierungsmerkmal geschützt werden. Rewe kooperiert mit Payback und macht so Bezahlen per App möglich. Kaufland bietet mit Google Pay und Apple Pay die Möglichkeit zur Zahlung mit dem Smartphone.

Eine Welt ohne Bargeld
Wäre es also nicht sinnvoll, das Bargeld vollends abzuschaffen? Dirk Goerzen macht deutlich, dass er sich seinen Markt in Koblenz nicht ohne Bargeld vorstellen kann.

Für Tim Kulle, Teamleiter des Zahlungsverkehrs POS bei Rossmann, stellt sich diese Frage ebenfalls nicht. Die Kunden bezahlten bar und nicht bar und das solle auch so bleiben. Aufschluss gibt auch eine Untersuchung des EHI von 2018: Eine Kartenzahlung dauert im Schnitt rund 29 beziehungsweise 39 Sekunden, je nachdem, ob die Zahlung mit PIN oder Unterschrift erfolgt. Kontaktloses Bezahlen ist jedoch deutlich schneller und zieht laut EHI-Studie etwa mit der Bargeldzahlung gleich, im Schnitt knapp 22 Sekunden.

Pro Transaktion kostet eine Zahlung mit Bargeld rund 24 Cent, eine EC-Kartenzahlung etwa 34 Cent. Kreditkartenzahlungen liegen bei knapp einem Euro. Bei einem EC-Karten-Anteil von 30,1 Prozent (entspricht einem Baranteil von 58,1 Prozent) schneiden sich die Kostenkurven. In diesem Punkt betragen die Kosten pro Bartransaktion und pro EC-Karten-Transaktion beide 0,255 Euro. Bei Dirk Goerzen ist dieser Punkt mit 60 Prozent EC-Kartenbezahlung überschritten. Kontaktloses Bezahlen lohnt sich!

Also kein Bargeld mehr? Autonome Stores wie beispielsweise der vollautomatische Supermarkt Typy in Düsseldorf akzeptieren keine Barzahlung (siehe Titelthema „Smart Stores“ in der LP8/2021).