Lieferketten sind systemrelevant. Spätestens in der Hochphase der deutschen Hamsterkäufe dürfte das auch dem Letzten klar geworden sein. Es genügt halt nicht, Toilettenpapier und Mehl herzustellen, es muss irgendwie zum Kunden Auf diesem Weg wandert eine Packung Toilettenpapier nicht selten vom Produzenten zunächst über eine Verladestation, dann zum Zentrallager, von wo sie in die regionalen Lager und schließlich in die Supermärkte geliefert wird. So eine Klorolle kann schon weit gereist sein, bevor sie beim Endverbraucher im Schrank verschwindet. Und letzterer dürfte sich bei einigen Menschen, den Hamsterern, ebenfalls zu einem kleinen Lager für die nächsten Monate entwickelt haben.
Fragt man in der Kölner Rewe-Zentrale nach den logistischen Herausforderungen in Corona-Zeiten, gibt sich Pressesprecher Andreas Krämer gelassen: „Es gab sowohl im stationären Handel als auch beim Rewe-Lieferservice eine deutlich erhöhte Nachfrage nach lang haltbaren Lebensmitteln, Nährmitteln, Konserven und Drogerieartikeln. Die Frequenz der Belieferung der Rewe- und Penny-Märkte haben wir entsprechend erhöht. Die Warenversorgung ist unverändert stabil.“ Wie das genau umgesetzt wurde, bleibt offen. Interviews seien in der aktuellen Situation nicht möglich.
Eine ähnliche Absage erhalten wir von Edeka Rhein-Ruhr. Alle Kollegen der Logistik seien zurzeit sehr eingebunden und stünden nicht zur Verfügung. Verständlich, denn aus gut unterrichteten Kreisen ist zu hören, dass beispielsweise in der zwölften Kalenderwoche die Bestellungen der einzelnen Märkte mehr als 70 Prozent über dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum gelegen habe. Letztlich sei knapp mehr als 40 Prozent mehr Ware ausgeliefert worden. Eine logistische Herausforderung, wenn man bedenkt, dass sich diese Steigerung zum größten Teil auf haltbare Lebensmittel, Konserven und besagtem Toilettenpapier beziehen dürfte, also nicht auf das gesamte bevorratete Sortiment.
Ware, die keiner bestellt hat
Die Zufriedenheit der örtlichen Edeka-Kaufleute mit ihrer vorgeschalteten Logistik in Corona-Zeiten ist genauso unterschiedlich wie der Flickenteppich behördlicher Anordnungen in einer föderalen Republik. „Wir sind von drei Anliefertagen auf einen runtergesetzt worden“, moniert ein Edekaner, der nicht namentlich genannt werden möchte. Zudem würde Ware reinkommen, die man gar nicht bestellt habe: „Ich denke, dass in den Zentrallagern Platz gemacht werden muss fürs Klopapier.“ Aber er findet dennoch, dass die Logistik „einen super Job“ mache. Seiner Meinung nach seien auch genug Ware und Lkw vorhanden, man käme nur mit der Kommissionierung nicht hinterher.
Diese Ansicht teilt auch Edekaner Axel Schroff aus Kleve, für den die Anlieferungen annähernd gleich blieben. „Teilweise bekommen wir nur homöopathische Mengen, aber wir bekommen Ware“, erzählt er. Schroff, der im grenznahen Kleve gewöhnlich auch viele Niederländer zu seinen Kunden zählt, blickt aber jetzt schon nach vorne. „Die Hamsterkäufer lassen bei uns allmählich nach. Allerdings merken wir auch, dass unsere niederländischen Nachbarn nicht mehr zum Einkaufen kommen.“ Und die stehen für gut 30 Prozent seines Umsatzes. Er rechnet fest damit, dass sich die Lage in den Regalen und damit in der Logistik entspannt.
Blickt man vom beschaulichen Niederrhein in die Hauptstadt, stellt sich die Situation noch etwas anders dar: „Ein großes Zentrallager am Berliner Stadtrand konfektioniert derzeit täglich eine Menge von bis zu 700.000 Einheiten. Zu Weihnachten sind es nur rund 250.000“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, der Deutschen Presseagentur. Die Geschäfte leiden demnach immer noch unter einem „irrationalen Abverkauf“ von Waren wie Toilettenpapier, Seife, Drogerieartikeln, Mehl und Pasta. „Der Flaschenhals ist die Belieferung per Lkw. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Fahrzeugen. Die Firmen arbeiten mit Volldampf“, erklärt Busch-Petersen. Fahrer aus Bereichen wie dem Event- und Messebau würden die Berliner Lebensmittellogistik unterstützen.
Die Rufe nach mehr Fracht auf der Schiene werden reflexartig lauter. Aber zum einen würde es beispielsweise das Berliner Problem nicht lösen, denn kein Lok-Führer bringt die Klorollen bis in den Supermarkt. Zum anderen könnte es im schlechtesten Fall die Lage weiter verschärfen, wie ein Beispiel aus Köln zeigt: Dort musste Ende Februar ein Stellwerk einen Tag stillgelegt und desinfiziert werden. Der dortige Mitarbeiter hatte Verbindungen zur bekannten Karnevalsfeier in Heinsberg und galt als Verdachtsfall. Der Güterverkehr wurde an diesem Tag umgeleitet, kam mit Verspätung an.
Berlin, der Föderalismus und die Europäische Union
Im Wirrwarr der Zuständigkeiten konnte man in den ersten Tagen der Corona-Krise schon mal den Überblick verlieren. Sonntagsfahrverbote wurden in den einzelnen Bundesländern im Stundentakt aufgehoben. Restaurants mit Öffnungsfristen versehen oder ganz geschlossen. Während man in Nordrhein-Westfalen an einem Tag noch bis 18 Uhr speisen konnte, blieb die Küche in Bayern bereits kalt.
Das bekamen gerade die Lkw-Fahrer auf den Autobahnen zu spüren. Ganz- oder teilweise geschlossene Raststätten sorgten für Unmut. Tank & Rast hat inzwischen seine Toiletten und Duschräume kostenfrei für Fernfahrer geöffnet, aber nur in Tankstellen. Sind die sanitären Anlagen Teil des Restaurants oder in einem separaten Gebäude, bleiben sie geschlossen. „Wir sind dazu im Austausch mit den Raststätten und Verladern“, erklärt Markus Wolters vom Bundesverband Spedition und Logistik. Denn auch an einigen Ladestationen dürften Fahrer nicht mehr die sanitären Anlagen nutzen.
Warenverkehr in Corona-Zeiten
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat dieses Problem inzwischen auch erkannt. Auf europäischer Ebene will er sich zudem dafür einsetzen, dass der Warenverkehr im EU-Binnenmarkt reibungsloser verläuft. Verschärfte Grenzkontrollen vor allem in Polen und Ungarn sorgten Mitte März für lange Lkw-Staus. Ware stand stundenlang herum, während sie in den Supermarkt-Regalen fehlte.
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält eine EU-weite Aufhebung des Sonntags- und Nachtfahrverbots für angebracht, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Sie fordert darüber hinaus, dass Lkw mit wichtiger Fracht für den täglichen Bedarf maximal 15 Minuten an einer Grenze warten sollten. Dann dürfte auch wieder genug Toilettenpapier im Regal liegen. Denn das ist den Deutschen ja wichtig.