Euroshop Die Verwandlung

Flexibilität lautet das Credo der Ladenbauer, die zunehmend als „Kulissenschieber“ daherkommen. Denn der Kunde von morgen ist unberechenbar.

Montag, 23. März 2020 - Management
Elena Kuss
Artikelbild Die Verwandlung
Bildquelle: Messe Düsseldorf, Umdasch

Die Forscherin Theresa Schleicher hat sich durch die Archive des Zukunftsinstituts gegraben und Studien aus dem Jahr 2010 herausgesucht. Die Befragten vermuteten vor zehn Jahren, dass die Innenstädte 2020 ausgestorben sind und dass autonomes Fahren ganz normal sei. „Man kann Zukunft nicht aufgrund von Kundenanforderungen planen“, fasst die Forscherin zusammen. Und nimmt so, der oft gestellten Frage, wie der Handel in der Zukunft aussehen muss, den Wind aus den Segeln. Was sollten also Händler tun, wenn sie sich nicht mehr an den endlos aufpoppenden Kundenbefragungen entlanghangeln können? Auf der Euroshop präsentierten die Ladenbauer im wesentlichen zwei Antworten: technische Lösungen, die jeden bisher geäußerten Konsumentenwunsch erfüllen, und flexible Ladenlayouts.

Flexible Ladenlayouts sollen Online-Stores die Stirn bieten
Während sich die Unternehmen auch auf der Euroshop 2020 den Kopf zerbrochen haben, was der Kunde in Zukunft will, pfeift Bernhard Schweitzer, Geschäftsführer von Schweitzer Project auf Spekulationen. Niemand wisse, was der Verbraucher nächstes Jahr will. Nicht einmal der Konsument selbst.

Die Schweitzer-Lösung: flexible Ladenlayouts. Der Flexstore, der Weltpremiere auf der diesjährigen Euroshop feierte, ist ein komplettes System aus flexiblen Ladenbau-Elementen inklusive Thekenlösungen und Haustechnik. Die Versorgung der auf Rollen stehenden Module läuft über eine ebenfalls mobile Wand, die mit der Deckentechnik verbunden wird. Das heißt, keine Löcher mehr im Boden. Schweitzer spricht von einer Revolution. Die Komplettlösung erlaube dem stationären Handel zukünftig, mit einer ähnlichen Geschwindigkeit wie der Online-Handel schnell auf geänderte Kundenbedürfnisse zu reagieren – und das bei vermindertem Investitionsrisiko. Mit dem Flexstore können Händler binnen zwei Tagen ihre komplette Fläche umgestalten, verspricht der Geschäftsführer selbstbewusst. Genau wissen kann er es nicht, denn die präsentierte Version des Flexstores wurde im Handel noch nicht getestet. Lediglich erste Pilotprojekte mit einer ersten Generation wurden bisher realisiert. Der Praxistest steht also noch aus. Die Möglichkeit ist trotzdem vielversprechend. Denn mit dem Flexstore ist es tatsächlich egal, was der Kunde in Zukunft will. Relevant ist, was er jetzt will.

Als Beispiel bringt Schweitzer einen Globus-Markt an, in dem festgestellt wurde, dass sein frisch erweiterter Convenience-Bereich viel zu groß ist. Der erneute Umbau habe ihn zwei Jahre und 200.000 Euro gekostet. „Wir ermöglichen solche Fehler“, sagt der Inhaber und verspricht nicht nur Investitionssicherheit, sondern zusätzlich eine klare Ersparnis bei den mittel- und langfristigen Gesamtkosten.

Auch das österreichische Unternehmen Umdasch setzt auf flexible Ladenlayouts. Der Ladenbauer überraschte auf der diesjährigen Euroshop mit mechanischen Lösungen wie dem Turntable, der sich im Handumdrehen vom Tisch in ein Regal verwandeln lässt. Es gab faltbare Modelle aus Holz und Metall in wertiger Optik auf dem Messestand zu sehen, die sich durch wenige Handgriffe verändern und umbauen lassen. Mehr denn je präsentierten sich die Ladenbauer auf der Euroshop als Kulissenbauer: Sie bereiten die Bühne, die sich der Inszenierung unterordnet und schnell umgebaut werden kann.

Wanzl stellte auf der Euroshop eine eigene Variante von Amazon go vor: den Urban-Store.

Technische Lösungen stehen bereit, der Handel tut sich schwer
In den USA gibt es mittlerweile rund zwei Dutzend Amazon-go-Läden, in denen die Kunden Artikel aus dem Regal nehmen und das Geschäft verlassen. Kameras und andere Sensoren wie Waagen in den Regalböden registrieren, wer welche Waren mitgenommen hat. Der Preis wird nachträglich per App abgebucht. Ähnlich funktioniert der Urban Store von Wanzl. Eine Mitarbeiterin in einem Kostüm in Firmenfarbe zeigte auf der Euroshop zu festen Vorführungszeiten, was der kassenlose Laden kann. Selbst ausprobieren durften die Messebesucher das Konzept nicht. Und so funktioniert‘s:
Das Smartphone fungiert als digitale Kundenkarte. Per App erhält der Kunde über eine Gate-Lösung Zugang zum Laden, aktiviert sein Kundenkonto und den virtuellen Einkaufskorb. Während des Shoppens erkennen voll automatisierte Systeme, ob und welche Produkte ausgewählt wurden. Store-Mitarbeiter könnten in diesem Szenario beratend zur Seite stehen oder frische Snacks zubereiten. Die Regale müssen von Mitarbeitern regelmäßig bestückt werden. Am Ende des Einkaufs folgt ein Kontrollcheck. Stimmt der Inhalt des virtuellen und des realen Warenkorbs überein, bestätigt der Kunde den Einkauf. Nach dem obligatorischen Check-out über das Gate werden die Waren automatisch vom Kundenkonto abgebucht. Ein Showcase! Mehr nicht. Während in den USA Amazon go ausgerollt wird – geplant sind 3.000 Läden in den nächsten drei Jahren, werden kassenlose Märkte in Deutschland immer noch weitgehend ignoriert. In der Schweiz gibt es bereits kassenlose Länden, der deutsche Handel tue sich schwer, heißt es auf der Wanzl-Pressekonferenz auf der Euroshop.

Neue Aufteilung: 60 Prozent Lager, 40 Prozent Verkaufsfläche?
Fast wahrscheinlicher wirkt ein anderes Zukunftsszenario, das Ladenbauer Wanzl genauso wie das Österreichische Unternehmen Umdasch zeichnen. Wanzl-CEO Klaus Meier-Kortwig erklärt: „Während die Kunden Dinge des täglichen Bedarfs effizient erledigen wollen, soll der Einkauf mit Genussmitteln Spaß machen.“ Das Kundenverhalten sei polar. So auch der Markt der Zukunft?

Heute stellen die Läden ihre Ware für die Kunden sichtbar ins Regal. Mit dem Dark-Store-Konzept von Wanzl, einer Art vollautomatischem Lager, könnte sich das Verhältnis von Verkaufs- und Lagerfläche jedoch signifikant ändern. Ein Großteil des Marktes könnte zur Lagerfläche werden, die der Kunde nicht mehr betritt, sondern auf der Artikel lagern, die von Systemen – ähnlich wie bei einer Apotheke – zusammengesucht werden. Der Käufer kann online vorbestellen oder vor Ort seine Bestellungen bei einem Mitarbeiter aufgeben. Ein voll automatischer 24/7-Services mit Fulfillment Center, das der Messebesucher auf dem Wanzl-Stand im Gegensatz zum kassenlosen Laden auch ausprobieren konnte. Vorstellbar ist dieses Angebot für Supermärkte vor allem für Produkte des täglichen Bedarfs wie Non-Food oder die Trockensortimente. Bei Wanzl spricht man von 60 Prozent weniger Verkaufsfläche, die benötigt werden würde, wenn Klopapier und Nudeln zukünftig nicht mehr hübsch im Regal drapiert stehen müssen. Also jede Menge Platz für Dinge, die Spaß machen: Das heißt, frische Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Wein, die in Erlebniswelten mit opulenter Dekoration sinnlich präsentiert werden. Eine besonders wichtige Rolle dürfte bei diesem Szenario auch die Handelsgastronomie spielen, ist sich Albert Nagy, Marketing Manager von Umdasch, sicher.