Tengelmann Kalt erwischt

Mit einer Eilentscheidung hat das Oberlandesgericht Düsseldorf die Minister-erlaubnis für die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka außer Kraft gesetzt. Was nun?

Mittwoch, 10. August 2016 - Management
Nicole Ritter
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Damit hat niemand gerechnet. Als „Schockstarre“ beschreiben Tengelmann-Insider gegenüber der LP den Zustand, in den die Eilentscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) die Führungsetage des Unternehmens versetzt hat. Darauf sei man in keiner Weise vorbereitet gewesen.

Offiziell klingt das dann so: „Die Entscheidung des Gerichts hat große Bestürzung ausgelöst. Wir bedauern diese Wendung im Ministererlaubnisverfahren außerordentlich, insbesondere mit Blick auf unsere knapp 16.000 Mitarbeiter bei Kaiser’s Tengelmann. Unser Ziel war immer, Kaiser’s Tengelmann als Ganzes abzugeben und damit den größten Teil der Arbeitsplätze zu erhalten“, ließ Karl-Erivan W. Haub, geschäftsführender und persönlich haftender Gesellschafter der Unternehmensgruppe Tengelmann, am 12. Juli verbreiten.

Was ist geschehen? Der Kartellsenat des OLG hat in einem Eilentscheid mitgeteilt, dass er die Ministererlaubnis bereits nach einer vorläufigen Prüfung für rechtswidrig hält. Wichtigster und seither intensiv diskutierter Punkt, gegen den sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel vehement zur Wehr setzt: Es hat angeblich Gespräche gegeben, von denen nicht alle wussten, und die den Minister einseitig beeinflussten.

Bericht vom Gericht

Überraschend kam die Eilentscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (AZ VI-Kart 3/16 (V)) am 12. Juli. Details der Mitteilung finden Sie auf unserer Internetseite. Dort ist auch der 30-seitige Gerichtsbeschlussverlinkt.

Richter Jürgen Kühnen findet dafür deutliche Worte. Gabriel habe in der entscheidenden Phase des Ministererlaubnisverfahrens mit Edeka-Chef Markus Mosa und Tengelmann-Chef Karl-Erivan W. Haub geheime Gespräche geführt, z. B. am 1. und 16. Dezember 2015. Der Inhalt dieser Gespräche sei nicht aktenkundig gemacht worden und die Gespräche ohne Kenntnis und unter Ausschluss der weiteren Beteiligten, unter anderem der Rewe, geführt worden.

Minister Gabriel bestreitet das und fordert unter anderem in diesem Punkt eine „Tatbestandsberichtigung“ vom Gericht: Es seien keine gemeinsamen Gespräche gewesen, außerdem seien verfahrensbeteiligte Beamte dabei gewesen. Ein Vorgang, der inzwischen auch den Deutschen Bundestag beschäftigt. In einer Kleinen Anfrage ließ sich die Fraktion der Grünen detailliert auflisten, wer in der Causa wann mit wem gesprochen hat.

Und wie geht es jetzt weiter?

Der 1. Kartellsenat des OLG Düsseldorf hat eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) nicht zugelassen. Insbesondere der der Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsbegriff der Besorgnis der Befangenheit beruhe auf einer gefestigten, höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der Bundesminister sowie Edeka und Kaiser’s Tengelmann können jedoch eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH einreichen. Kommt es dazu, überprüft der BGH, ob die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch den Senat aus zutreffenden Gründen erfolgt ist. Andernfalls kann der BGH die Rechtsbeschwerde zulassen und die Eilentscheidung des Senats überprüfen. Die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka darf bis zu einer abschließenden Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren nicht vollzogen werden.

In der Eilentscheidung geht es aber noch um weitere, inhaltlich bedeutsame Punkte. Die Richter sehen Belege für ein „nicht transparentes, objektives und faires Verfahren“: Etwa, dass eine im Rahmen der Gespräche dem Minister übergebene rechtliche Stellungnahme zur Unwirksamkeit des Angebots der Rewe nicht allen Verfahrensbeteiligten zugegangen sei. Ein Punkt, an dem die Rewe Group einhakt: Obwohl das Übernahme-Angebot der Rewe mit dem für den Minister so wichtigen Erhalt von 16.000 Arbeitsplätzen lange vor dem der Edeka vorlag, sei es vom Kartellamt nicht geprüft worden. „Die Wiederholung der Behauptung des Bundeswirtschaftsministeriums, das Angebot der Rewe würde auf dieselben kartellrechtlichen Bedenken stoßen und sei mithin keine Alternative, macht sie nicht richtiger“, teilt Rewe-Sprecher Martin Brüning in seiner Erklärung zur OLG-Entscheidung mit.

Es geht also um weit mehr als angebliche Geheimtreffen. Das Gericht zieht ein zentrales Argument des Ministers in Zweifel: Es sei bei der Entscheidung zu Unrecht der Erhalt der kollektiven Arbeitnehmerrechte bei Kaiser’s Tengelmann als Gemeinwohlbelang berücksichtigt worden. Die Richter legen dar, dass Erhalt und Sicherung kollektiver Arbeitnehmerrechte kein Gemeinwohlbelang seien, die die ministerielle Erlaubnis für eine wettbewerbsschädliche Unternehmensfusion rechtfertigen könnten. Andernfalls würde der Bildung von Arbeitnehmervereinigungen ein höherer Rang eingeräumt als dem Verzicht darauf, das widerspreche dem Grundgesetz. Die Ministererlaubnis könne auch deshalb keinen Bestand haben, da der Minister den Gemeinwohlbelang der Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherung bei Kaiser’s Tengelmann nicht unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte bewertet habe. So sei der Begründung für die Ministererlaubnis nicht zu entnehmen, in welchem Umfang die Möglichkeit eines fusionsbedingten Stellenabbaus bei Edeka in die Abwägungsentscheidung mit eingeflossen sei. Auch reichten die Nebenbestimmungen nicht aus, die 16.000 Arbeitsplätze bei Kaiser’s Tengelmann zu sichern.

Um die geht es nach wie vor in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften. Für die Beschäftigten in Berlin-Brandenburg und München konnte Verdi erste Abschlüsse im Sinne der Ministererlaubnis erzielen: Durch einen Anerkennungstarifvertrag wird das Unternehmen an den Tarifvertrag für den Einzelhandel gebunden, falls der Verkauf zustande kommt. Für die kommenden fünf Jahre sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen, auch für den Fall der Übernahme durch Selbstständige gibt es Regelungen, ebenso für Logistikstandorte und Verwaltung. Die bestehenden Betriebsratsstrukturen sind abgesichert und Monitorings vereinbart. Verhandlungen im schwierigsten Bezirk Nordrhein-Westfalen standen bei Redaktionsschluss noch aus.

Unbeirrt von der Eilentscheidung des Gerichts, die die Ministererlaubnis zu Fall bringen könnte, laufen die Gespräche also auf allen Seiten weiter. Auch Alternativszenarien werden dem Vernehmen nach diskutiert. Der Wille zum Abschluss scheint eiserner als je zuvor. „Wir haben den OLG-Beschluss geprüft und halten Tatsachenfeststellungen und seine Begründung für falsch. Es muss jetzt im Interesse der Beschäftigten von Kaiser’s Tengelmann geprüft werden, auf welchem rechtlichen Wege eine möglichst schnelle Entscheidung in diesem Verfahren erreicht werden kann“, erklärt Edeka-Sprecher Rolf Lange. Mittlerweile hat die Edeka-Zentrale die Eilentscheidung vor dem Bundesgerichtshof angefochten. Auch das Bundeswirtschaftsministerium prüft rechtliche Schritte. In Düsseldorf macht Gerichtssprecher Andreas Vitek aber wenig Hoffnung auf eine wirklich schnelle Klärung. Er rechne mit einer Hauptsacheverhandlung „noch in diesem Jahr“.