Mindestlohn Gut gemeint – schlecht gemacht? - Gut gemeint –schlecht gemacht?: Teil 2

Bürokratiemonster, Jobkiller – ein halbes Jahr nach Einführung des Mindestlohns ärgern sich Teile der Branche über zu viel Bürokratie und die unklare Auslegung einiger Regelungen. Andere nutzen den Mindestlohn zur Schärfung oder Verbesserung des Unternehmens-Image.

Freitag, 26. Juni 2015 - Management
Sonja Plachetta
Artikelbild Gut gemeint – schlecht gemacht? - Gut gemeint –schlecht gemacht?: Teil 2
Bildquelle: WSI-Mindestlohndatenbank 2015

Was so manchem Arbeitgeber nicht bewusst ist (oder was vielleicht auch bewusst verdrängt wird): Minijobber haben wie auch die festangestellten Mitarbeiter Anspruch auf:

  • den bezahlten gesetzlichen Mindesturlaub,
  • Entgeltfortsetzung im Krankheitsfall und
  • Entgeltfortsetzung an Feiertagen.

Jürgen Panke, seit mehr als 35 Jahren selbstständiger Personalberater im Lebensmittelhandel, setzt ein dickes Fragezeichen, wenn es darum geht, ob alle Lebensmittelhändler ihre Minijobber gemäß der Richtlinien entlohnen. Er befürchtet, „dass auf die Personalbüros viel Arbeit zukommt“. Die Zollverwaltung, genauer gesagt die „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“, überprüft nach der Einführung des Mindestlohns, ob dieser eingehalten wird. Demnach wächst die Gefahr, dass Verstöße auffallen und geahndet werden. Wer seine Reinemachefrau nur dann bezahlt hat, wenn sie auch tatsächlich zum Putzen gekommen ist, dem drohen – falls er ins Visier der Prüfer rückt – saftige Nachforderungen.

Folgendes Rechenbeispiel macht den Sachverhalt deutlich: Der gesetzliche Urlaubsanspruch beträgt bei einer 6-Tage-Woche mindestens 24 Werktage. Ausschlaggebend ist nicht, wie viele Stunden pro Tag gearbeitet werden, sondern an wie vielen Werktagen in der Woche die Reinigungskraft arbeitet. Wenn sie also dreimal pro Woche sauber macht, geht die Rechnung so: 3 (Anzahl der durchschnittlich geleisteten Arbeitstage) mal 24 (Urlaubsanspruch), dividiert durch 6 (Werktage), macht im Ergebnis 12 Urlaubstage, die vergütet werden müssen.

Die Zollbehörden haben seit Beginn des Jahres massiv Kritik einstecken müssen. HDE-Geschäftsführer Heribert Jöris stellt fest, dass „der Zoll allein schon die schiere Menge der unterschiedlichen Regelungen bei seiner Prüfung nicht überblicken“ könne und kommt zum Ergebnis: „Der Zoll ist mit der effektiven Kontrolle des Mindestlohns schlicht überfordert.“

Noch weitere Fragen sind nicht endgültig geklärt: Darf ein Handelsunternehmen einen Bewerber oder eine Bewerberin zur Probe arbeiten lassen, ohne dafür Mindestlohn zu bezahlen? Was genau ist Schnuppern? Muss man 8,50 Euro bezahlen, wenn der Kandidat mehr macht als nur zuschauen? Welche Fristen gelten? Personalberater Jürgen Panke hat viel Energie in die Beantwortung dieser Fragen gesteckt und mit vielen Behörden telefoniert. Aber eine klare Antwort hat er nicht bekommen, weder beim Bundesarbeitsministerium noch beim Zoll. Sein Fazit: Die Entscheidung für oder wider Probearbeiten muss jeder Arbeitgeber selbst fällen. Bei Alnatura gibt es seit Anfang des Jahres kein Probearbeiten mehr. „Nur auf ausdrücklichen Wunsch des Bewerbers kann dieser maximal drei Stunden einen Alnatura-Mitarbeiter bei der Arbeit begleiten, um die Aufgaben in der Praxis kennenzulernen“, so das Unternehmen.

Für Unmut sorgen in den Personalabteilungen die neuen Regelungen für Praktikanten. Grundsätzlich haben Praktikanten Anspruch auf Mindestlohn. Ausgenommen sind Pflichtpraktika, etwa solche, die im Rahmen einer schulischen oder universitären Ausbildung gemacht werden. Freiwillige Praktika, die der Berufsorientierung dienen, sind vom Mindestlohn ausgenommen, allerdings nur, wenn sie nicht länger als drei Monate dauern. Längere freiwillige Praktika (ausbildungs- oder studienbegleitend) müssen vom ersten Tag an mit 8,50 Euro pro Stunde vergütet werden. Im Klartext: Junge Menschen, die einen Bachelor- oder Master-Abschluss in der Tasche haben, müssen bezahlt werden – und sich nicht, wie in der Vergangenheit häufig geschehen, beim Start ins Arbeitsleben mit einem Taschengeld begnügen. Ein Personalverantwortlicher eines großen Handelsunternehmens findet das richtig: „Natürlich braucht ein Berufseinsteiger Zeit, um sich einzuleben.“ Aber nach dem Studium dürfe es nicht ein weiteres, schlecht bezahltes Praktikum geben, sondern ein faires Einstiegsgehalt.

Probleme sieht der Personalverantwortliche weiterhin bei den Praktikanten, die von externen Bildungsträgern betreut werden und eine längere Praxisphase im Markt machen. Ziel ist es, diese junge Menschen mit schlechten Aussichten für den Arbeitsmarkt fit für den Beruf zu machen. Wenn es gut läuft, bekommen sie dort anschließend einen Ausbildungsvertrag. Doch die Erfahrung zeigt: Auch wenn nicht, nimmt der Marktleiter oder Filialverantwortliche trotzdem „zwei helfende Hände mehr auf der Fläche“ gern an.

In einigen Handelsunternehmen gebe es mehr externe Praktikanten als interne Azubis, die gemeinsam in einem Pausenraum sitzen: Der Externe bekommt etwa 200 Euro pro Monat, der Interne bezieht die reguläre Ausbildungsvergütung. „Die Ressource Mensch ist für diese Ausnutzung viel zu schade, und das Image des Lebensmittelhandels auch“, so der Personalentwickler.

Weiterführende Informationen
  • www.der-mindestlohn-gilt.de. Homepage des Bundesarbeitsministeriums, die sich an Arbeitgeber und -nehmer richtet, mit den wichtigsten Fragen und Antworten. Außerdem ist die Mindestlohn-Hotline von Montag bis Donnerstag von 8 bis 20 Uhr unter
    030/602 800 28 zu erreichen
  • www.einzelhandel.de, dort weiter zum Kurzlink Minijobs, Broschüre zum Download
  • www.verdi.de, weiter zu Mindestlohn, unter anderem DGB-Mindestlohn- Hotline für Arbeitnehmer
  • www.zoll.de, eine Übersicht der gesetzlichen Regelungen und Ausnahmen, für Personalabteilungen