New York 1885. Die Vereinigten Staaten waren reich beschenkt worden, hatten nun aber ein großes Problem: Die neue Freiheitsstatue brauchte einen Sockel, aber die öffentlichen Kassen waren leer. Der Verleger Joseph Pulitzer rief in seiner Zeitung The New York World zu Spenden auf und sammelte über 100.000 Dollar ein.
Die Welt 2015. Über 2 Mrd. US-Dollar hatten die globalen Unternehmen Kickstarter und Indiegogo in innovative Projekte gelenkt. Die Unterstützer solcher Projekte erhalten für ihr Engagement keine Rendite, sondern Belohnungen. Sie können innovative Produkte frühzeitig und zu einem Vorzugspreis erwerben, ihren Namen im Abspann von Medienprojekten verewigen oder die Projektinitiatoren persönlich kennenlernen.
Spielarten des Crowdfunding
- Reward Crowdfunding
- Crowdlending
- Crowdinvesting
1. Ihren Typ Crowdfunding festlegen
Diese spezielle Art des Reward Crowdfunding à la Kickstarter muss klar von zwei anderen Spielarten unterschieden werden. Bei Crowdlending geht es um die Aufnahme von Krediten und beim Crowdinvesting um Unternehmensbeteiligungen. Bezieht man Crowdlending und Crowdinvesting mit ein, erreichte der weltweite Markt für Crowdfunding allein 2014 ein Volumen von über 16 Milliarden Dollar. In Deutschland geht Crowdfunding seit 2010. Im Jahr 2019 lag das Volumen erfolgreich platzierter deutscher Crowdinvestments bei 422 Millionen Euro. Damit ist der Markt gegenüber 2018 um rund 42 Prozent gewachsen (Quelle: Crowdinvest Marktreport 2019). Die wichtigsten Wachstumstreiber sind die USA und Asien. Auch Europa wächst, hängt aber im internationalen Vergleich noch weiter hinten. Der mit Abstand größte europäische Markt ist Großbritannien. Dabei entfällt aber der Löwenanteil auf Crowdlending und Crowdinvesting. https://www.crowdfunding.de/marktdaten
Dennoch ist es vor allem Reward Crowdfunding, das weltweit Aufmerksamkeit in den sozialen und klassischen Medien erfährt. Wirtschaftsteil meets Popkultur – im Gegensatz zum traditionellen Finanzsektor, von Natur aus verschwiegen und diskret, geht es hier von vornherein auch darum, die öffentliche Aufmerksamkeit zu wecken, die im Wesen des zu finanzierenden Projekts schlummert. Wenn Anleger auf dem Kapitalmarkt Unternehmensanteile oder Anleihen kaufen, stehen fast ausschließlich finanzielle Risiko- und Gewinnüberlegungen im Vordergrund.
Crowdfunding wird (auch) von anderen Motiven angetrieben: Einer Idee zum Übergang in die Wirklichkeit zu verhelfen, ist ein machtvoller Antrieb. Zu den Ersten zu gehören, die ein ganz neues, ganz dolles Ding besitzen, vermag Unterstützer zu mobilisieren. Auch die Konkretheit eines typischen Crowdfunding-Vorhabens wirkt auf viele Unterstützer anziehend. In Summe wird der seit vielen Jahren für die Netzgesellschaft proklamierte Phänotyp des Prosumers hier deutlich sichtbar. Die Trennlinie zwischen Produzenten und Konsumenten verschwimmt.
Michel Harms betreibt die Informationsseite crowdfunding.de und ist der Vielgestaltigkeit des Phänomens Crowdfunding auf den Fersen. Harms hat ein griffiges Modell gefunden, um Crowdfunding-Varianten zu verorten und zu unterscheiden. Sein Crowdfunding-Kompass hat die Dimensionen: Unterstützen, Haben und Verdienen. Das klassische (Belohnungs-) Crowdfunding hat einen hohen Ausschlag bei Haben. Unterstützen spielt oft eine wichtige Nebenrolle. Gewinnerwartungen (Verdienen) sind entscheidend beim Crowdinvesting und Crowdlending. Hierfür gibt es spezielle Online-Plattformen, wie beispielsweise seedmatch oder fundernation. Nicht zuletzt wird über Spenden (Unterstützen) schon seit jeher Crowdfunding betrieben. Plattformen wie betterplace.org haben dies ins Internetzeitalter gehievt.
2. Elementar fürs Crowdfunding: die Präsentation
Um zu erkennen, was Crowdfunding im Einzelnen zu leisten vermag, hilft ein Blick auf die verschiedenen Projektphasen. Schon die initiale Präsentation auf der gewählten Plattform verlangt den Projekt-Initiatoren viele (ohnehin) notwendige Entscheidungen und Weichenstellungen ab:
- Produktidee
- Produktnutzen
- Design
- Preispunkte
- realistisch geschätzter Finanzbedarf.
Stößt das Projekt auf Gegenliebe bei genügend Finanziers, sogenannten Backern, bringt dies zum einen Startkapital. Es kann aber zugleich als unterstützende Marktforschung gewertet werden. Darüber hinaus können und sollten die Fragen und Rückmeldungen aus der Crowd im gesamten Projektverlauf eingefordert, registriert und genutzt werden. Ein interessantes und erfolgreiches Projekt findet Widerhall in sozialen, wie klassischen Medien. Der Werbeeffekt durch diese Art von kostenloser Werbung kann den eigentlichen Finanzbedarf um ein Vielfaches übertreffen. Wenn das Projekt zustande kommt, wird über die Crowd auch gleich der erste Absatzmarkt definiert, da die Unterstützer in der Regel die Möglichkeit haben, das neue Produkt zu erwerben.
3. Welche Partner beim Crowdfunding helfen
Die Mehrheit der Berater, Broker, Analysten und Investmentbanker dürfte für die Minibeiträge eines typischen Crowdfunding-Projekts nur ein mitleidiges Lächeln übrig haben. Es mangelt zwar nicht an Verlautbarungen, dass man das Phänomen sehr wohl registriert habe und an Konzepten arbeite. Das behaupten dieselben Akteure allerdings auch schon seit knapp einem Jahrzehnt beim Stichwort E-Payments – mit dem Ergebnis, dass PayPal weitgehend ungestört zum Marktführer werden konnte. Die Passivität der Großen nützt auch hier den agilen und wendigen Kleinen. Die Fidor-Bank hat sich Crowdfunding und Crowdinvesting auf die Fahne geschrieben, kooperiert mit mehreren Plattformen und vierhilft ihren Kunden zu einem schnellen Einstieg in die Materie.
Zu den wenigen etablierten Akteuren, gehören die Volks- und Raiffeisenbanken. Das liegt nahe, denn Crowdinvesting war für diese Banken einst Geburtshelfer. 2014 startete die regionale Crowdfunding-Plattform ’Viele schaffen mehr’. Mit einem aktuellen Finanzierungsvolumen von gut einer Million Euro ist die Plattform aber eher im Bereich PR und Corporate Social Responsibility zu verorten als im Kanon ernsthafter Finanzierungsinstrumente. Andere Wege gehen die Sparkassen. Sie nutzen die Lenkungsfunktion von Crowdfunding für interne Investitionsentscheidungen: Zentral aufgesetzte Projekte werden dann umgesetzt, wenn sich in den Filialen genügend Unterstützer dafür finden.
4. Kickstarter oder Startnext?
Wenn es um weltweite Reichweite und Werbeeffekte geht, kommt man als Crowdfunder nicht an Kickstarter vorbei. Die Kehrseite ist, dass eine Kampagne bei Kickstarter mit Tausenden Konkurrenz-Projekten um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlt. Knapp 40 Prozent der Projekte erreichen ihr Ziel. Bei Indiegogo sind es nur magere 10 Prozent, was auch an einer weniger strengen Vorab-Selektion liegt.
Besonders bei ortsgebundenen Projekten und kleineren Finanzierungssummen lohnt der Blick auf die lokalen Akteure. Zum Beispiel Startnext, einer deutschen Variante von Kickstarter. Startnext reklamiert für sich, dass über 60 Prozent der eingestellten Kampagnen ihr Finanzierungsziel erreichen. Das dürfte auch an der individuellen Betreuung durch Kampagnenmanager liegen. Startnext lässt die Projektinitiatoren übrigens selbst bestimmen, welchen Anteil des eingesammelten Kapitals sie im Erfolgsfall an die Plattform abführen.
5. Kleinanleger sind geschützt
Grundsätzlich gilt: Beim Crowdinvesting sorgt das in 2015 verabschiedete Kleinanlegerschutzgesetz für Rechtssicherheit. Zugleich wird der Fokus hierdurch stark auf die Risiken solcher Projekte gelenkt. Zu einer aktiven Förderung schwarmbasierter Finanzierungsmethoden hat sich die deutsche Politik lange nicht durchringen können. Seite Ende 2019 scheint die Bundesregierung aber das Ausmaß des Problems erkannt zu haben und will Gründern helfen: Laut Handelsblatt ist eine neue milliardenschwere Sammelstelle aus staatlichen und privaten Geldern geplant, eine Art Zukunftsfonds. Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsministerium arbeiten offenbar an einem Konzept, das auch von der EU-Kommission bereits auf eine Vereinbarkeit mit EU-Recht geprüft worden sei.
Crowdfunding Beispiel 1: Original Unverpackt
Milena Glimbowski,
eine der Gründerinnen von Original Unverpackt, spricht im Interview von der Unterstützung durch ihre Crowd als „Schubs in die richtige Richtung!“ Das inzwischen mit vielen Filialen etablierte Unternehmen hat sein Crowdfunding über Startnext laufen lassen.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Crowdfunding für eure Finanzierung zu nutzen?
Wir hatten wenig Kapital, aber viele, viele Unterstützer. Und wir hörten immer wieder: „Wenn ihr Crowdfunding macht, wäre ich sofort dabei.“ Im Grunde hat uns also die Community den Schubs in die richtige Richtung gegeben.
Weshalb habt ihr euch für Startnext entschieden?
Startnext ist die führende Plattform. Davon abgesehen sind das einfach tolle Leute, die uns auch aktiv und gut betreut haben. Wir stehen mit Startnext weiterhin in Kontakt, werden oft zu Veranstaltungen eingeladen und können unseren Case präsentieren.
Wie habt ihr eure Kampagne bekannt gemacht?
Zunächst haben wir unsere Community aktiviert. Dass das funktioniert hat, sieht man an den Fans bei Facebook. Die sind von 5.000 auf 30.000 angestiegen. Ganz entscheidend war sicher auch eine aktive Pressearbeit.
Welche Erwartungen haben sich erfüllt? Welche nicht? Was hat Euch im Laufe der Kampagne überrascht?
Fangen wir mal mit dem Negativen an: Den Versand von Belohnungen an 4.000 Leute war ein echter Kraftakt. Dafür haben wir statt der geplanten 20.000 Euro 110.000 Euro eingesammelt. Wir sind durch die Kampagne auch in Kontakt mit zahlreichen Lieferanten und Herstellern gekommen und haben nicht zuletzt viele, treue Kunden gewonnen.
Welche Langzeit-Effekte hat die Kampagne für euch?
Unser Erfolg ist natürlich auch ein Proof of Concept, der uns bei Gesprächen und Verhandlungen zu weiteren Finanzierungsmöglichkeiten hilft. Dass es durch den Erfolg unserer Aktion viele Nachahmer in anderen deutschen Städten gibt, hilft unserem Anliegen, das Konsumverhalten bei ‧Lebensmitteln spürbar zu verändern. Unterm Strich kann man sagen, dass wir durch Crowdfunding in kurzer Zeit einen Bekanntheitsgrad erreicht haben, der anders so nicht möglich ‧gewesen wäre.
Checkliste Crowdfunding: Was brauche ich?
- Habe ich mein Produkt oder Projektziel gründlich durchdrungen und zu Ende gedacht?
- Kenne ich meinen Finanzbedarf?
- Kann ich mein Projekt klar und interessant präsentieren?
- Kann ich meinen Unterstützern attraktive Belohnungen für ihr Engagement anbieten?
- Gibt es schon Fans, aus der ich meine Crowd formen kann?
Dieser Artikel wurde zuerst am 14.05.2019 auf www.regalplatz.com veröffentlicht.