Brasilien Im Land der Widersprüche

Während die Regierung in Brasilien unter Jair Bolsonaro weltweit für negative Schlagzeilen sorgt, steigert mancher Lebensmittelkonzern seine Wettbewerbsfähigkeit mithilfe nachhaltiger Ansätze.

Dienstag, 27. September 2022 - Fleisch, Wurst, Geflügel
Santiago Engelhardt
Artikelbild Im Land der Widersprüche
Bildquelle: Getty Images

Brasilien ist mit mehr als acht Millionen Quadratkilometern, einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von 25 °C und seinen unendlichen Ressourcen ein Paradies für die Land- und Viehwirtschaft. Diese Tatsache, gepaart mit einer in den letzten 50 Jahren gewachsenen Industrie, hat das Land zur stärksten Regionalmacht Lateinamerikas gemacht. Die Zeiten, in denen die 215 Millionen Einwohner von Lebensmittelimporten abhängig waren, sind längst vorbei. Mittlerweile ist Brasilien Weltmeister im Export von Orangensaft, Kaffee, Rindfleisch und Hühnerfleisch und der viertgrößte Lebensmittelexporteur der Welt.

Negatives Image herrscht vor
Und doch hat Brasilien aktuell vor allem in Europa und den USA ein massives Imageproblem. Einen Beleg für das schlechte Image des Landes liefert eine von der staatlichen Agentur für Exportförderung (Apex Brasil) in Europa in Auftrag gegebene Umfrage. Demzufolge haben 80 Prozent der Entscheidungsträger im Europäischen Parlament ein negatives Bild von Brasilien.

Grund für diese dramatische Entwicklung dürften vor allem die Bilder brennender Wälder in Amazonien und der wenig diplomatische Umgang der brasilianischen Bundesregierung mit diesem Problem sein. Brasilien versprach im vergangenen Jahr, die illegale Entwaldung bis 2030 zu beenden, aber die Zahl der Brände im Amazonaswald erreichte im Juni dieses Jahres den höchsten Stand seit 15 Jahren.
Dieses widersprüchliche Verhalten der brasilianischen Regierung hat nicht nur das lang ersehnte Handelsabkommen mit der Europäischen Union verhindert: Brasilien, seine Unternehmen und die Produkte stehen oft für Umweltzerstörung. Das Land ist so isoliert wie selten zuvor.

Unverständnis löst die Ablehnung vor allem bei den Unternehmen aus, deren Betriebe im Süden des riesigen Landes mehr als 2.000 km von Amazonien entfernt produzieren. Man verweist auch gerne darauf, dass 66,3 Prozent der Fläche Brasiliens geschützt sind und das Land eine der strengsten Umweltgesetzgebungen der Welt hat. Doch in einem Land, dessen Umweltminister öffentlich erklärt, die Strategie der Regierung bestehe darin, dem Agrobusiness nicht im Weg zu stehen, ist die Selbstverpflichtung großer Unternehmen umso wichtiger.

Global Player in der Fleischproduktion wie BRF, JBS und Marfrig haben längst erkannt, dass die Weltbe‧völkerung, die dieses Jahr die Marke der acht Milliarden Menschen erreichen wird, ein riesiger Markt für ihre Produkte ist, der aber langfristig nur mit nachhaltigeren und somit auch effektiveren Produktionsmethoden bedient werden kann.

Die Bilder brennender Wälder sind starke Argumente für Nationen, ihren Markt von brasilianischen Produkten abzuschotten. Diesem drohenden Protektionismus nicht zum Opfer zu fallen ist nicht die einzige Motivation für eine nachhaltigere Produktion. Steigende Preise für fossile Brennstoffe und Futtermittel erhöhen den Druck auf die großen Konzerne, günstigere und ressourcenschonendere Produktionstechni‧ken zu entwickeln.

Nachhaltigkeit und Wettbewerb
Wie João Campos, CEO von Seara, einem Unternehmen der JBS-Gruppe, erklärt: „Nachhaltigkeit ist mittler‧weile ein Synonym für Wettbewerbsfähigkeit.“ Im März 2021 kündigte JBS seine Net-Zero-Verpflichtung bis 2040 an. Um dies zu verwirklichen, plant das Unternehmen, bis 2030 eine Milliarde Dollar zu investieren. 43 Prozent des Stroms, den JBS weltweit verbraucht, kommen von erneuerbaren Energien. In Brasilien sollen es sogar 87 Prozent sein. Ferner hat der Konzern ein Unternehmen gegründet, das elektrobetriebene Kühllastwagen entwickelt. Bis Januar 2023 sollen die ersten 200 Fahrzeuge an Seara ausgeliefert werden und in einem Radius von 170 km um die brasilianischen Großstädte ausliefern. Das führt zu einer Einsparung von 222.000 Litern Diesel pro Monat.

Wenn es um Strom geht, hat Brasilien eine beachtliche Ökobilanz. 81,7 Prozent des brasilianischen Stroms kommen von erneuerbaren Energien. Den größten Anteil liefern Wasserkraftwerke mit 56,2 Prozent und Windkraftanlagen mit 11,5 Prozent. Der bisher kleine Anteil, den die Solarenergie an dieser Entwicklung hat, wächst rasant.

Fast 40 Prozent der 10.000 kleinen familiengeführten Zuchtbetriebe, die Seara beliefern, beziehen ihren Strom aus eigenen Solarzellen.

Das Unternehmen investiert auch stark in die Kreislaufwirtschaft. Abfälle werden zu Biogas verarbeitet, das entweder in Wärme oder in Strom verwandelt wird. Ein Teil der Abfälle wird auch zur Produktion von Biodünger für die Herstellung von Futtermitteln verwendet. Die Verpackungen von Seara sind zu 70 Prozent recycelbar und zu 46 Prozent biologisch abbaubar.

Um die Nachhaltigkeit der gesamten Lieferkette zu gewährleisten, hat der Konzern eine Datenbank geschaffen, in der die Viehlieferanten und deren Subunternehmer erfasst werden. Wenn einer dieser Betriebe gegen die Nachhaltigkeitspolitik des Unternehmens verstößt, wird er suspendiert. Der Betrieb hat dann die Möglichkeit, sich von einer der 16 „Green Offices“, die JBS übers Land verteilt eröffnet hat, beraten zu lassen, wie er zu einem regelkonformen Umgang zurückfindet und JBS wieder beliefern kann. Dieses Programm wurde bereits von 3.000 suspendierten Viehlieferanten in Anspruch genommen.

Aber auch in der Politik gibt es Akteure, die sich für einen nachhaltigeren Umgang mit den Ressourcen Brasiliens einsetzen. Auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 haben 22 der 27 brasilianischen Gouverneure eine gemeinsame Initiative zur nachhaltigen Nutzung und Rettung Amazoniens ins Leben gerufen und vor Ort ihre Ansätze präsentiert. Eduardo Leite, der damalige Gouverneur von Rio Grande do Sul, erklärte, seine Kollegen und er seien zutiefst beunruhigt, wie die Regierung das Image Brasiliens beschädige.

Ob die Präsidentschaftswahl im Oktober etwas daran ändert, bleibt abzuwarten. Regierungen kommen und gehen, aber Brasilien wird als viertgrößter Lebensmittelexporteur der Welt immer eine wichtige Rolle für die globale Ernährungssicherheit spielen. Genauso wie seine weltweit operierenden Lebensmittelkonzerne.