Gentechnik Geleakter EU-Entwurf unter Beschuss

Im Juli wird die EU-Kommission voraussichtlich ihre Pläne für eine Überarbeitung der europäischen Gentechnikregeln vorstellen. Ein nun geleakter Entwurf wird scharf kritisiert.

Montag, 19. Juni 2023 - Hersteller
Bettina Röttig
Artikelbild Geleakter EU-Entwurf unter Beschuss
Bildquelle: VLOG

Manche gentechnisch veränderten Lebensmittel könnten künftig ohne Kennzeichnung auf den Markt kommen. Das geht aus einem bislang unveröffentlichten Verordnungsentwurf der EU-Kommission hervor, der der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel vorliegt. Demnach wolle die Behörde vorschlagen, bestimmte gentechnisch veränderte Pflanzen von den strengen EU-Gentechnikregeln auszunehmen. Befürworter hoffen, dass die Technik mehr Verbreitung findet und Nutzpflanzen dadurch beispielsweise besser gegen Schädlinge geschützt oder an die zunehmende Klimaerwärmung angepasst werden können.

Der Entwurf trifft hierzulande nicht nur auf Zustimmung. Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG), warnt: „Mit diesem verkorksten Plan kann und darf die EU-Kommission nicht durchkommen. Die völlig willkürliche Unterscheidung zwischen kennzeichnungspflichtiger und nicht-kennzeichnungspflichtiger Gentechnik versteht kein Mensch. Nicht nur ‚Ohne Gentechnik‘, sondern alle Bäuerinnen und Bauern und insbesondere auch Bio wären akut bedroht. Wie sollen sie in Zukunft sicherstellen, dass keine Gentechnik in ihre Produkte gelangt, wenn die nicht mehr gekennzeichnet werden müsste?“

Dem Entwurf zufolge könnten künftig etwa Verfahren wie die Crispr/Cas-Genschere keinen EU-Gentechnikregeln unterliegen, wenn die dadurch entstandene Sorten auch durch Verfahren wie Kreuzung oder Auslese hätten entstehen können. Solche Züchtungen würden, so der Vorschlag, unter die sogenannte Kategorie 1 der durch neue Techniken (NGT) gezüchteten Pflanzen fallen. Für die Bio-Landwirtschaft gelten die strengen Gentechnikregeln dem Vorhaben zufolge weiterhin.

Beschlossen ist das Vorhaben noch nicht, es wird voraussichtlich im Juli vorgestellt und muss dann von den EU-Staaten und dem Europaparlament verhandelt werden. Das von der FDP geführte Bundesforschungsministerium habe laut dpa grundsätzliche Unterstützung angekündigt. „Wir sollten die enormen Chancen nutzen, die in neuen Züchtungstechnologien stecken“, sagte Ministerin Bettina Stark-Watzinger. Aus dem Agrarministerium hieß es, gentechnisch veränderte Pflanzen sollten eine Risikoprüfung durchlaufen, gekennzeichnet werden und rückverfolgbar sein.

Kritik gibt es unter anderem an Artikel 8 des Entwurfs: Demnach dürften die Mitgliedstaaten die absichtliche Freisetzung oder das Inverkehrbringen von NGT-Pflanzen des Typs 1 nicht durch Anforderungen verbieten oder einschränken.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Karl Bär sieht darin einen „Frontalangriff“ auf das Modell der europäischen Landwirtschaft. „Pflanzen mit bis zu 20 gentechnischen Veränderungen sollen als gleichwertig mit konventionell gezüchteten Pflanzen gelten“, kommentiert er. Darunter seien auch Veränderungen, die weit über das Potenzial der klassischen Züchtungen hinaus gingen. „Der Vorschlag wäre das Ende der ökologischen Landwirtschaft“, befürchtete er, da sich diese mit immer mehr Aufwand vor Kontamination etwa durch von Wind verwehte Samen schützen müsste.

Entsprechend drastisch sind die Worte aus dem Öko-Sektor. Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bio-Spitzenverbandes Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) bezeichnet den Gesetzentwurf als „eine Ohrfeige für Verbraucherschutz und Wahlfreiheit“. Er treibe Bauern durch Patente in die Abhängigkeit von Gentechnikkonzernen. Sie kritisiert, dass der Großteil aller künftig mit Gentechnik manipulierten Pflanzen nach dem Vorschlag der EU-Kommission weder auf Risiken geprüft noch am Endprodukt gekennzeichnet werden sollen. Einzig auf der Saatgut-Ebene solle es eine Deklaration geben. „Die Entscheidungskriterien, nach denen künftig zwischen den zwei verschiedenen Kategorien von Gentechnikpflanzen (mit oder ohne Zulassungsverfahren) unterschieden werden soll, sind völlig willkürlich gewählt. Damit würde sich die EU-Kommission von der seit Jahrzehnten etablierten wissenschaftsbasierten Zulassung verabschieden.“  

Gentechnik widerspreche den Grundprinzipien von Bio. „Zwar erkennt die EU-Kommission dies an. Allerdings fehlen Vorschläge, mit denen dieser Ausschluss praktisch umgesetzt werden kann“, so Andres. Es solle auch keine EU-weit gültigen Vorgaben für den Schutz gegen Gentechnik-Kontaminationen, sogenannte „Koexistenzregeln“, geben, sondern diese Verantwortung werde auf die EU-Mitgliedstaaten abgeschoben. Da die nationalen Regierungen die Freisetzung neuer Gentechnik-Organismen künftig grundsätzlich nicht unterbinden dürfen, sei völlig unklar, wie Bio-Höfe überhaupt erkennen könnten, ob in der Region Gentechnik-Anbau betrieben wird, wo Kontaminationsrisiken bestehen und mit welchen – eventuell gemeinsam genutzten – Maschinen Gentechnik-Ware in Berührung kommt oder in welchen Verarbeitungs- und Handelsunternehmen die Gentechnik-Erzeugnisse genutzt und somit Bio-Lebensmittel verunreinigen können.

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