Feinkost regional Der schwere Abschied von der Regionalität

Alle reden von regional. Aber was, wenn ein Hersteller mit viel Arbeit und gut zu verkaufenden Produkten aus eben dieser Region herauswächst? Beim Kirchturm bleiben oder expandieren?

Montag, 06. Mai 2024 - Sortimente
Reiner Mihr
Artikelbild Der schwere Abschied von der Regionalität
Bildquelle: Vinella

Was geschieht, wenn ein Hersteller seinen attraktiven regionalen Manufakturstatus aufgeben muss? Wenn er entscheiden muss, ob er in die Mengenproduktion geht, den Manufaktur-Charakter aufgeben oder einschränken muss?

An dieser Schwelle zum nationalen Unternehmen steht der Feinkosthersteller Vinella aus Bad Münster am Stein-Ebernburg. Erst 2011 gegründet, „kochten“ Claudia und Andreas Rapp buchstäblich im eigenen Keller Fruchtaufstriche und Chutneys und verkauften diese anfangs auf dem Weihnachtsmarkt in Bad Münster: Hand- und vor allem Überzeugungsarbeit. Rund fünf Jahre soll es gedauert haben. „Dann kamen die Kunden zu uns an den Stand und wollten nur noch unser Chutney. Jetzt wussten wir: Da geht was“, sagt Dr. Andreas Rapp, der eigentlich schon einen vielfältigen beruflichen Lebenslauf – auch im Medienbereich – gemeistert hatte. Rapp ist Marketingmann und Stratege, seine Frau Claudia die Kochkünstlerin, die Qualität und Herstellung beherrscht – beide schafften es vom Weihnachtsmarkt in die umliegende Region mit diversen Varianten von Chutneys und Aufstrichen, alles reine Handarbeit mit Rohware aus der Region, teils selbst geerntet. Mit der entspre­chen­den Philosophie („Der Kuss für den Gaumen“) blieb das nicht im Stillen verborgen, die regionalen Händler (u. a. Wasgau und Globus) wurden aufmerksam und fuhren Aktio­nen ‒ schnell dann über die unmittelbare Region hinaus.

Richtig los ging es 2018. Seitdem ist Vinella für die Rapps ein Fulltime-Job. Und mittlerweile bei Edeka Südwest, Hit, Rewe (West, Südwest, Mitte) und weiter bei Wasgau und Globus zu finden. Neuerdings ist auch Kaufland hinzugekommen. Zentrum ist Bad Kreuznach, Mainz, Wiesbaden, auch bis Düsseldorf, Frankfurt, Offenbach, Saarbrücken oder Trier wird verkauft.

Damit stößt das Unternehmen in Größenordnungen vor, die mit „Manufaktur“ schwer zu realisieren sind. Teilautomatisierung war schnell nötig. Und jetzt steht Rapp vor dem nächsten Schritt: „Wir wollen eine Marke aufbauen.“ Längst ist auch das Sortiment breiter: Raps- und Sonnenblumenöle kamen dazu, Essige, Balsame, Sirupe und Senf aus Früchten, Saft, Grillsoßen. Das Sortiment ist bereits breit und jetzt kommt noch ein regionales Mehl dazu (Landmehl von Oma Gerti), das es zunächst nur bei Globus geben wird.

Wachstum braucht Liquidität
„Wir werden also größere Anlagen bauen, uns auch weg vom Handwerk entwickeln und teilweise automatisieren. Aber aufgeben werden wir die handwerkliche Komponente nie“, sagt Rapp. Trotzdem: Wachstum braucht Liquidität. Bisher haben Rapps aus eigener Kraft finanziert, Verstärkung ist aber jetzt nötig, offen für Partner sei man schon, verkaufen wolle man auf keinen Fall.

Der Expansionsplan ist klar, bis 2026 will Rapp nach Bayern und an die Grenzen von Schleswig-Holstein, Thüringen oder Sachsen-Anhalt vorankommen, bis 2028 werde man von nationaler Präsenz nicht mehr allzu weit entfernt sein. 50 Millionen Umsatz stehen dann im Businessplan – noch ein weiter Weg. Der Schwerpunkt soll beim Vollsortiment liegen, im Discount seien die Endverbraucherpreise nicht darstellbar. Der LEH macht derzeit schon etwa 80 Prozent des Geschäfts aus, Feinkostgeschäfte und Gastronomie kommen auf 15, das Online-Geschäft auf 5 Prozent. Die „Unschuld“ ist längst verloren, auch wenn immer noch mit eigenen Lieferwagen die Strecke bedient und noch persönlich in den Märkten beraten wird. Anfangs spielten Preis und Konditionen hier eine untergeordnete Rolle, mittlerweile wird Vinella wie jeder andere Anbieter im Handel aufgenommen. Und beim Verbraucher müsse man natürlich auch präsent sein. Das geschieht derzeit durch Zweitplatzierungen in den Märkten, Personalisierung, Social Media und Plakatwerbung. „Wir müssen das Größenwachstum aushalten“, sagt Rapp. Dabei wolle man wertebasiertes Denken und Philosophie (Geschmacksbilder, Explosion am Gaumen, Überraschung) nicht aufgeben.

Regional könne man dann nicht bleiben. Die Rohware ist übrigens gesichert. Kam sie früher ausschließlich von eigenen Obstplantagen, wird heute zugekauft, derzeit zu 75 Prozent in Vertragsanbau aus der Region. Teilweise wird weiter zugekauft, bisher aus Deutschland, das werde bei den ambitionierten Wachstumszielen aber nicht zu halten sein.

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Bild öffnen Claudia und Andreas Rapp wollen den Sprung zum nationalen Auftritt wagen.

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