Interview mit Robert Römer Tierhalter verlieren Spaß am Geschäft

Robert Römer, Geschäftsführer der Initiative Tierwohl (ITW), blickt aber trotz des bevorstehenden Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes optimistisch in die Zukunft.

Mittwoch, 11. Januar 2023 - Fleisch
Jens Hertling
Artikelbild Tierhalter verlieren Spaß am Geschäft
Bildquelle: Peter Eilers

Das neue Tierhaltungskennzeichnungsgesetz kommt. Daran gibt es offenbar nichts zu rütteln. Wie denken Sie darüber?
Robert Römer:
Wir gehen auch davon aus, dass das Gesetz nicht mehr zu stoppen ist. Wir hoffen aber noch, dass die wichtigen Änderungen, die vom Bundesrat und den zugehörigen Ausschüssen vorgetragen wurden, eingefügt beziehungsweise umgesetzt werden. Wir erwarten ebenfalls, dass die vielen Änderungswünsche und Kritikpunkte berücksichtigt werden, die von den Organisationen und Verbänden der Wirtschaft herangetragen wurden. Dazu sollte das BMEL nun zeitnah einen Austausch organisieren.

Was ist der deutlichste Mangel?
Sollte das Gesetz wie geplant in Kraft treten, würden die vielfältigen und gut funktionierenden Standards und Systeme der Wirtschaft in ihrem Fortbestand gefährdet. Denn ein tierhaltender Betrieb ist mit der Teilnahme an einem Standard oder System der Wirtschaft strengen Überprüfungen unterworfen, die er mit einer Teilnahme an der geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichnung leicht unterlaufen und vermeiden kann.

Angesichts des Wettbewerbsdrucks und der inflationsbedingten Konsumschwäche kommt die Neuregelung zur Unzeit. Was ist ihre Meinung?
Das Gesetz kommt definitiv zur falschen Zeit. Schweinehalter, die das Gesetz als erste trifft, verlieren ohnehin zunehmend den Spaß an der Tierhaltung. Gerade in der aktuellen Situation sparen die Verbraucher und müssen den Euro zwei Mal umdrehen, um dann zu günstigen Produkten zu greifen. Das macht sich klar in den Marktverschiebungen bemerkbar, der Trend geht hin zu immer günstigeren Produkten. Das bleibt auch bei Fleisch nicht aus. Mit dem Ansatz der Initiative Tierwohl, dass wir Tierwohl in die Breite bringen und dabei für den Handel, aber auch für die Verbraucher finanzierbar machen, sind wir angesichts der angespannten Marktlage richtig unterwegs. Das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geplante Gesetz, was ausschließlich eine Kennzeichnung des Status Quo vorsieht, bietet keinen Mehrwert im Hinblick auf Tierwohl. Sämtlichen bestehenden Programmen würde mit den Plänen der Bundesregierung die Existenzgrundlage entzogen.

Was bemängeln Sie konkret?
Das beabsichtigte Gesetz ist fachlich unausgereift. Flächendeckende und regelmäßige Kontrollen sind nicht vorgesehen. Das führt zu massivem Vertrauensverlust seitens der Verbraucher und erschwert es Programmen wie der Initiative Tierwohl, ihr strenges Kontrollsystem aufrecht zu erhalten. Ferner sieht das Gesetz zwar vor, das Kontrollen möglich sind, diese können aber nur bei deutschen Betrieben durchgeführt werden.

Zudem gilt es nur für einen kleinen Teilbereich des Marktes – nur frisches Fleisch vom Mastschwein, nur Handel, nur inländische Ware – und bleibt damit deutlich hinter dem System zur einheitlichen Kennzeichnung der Haltungsform des Handels zurück. Fragen der Kompensation des Mehraufwandes (Finanzierung) lässt es ebenso offen. Auch steht der mit dem beabsichtigten Tierhaltungskennzeichengesetz verbundene Aufwand in keinem Verhältnis zu dem nicht erkennbaren Nutzen, den ein staatliches Tierhaltungskennzeichen neben dem eingeführten und marktbekannten System www.Haltungsform.de stiften könnte. Im Gegenteil: Statt eines Zusatznutzens drohen erheblich Nachteile im Wettbewerb mit Tierhaltern und Wirtschaft aus dem europäischen Ausland.

Branchenkenner meinen, dass die Initiative Tierwohl als Branchenstandard durch das Gesetz konterkariert werde. Was ist ihre Meinung?
So wie das Gesetz aufgebaut ist und wie die Regelungen sind, ist das für uns und alle Programme und Standards der Privatwirtschaft ein Riesen-Rückschritt und führt dazu, dass die Relevanz der Programme in Zukunft schwindet. Deswegen sprechen wir auch von einem Rückschritt in Sachen Tierwohl. Das Gesetz, wie es aktuell im Entwurf vorliegt, wird nicht dazu beitragen, dass das Tierwohl stärker in die Breite getragen wird, sondern es erschwert die Mitwirkung der bestehenden Programme und Standards. Hier wird alles, was in Sachen Tierwohl aufgebaut wurde, plattgemacht.

Warum ist das so?
Wenn das Gesetz so kommt, ist die Kennzeichnung auf dem Produkt sehr erschwert, wenn nicht sogar unmöglich. Das würde dann bedeuten, dass die Verbraucher, die sich über die Jahre daran orientiert haben, und die Zeichen kennen, die ihnen Einkaufsorientierung bieten, diese bei frischem Schweinefleisch so nicht mehr wiederfinden. Wenn das Gesetz in der aktuell vorgesehenen Version kommt, wird das ein Tierwohlkiller.

Was hätten die Verantwortlichen besser gestalten können?
Sie hätten darauf abziehen sollen, bestehende Programme und Standards, die die Wirtschaft entwickelt hat, einen Rahmen vorzugeben und sie mit in die Weiterentwicklung des Tierwohls mitzunehmen.

Die miteinander verbundenen Tierwohlinitiativen ITW Rind und QM-Milch laufen schleppender an, als von den Trägern erwartet. Bisher haben sich nur wenige Molkereien und Milchbauern angeschlossen. Wie kann da eingegriffen werden?
Das Problem ist der aktuellen Marktsituation geschuldet. Mit dem Krieg in der Ukraine, den generellen Herausforderungen in der Branche und der hohen Inflation, die wir haben, mussten wir in ein Marktumfeld starten, das schlichtweg nicht günstig ist, um ein Tierwohl-Programm jenseits einer Nische an den Start zu bringen. Deswegen ist aktionistisches Eingreifen jetzt nicht gefragt. Wir brauchen etwas Geduld, einen langen Atem und den konsequenten Willen aller Beteiligten in Sachen Tierwohl beim Rind weiter voranzukommen. Was diese Motivation der Beteiligten angeht, so spüren wir ganz deutlich, dass der Wille vollumfänglich da ist. Auch dürfen wir nicht vergessen: Als wir 2015 mit der Initiative Tierwohl mit Schwein und Geflügel gestartet sind, hatten wir auch nicht innerhalb von ein bis zwei Jahre eine Kennzeichnung. Die Kennzeichnung bei Geflügel, sprich die Nämlichkeit, ist erst 2018 erfolgt. Bei Schwein sind wir erst 2021 in die Nämlichkeit gegangen. Auch hier hatten wir entsprechende Vorlaufzeiten, die bei vielen Marktbeobachtern jetzt gar nicht mehr so präsent sind.

Wie viele Tiere brauchen Sie, damit ITW-Rind keinen Fehlstart hinlegt?
Es geht langsamer als erhofft. Das ist alles. Fehlstart ist der falsche Begriff. Wir haben die Strukturen aufgebaut, wir haben die richtigen Voraussetzungen geschaffen. Wie schon erwähnt ist der Zeitpunkt aufgrund der Gesamtmarktlage ungünstig. Es ist die falsche Zeit dieses Programm jetzt mit Gewalt in die Breite zu bringen. Alle die, die Branchenvereinbarung unterzeichnet haben, stehen dessen ungeachtet weiter zu ihrem Engagement. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir brauchen aber etwas Zeit bzw. Geduld.

Wie viele rinderhaltende Betriebe haben sich bisher zertifizieren lassen?
Wir reden derzeit von über 300 Betrieben mit jährlich knapp 100.000 Tieren.

Wann finden Verbraucher also ITW-Rindfleisch im Regal?
Wir gehen derzeit davon aus, dass wir ab Mitte 2023 ITW-Ware vom Rind in den Regalen sehen werden und der Anteil dann stetig wachsen wird.

Wer jetzt in die Initiative Tierwohl Schwein einsteigen will, muss warten. Grund dafür ist die sinkende Nachfrage nach Schweinefleisch und die ausreichende Anzahl an Vertrags-Schweinen. Wird sich das ändern?
Generell hat Deutschland dieses Jahr einen Rückgang im Hinblick auf den Schweinefleischverzehr und die Produktion zu verzeichnen. Das sehen wir an den Schlachtzahlen und an den Absatzzahlen. Das ist eine große Herausforderung für den Schweinefleischmarkt. Wir sind mit den Beteiligten im Gespräch, um zu sehen, an welchen Stellen wir als ITW mithelfen können. Aber wir können die Gesamtsituation nicht verändern.

Viele Bauern sind verunsichert. Was sagen Sie Erzeugern, die sich dennoch für ITW interessieren?
Nach wie vor ist die ITW Deutschlands größtes Tierwohl-Programm und für die vielen engagierten Landwirte der verlässlichste Partner, wenn es darum geht, für ihr Engagement eine finanzielle Gegenleistung zu erhalten. Unsere Stärke ist der Breitenansatz. Wir gehen mit dem Markt und schauen immer, wo die Landwirte heute stehen, welche nächsten Schritte für sie möglich sind. Und nicht zu vergessen die Verbraucher – welche Schritte sind diese bereit zu bezahlen. Richtig ist aber auch: wir sind keine Insel der Glückseligkeit. Wir agieren im Gefüge des Marktes aus Angebot und Nachfrage. Und das machen wir mit unseren Partnern seit 2015 überaus erfolgreich. Wenn uns Herr Bundesminister Özdemir lässt, werden wir das auch weiterhin so handhaben und uns für mehr Tierwohl einbringen.

Viele Verbraucher sparen beim Lebensmitteleinkauf. Welche Auswirkungen hat das auf den Absatz von Tierwohlfleisch im LEH bislang?
Der Absatz von höherpreisigem Fleisch geht zurück. Das trifft insbesondere die Programme und Labels, die extrem hohe Anforderungen an die Tierhalter stellen; diese sind im Wesentlichen in der Haltungsform-Stufe 4 eingeordnet. Die bekommen die Herausforderung gerade stark zu spüren, was es bedeutet, wenn ein Großteil der Verbraucher stärker auf das Geld achtet. Aber auch beim Fleischeinstieg ist zu bemerken, dass Edelteile seltener nachgefragt werden als günstige Produkte, wie Hackfleisch. Wir haben aber auch Verschiebungen bei den Fleischkategorien. Der Schweinefleischabsatz ist generell zurückgegangen, während Geflügel relativ stabil geblieben ist und sicher auch das Potential hat, in Zukunft weiter zuzulegen. Dies ist eine Situation, die berücksichtigt werden muss, wenn man Tierwohlfleisch im Markt anbietet. Wenn Tierwohlfleisch angeboten wird, muss der Einzelhändler oder auch Metzger zusehen, den Kunden den Mehrwert zu verdeutlichen. Der Händler muss sich aber bewusst sein, dass die Menge, die noch vor einem halben Jahr verkauft wurde, aktuell so nicht mehr abgesetzt werden kann.

Was tut der LEH konkret, um den Absatz von ITW-Fleisch anzukurbeln?
Dies läuft nur über gezielte Werbemaßnahmen und Aufklärung über die Mehrwerte, gerade im Hinblick auf Tierwohl. Viele Händler kommunizieren an der Theke oder in ihren Flyern, was die einzelnen Stufen der Haltungsform darstellen. Ich finde es wichtig, dass die Händler den Kunden erklären, dass der Kauf von Tierwohlware eine gute Investition in die Zukunft ist, die die Verbraucher tätigen sollten.

Wie kann man den Absatz von ITW-Ware weiter fördern?
Wichtig wäre, dass neben dem LEH weitere Branchen ihre Verantwortung für Tierwohl erkennen. Die Gastronomie ist hier dringend gefragt, ebenso die verbliebenen Einzelhändler. Erstaunlicherweise setzt selbst das Gesetz von Herrn Özdemir nicht dort – in der Gastronomie – an, wo der dringendste Handlungsbedarf ist, sondern dort, wo bereits am meisten getan wird. Wir fordern schon länger: wenn die Gastronomie sich nicht mehr wegduckt, dann können wir beim Absatz von Tierwohl-Ware noch eine ganze Menge erreichen.

Was ist für den LEH wichtig zu wissen?
Die Initiative Tierwohl ist ein Programm für mehr Tierwohl und hat einen klaren Mehrwert für den Landwirt, für die Wirtschaftsbeteiligten und für den Verbraucher. Die ITW ist für den Handel ein Vermarktungsinstrument und eine Qualitätsabsicherung. Für Landwirte wird die Möglichkeit geboten, sich zertifiziert für mehr Tierwohl einzusetzen und das Engagement auch bezahlt zu bekommen. Für Verbraucher bietet die ITW ein erschwingliches Plus an Tierwohl an, dass man sich auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten leisten kann. Und letztlich profitieren jährlich gut 700 Millionen Hähnchen, Puten und Enten, 15 Millionen Ferkel und 27 Millionen Mastschweine von dem Tierwohl in der ITW. Diesen Tieren müsste Cem Özdemir dann eigentlich erklären, warum er ein Gesetz macht, dass deren Haltungsbedingungen schlagartig verschlechtert.

Wie geht es in Zukunft mit der ITW weiter?
Wir müssen uns mit den geänderten Rahmenbedingungen, die von der Politik kommen, beschäftigen bzw. prüfen, welche Anpassungen notwendig sind und wie wir in der Kette mit den Beteiligten einen Weg aufzeigen können, damit die Landwirte weiterhin eine entsprechende Perspektive haben.

Das heißt, dass es ITW auch in den nächsten zehn Jahren noch geben wird….
Dafür kämpfen wir! Es wird für alle Programme und Standards wesentlich schwerer werden, weil das staatliche Tierhaltungskennzeichnungsgesetz Vorgaben macht, die die Systematik und Leistung der Wirtschaft konterkariert. Wenn die Politik tatsächlich mehr Tierwohl erreichen möchte, kann es nur einen gemeinsamen Weg geben. Im Moment habe ich leider den Eindruck, dass es mehr ein Gegeneinander als ein Miteinander ist. Das ist schade, denn wir sind weiterhin für einen konstruktiven Austausch bereit.

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