Drogerieartikel Markt auf den Kopf gestellt

Wie gewonnen, so zerronnen: Nach Absatz-Höhenflügen und der Eröffnung neuer Geschäftsfelder macht der Ausfall der Erkältungssaison Herstellern von Hygienepapieren zu schaffen.

Dienstag, 18. Mai 2021 - Drogerieartikel
Bettina Röttig
Artikelbild Markt auf den Kopf gestellt
Bildquelle: Getty Images

Die Hygienepapier-Spezialisten haben ein wildes Jahr hinter sich. Nie stand Toilettenpapier mehr im Fokus der Verbraucher und der Medien. Nach Hamsterphasen und hohen Absatzzuwächsen im Einzelhandel folgten jedoch auch wieder Absatztalfahrten. „Normalerweise unterliegt die Nachfrage nach Toilettenpapier keinen Schwankungen: Ein Verbraucher benötigt circa zwei Rollen pro Woche“, sagt Markus Britz, Sales Director Brand, Region Central, bei Zewa- und Tempo-Produzent Essity. Die eigene Produktion und auch die Einkaufsabteilung der Handelsketten orientierten sich an diesen Erfahrungswerten. „Im letzten Jahr bewegte sich der Absatz von Toilettenpapier allerdings in einem Zickzackmuster.“

Dieser Zickzackkurs galt nicht nur für Toilettenpapier. Petra Ahlendorf, Country Manager Kimberly-Clark: „2020 hatte Kimberly-Clark in Deutschland, wie alle Hersteller im Hygienepapier-Bereich, Zuwächse über alle Segmente hinweg verzeichnen können. Zu Beginn der Pandemie, als Toilettenpapier Mangelware war, haben Menschen eben auch zu Alternativen wie Kosmetiktüchern oder Küchenrolle gegriffen.“ Verbraucher hätten sich zudem mit allen Produkten bevorratet, auf deren Verfügbarkeit man angewiesen sei, darunter etwa Damenhygieneprodukte oder Windeln. Nach der ersten großen Nachfragewelle im ersten Lockdown und einer kleinen Welle im Herbst sei das aktuelle Jahr verhaltener angelaufen. Die Bestände zu Hause waren noch hoch.

Darunter leidet auch Johnson & Johnson. „Die Kategorie der Frauenhygiene-Produkte verzeichnete im Frühjahr 2021 einen Rückgang im Vergleich zum Vorjahr, was insbesondere durch die Vorratskäufe im Frühjahr 2020 zu erklären ist“, sagt Inga Rehme, Marketing Manager Frauenhygiene bei Johnson & Johnson. Das eigene Sortiment an Frauenhygieneprodukten sei ebenfalls betroffen, wobei sich die Tampon-Marke o.b. insgesamt positiver entwickle als die Kategorie.

Trotz Berg-und-Tal-Fahrten haben die Marken in den vergangenen Monaten profitiert, weiß Hakle-Geschäftsführer Volker Jung: „Alle Markenprodukte haben in der Pandemie gewonnen, weil das Vertrauen in die Marke doch vorhanden ist.“ Auch Hakle habe mehr als 50 Prozent unter der eigenen Marke verkauft. „Das ist für unsere Branche außergewöhnlich hoch.“

Maskentragen wirkt sich auf Taschentuch-Absatz aus
Durch die Pandemie eröffneten sich auch neue Geschäftsfelder. So reagierten Hersteller wie Essity und Kimberly-Clark auf den Bedarf an Mund-Nasen-Schutzmasken und Hygieneprodukten und brachten eigene Produkte in die Regale.

Doch gerade die Nutzung der Masken und die aktuellen Hygiene- und Abstandsregeln setzen die Branche nun weiter unter Druck. So blieb die klassische Hochphase für den Taschentuchverbrauch, die Erkältungssaison, in diesem Herbst und Winter aus. „Die AHA+L-Regeln wirken und schützen vor Infektionen mit dem Coronavirus genauso wie vor Erkältungen und Grippe“, sagt Britz. So wurden dem Manager zufolge im Winter 2020/21 deutlich weniger Tempo-Papiertaschentücher im klassischen Einzelpäckchen nachgefragt.

Einbrüche von 30 bis 40 Prozent müsse der Markt im Erkältungssegment verkraften, sagt Petra Ahlendorf von Kimberly-Clark. Sie beobachtet im Taschentuch-Segment zudem eine Verschiebung von Päckchen zu Boxen, da Menschen vermehrt zu Hause bleiben.

Neue Zielgruppen und Anlässe stehen im Mittelpunkt
„Das sind schon große Herausforderungen, mit denen wir zu kämpfen haben und auf die niemand vorbereitet war“, sagt Ahlendorf. Unter der Marke Kleenex setzt das Unternehmen auf Innovationen, um die Einbußen durch die ausgefallene Erkältungssaison aufzufangen. Die eigene Marktforschung habe gezeigt, dass das derzeitige Marktangebot nicht alle Bedürfnisse der Verbraucher bediene, so die Managerin. Sehr wichtig für die deutschen Verbraucher sei das Thema Sicherheit. Ein Taschentuch müsse reißfest und saugstark und zugleich weich sein. „Um alle drei Komponenten abdecken zu können, ist der richtige Mix aus Langfasern für die Stärke und Kurzfasern für die Weichheit eine echte Herausforderung. Mit dem Produkt Kleenex Täglich Sicher, das wir speziell für den deutschen und Schweizer Markt entwickelt haben, ist uns der Spagat gelungen“, so Ahlendorf.

Zudem nimmt das Unternehmen stärker Allergiker ins Visier. Kleenex Allergy Comfort richtet sich an Menschen mit Heuschnupfen sowie jene, die ganzjährig an Atemwegsallergien leiden. Dieses Produkt sei besonders hautsanft, zudem fussel- und staubarm, damit keine Rückstände an die ohnehin schon gereizten Schleimhäute kommen, und auch sanft genug für den Augenbereich. Das Produkt wurde im vergangenen Jahr bereits in England und Frankreich eingeführt. „Kimberly-Clark ist global aufgestellt, entsprechend können wir häufig auch aus der Innovationskette im Unternehmen schöpfen und schauen, welche Innovationen auch auf dem deutschen Markt zusätzliche Bedürfnisse ansprechen. Nur wenn ich einen relevanten Mehrwert bieten kann, der im Markt noch nicht abgedeckt wird, führt es dazu, dass die Kategorie wächst“, betont Ahlendorf.

Auch Essity sieht einen Trend zu mehr Boxen und reagiert. Ab Juli wird der Relaunch des Tempo-Boxen-Portfolios mit mehr Tüchern pro Box und einer optimierten Würfelbox umgesetzt. Zusätzlich wird mit einem neuen Desinfektions-Hand-Schaum unter der Marke Tempo das Angebot an Hygieneprodukten ab dem dritten Quartal erweitert.

Das Rennen um die Entwicklung alternativer Fasern und Produkte
Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt die Hersteller immer stärker. So stehen für Hakle und Essity aktuell vor allem Produkte auf Basis alternativer Zellstoffe auf der Agenda.

Während Essity neue Produkte mit Strohzellstoff angekündigt hat (wir berichteten), beschäftigt sich Hakle mit Gras und Kaffeesatz (lesen Sie das Interview mit Volker Jung ab Seite 80). Hakle habe das Ziel, Hygienepapier so komfortabel wie gewohnt und so nachhaltig wie möglich zu produzieren, erklärt Jung. Nach einer Küchenrolle mit Graszellstoff kommt in Kürze Toilettenpapier mit Gras in den Handel. „Darüber hinaus stellt sich dann die Frage, ob wir Hygienepapiere auch in Graspapier verpacken können. Zunächst möchte ich aber herausfinden, ob der Verbraucher das neue Papier akzeptiert“, so der Geschäftsführer.

Auch in der Damenhygiene werden die Angebote nachhaltiger und alternativer. Johnson & Johnson erweitert im Juni sein Angebot an Tampons unter der Marke o.b. um eine „Öko“-Variante. Die neuen o.b. Organic Tampons bestehen aus 100 Prozent zertifizierter Bio-Baumwolle, sie bieten den gewohnten Komfort der o.b. Tampons und einen natürlichen Schutz, erklärt Marketingmanagerin Frauenhygiene Rehme.

Essity steigt zudem in den Markt der Alternativen zu Wegwerfartikeln im Bereich der Hygieneprodukte ein. Gibt es bereits wiederverwendbare Periodenunterwäsche von anderen Anbietern, so bringt Essity unter Tena als erste Inkontinenzmarke in Deutschland waschbare Inkontinenz-Slips auf den Markt. Nach Angaben des Herstellers verursachen sie bis zu 50 Prozent weniger CO2-Emissionen und 75 Prozent weniger Abfall. In die Tena Silhouette Slips sind superdünne Absorptionsschichten eingearbeitet, die laut Essity auf die Bedürfnisse von Frauen mit leichter Inkontinenz abgestimmt sind. Sie sind wiederverwendbar und können mindestens 50 Mal mit der restlichen Kleidung in der Waschmaschine bei 40 Grad gewaschen werden.

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