Essensretter Das ist kein Müll! - Interview mit Frank Waskow: Routinen brechen

Das Ausmaß der Lebensmittelverschwendung ist massiv. Doch es hat sich eine Front aus Handel, Industrie und privaten Initiatoren gebildet, die dem Müll eine klare Abfuhr erteilen wollen.

Donnerstag, 23. Juni 2016 - Management
Tobias Dünnebacke
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Bildquelle: Heiko Kalweit
Interview mit Frank Waskow: Routinen brechen

Frank Waskow, Verbraucherzentrale NRW, über die Chancen, Verbraucher in ihrem Wegwerfverhalten zu beeinflussen

Die EU will bis 2025 das Volumen der Lebensmittelabfälle halbieren – ist das realistisch?
Das ist wohl nicht mehr zu schaffen. Auch in Deutschland nicht. Zumal wir immer noch nicht wissen, von welcher Basis, also welchen Abfallmengen, wir ausgehen müssen.  Das Ziel 2025 ist allenfalls eine Vision. Bereits 2012 gab es einen Antrag im Bundestag, mit dem Ziel, die Abfallmenge zu halbieren. Dem haben fraktionsübergreifend alle Parlamentarier zugestimmt. Es waren konkrete Maßnahmen formuliert, wie etwa die Gründung einer Koordinationsstelle und eine Vereinbarung mit der Wirtschaft, die branchenspezifische Zielmarken zur Abfallreduzierung vorgibt. Auch sollten Forschungsergebnisse evaluiert und der Forschungsbedarf ermittelt werden. All das ist leider nicht passiert.

Man hat dennoch den Eindruck, dass es sehr viele Aktivitäten in Richtung Verbraucher gibt. Ändert sich tatsächlich etwas, oder ist das alles nur Schaumschlägerei?
Ja, es gibt viele verschiedene Projekte, Aktionen und Tipps im Verbraucherbereich. Aber wir wissen wenig über die  Wirksamkeit dieser Maßnahmen, da es keine Evaluierung gibt. Die Initiative „Zu gut für die Tonne“ ist auf Verbraucher fokus-siert. Mit öffentlichkeitswirksamen Kampagnen kann man Bewusstsein herstellen, ob im Alltag sich das tatsächliche Wegwerfverhalten verändert, ist aber unklar. Dafür müssten die Schlüsselstellen beim Einkauf und beim Wegwerfen in den Haushalten erreicht werden. Im Forschungsprojekt Klimaalltag haben wir unter anderem die Hemmnisse bei Klimamaßnahmen in Verbraucherhaushalten untersucht. Dabei hat sich bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen gezeigt, dass sowohl der Einkauf als auch der Wegwerf-Akt von Routinehandlungen dominiert sind, über die wir häufig nicht bewusst entscheiden.

Wie könnte man Verbraucher dazu bewegen, weniger wegzuwerfen?
Die Verbraucherinnen und Verbraucher zu einem anderen Verhalten zu bewegen, ist die große Herausforderung. Im Grunde fehlen uns Erkenntnisse der Konsumforschung über geeignete Instrumente und wirksame Methoden und Maßnahmen im Verbraucherkontext. Nur wenige Verbraucher werden einen Flyer oder eine App zur Hand nehmen, wenn sie vor der Entscheidung stehen, Lebensmittel wegzuwerfen. Darum befürchte ich, dass eine spürbare Reduzierung der Lebensmittelabfälle im Verbraucherbereich einen langen Prozess benötigt. Anders ist das im Bereich der Außer- Haus-Verpflegung. Dort sehe ich sogar kurzfristig große Potenziale und Möglichkeiten einer effektiven Abfallreduzierung, denn dort gibt es ein originäres unternehmerisches Interesse, und viele Maßnahmen benötigen kein Investment, sondern können über Küchen- und Ausgabemanagement gesteuert werden. Am Ende des Tages führt die Vermeidung von Lebensmittelabfällen dort auch zu spürbaren Kosteneinsparungen.

Sehen Sie den Lebensmittel-Einzelhandel in der Pflicht, auch wenn dort nicht so viele Abfälle entstehen?
Für uns stellt sich vor allem die Frage nach den Qualitätsanforderungen des Handels an die Landwirtschaft und in welcher Größenordnung dadurch unnötige Lebensmittelabfälle z. B. im Obst- und Gemüsebau verursacht werden. Dazu gibt es keine transparente Datenlage, wir wissen aber, dass es nur das schönste und makeloseste Obst und Gemüse in die Supermärkte und Discounter schafft. Nicht normgerechtes Obst und Gemüse, die sogenannten ugly foods, dauerhaft zu vermarkten, sehen wir als eine Aufgabe des Handels. Ziel sollte es sein, Verbraucher schrittweise wieder an Obst und Gemüse mit kleinen Fehlern zu gewöhnen – das wäre ein erster Schritt.

Würde es helfen, das Mindesthaltbarkeitsdatum abzuschaffen?
Eine Abschaffung des MHD lehnen die Verbraucherzentralen ab. Wir haben zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass ca. Dreiviertel der Verbraucher sach- und fachgerecht mit dem MHD umgehen können. Zudem tragen viele Lebensmittel gar kein MHD. Wenn 75 Prozent der Verbraucher ein System verstehen, dann sollte man das nicht abschaffen. Ein neues System wird erhebliche Kosten verursachen, und keiner weiß am Ende, ob es besser gegen Lebensmittelabfälle wirkt. Für eine Abschaffung sehe ich weder beim Handel noch bei den Verbrauchern Akzeptanz.

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