Essensretter Das ist kein Müll!

Das Ausmaß der Lebensmittelverschwendung ist massiv. Doch es hat sich eine Front aus Handel, Industrie und privaten Initiatoren gebildet, die dem Müll eine klare Abfuhr erteilen wollen.

Donnerstag, 23. Juni 2016 - Management
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Das ist kein Müll!
Bildquelle: Heiko Kalweit

Die Zahlen klingen erschreckend: Möchte man dem WWF glauben schenken, schmeißen die Deutschen jährlich rund 18,4 Mio. t Lebensmittel in den Müll. Im Schnitt sind das 313 kg genießbare Nahrungsmittel – pro Sekunde. Weltweit sieht es nicht besser aus: Rund ein Drittel der Weltproduktion wird laut Vereinten Nationen vernichtet. Angesichts von rund 1 Mrd. Menschen, die täglich an Hunger leiden, ein unerträglicher Fakt. Die größten Verschwender sind nach heutigen Erkenntnissen die privaten Haushalte. Dennoch besteht auf allen Stufen, also auch vom Produzenten zum Handel, Verantwortung. „Lebensmittelverluste entstehen gehäuft an den Schnittstellen Erzeuger/Industrie und Industrie/Handel. In der eigenen Produktion haben Unternehmen der Lebensmittelbranche das Thema in der Regel schon aufgegriffen“, sagt Jacob Fels vom Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke. Auch der Lebensmittel-Einzelhandel sorgt also für Unmengen an Verschwendung, d enn er schreckt häufig noch immer davor zurück, den Kunden eigentlich noch genießbare Lebensmittel aufgrund von nicht perfekter Optik und Textur anzubieten. Fast 2,6 Mio. t Lebensmittel sollen laut WWF aufgrund dieser Praktik verloren gehen. Das sind bis zu 7 Prozent aller angelieferten Waren. Europaweit gibt es auf Handelsebene bereits Bemühungen, um dieser massiven Verschwendung entgegenzutreten. Da wäre beispielsweise der Supermarkt „Wefood“ aus Kopenhagen, der ausschließlich Lebensmittel verkauft, die vorher von anderen Händlern ausrangiert wurden – und das für etwa die Hälfte des Originalpreises. Die Produkte kommen teilweise von dänischen Supermärkten, oder lokalen Importfirmen, Metzgern oder Landwirten. Mit einem ähnlichen Geschäftsmodell agiert das Handelsunternehmen „Im Angebot“ in der Nähe von Leipzig schon seit 1999. Selbst im Bioladen, wo die Öko-Generation der 1980er-Jahre weniger zimperlich bei nicht perfekt aussehenden Karotten oder Kartoffeln war, stellt sich auch hie r heute die Frage nach dem Umgang mit fleckigem Obst oder schrumpeligem Gemüse. Bei der Bio Company (Berlin) arbeitet man mit einem mehrstufigen System: Vor Ablauf des MHD wird der Preis der Ware zunächst um 20 Prozent, später um 50 Prozent verringert. Wird die Ware nicht mehr verkauft, dürfen sich auch die Mitarbeiter noch etwas nach Bedarf aussuchen. Bei Weitem keine Selbstverständlichkeit im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel. Sollte dann noch etwas übrig bleiben, wird an gemeinnützige Organisationen wie die Tafeln gespendet. Auch mit der Initiative Foodsharing (siehe Seite 16) arbeitet der Händler zusammen. „Nicht verkaufsfähig ist bei uns nicht gleichbedeutend mit Müll. Wir verwenden diesen Terminus nicht“, erläutert Georg Kaiser, Geschäftsführer der Bio Company, den Umgang mit der Ware.

Die Handelsketten kommen aus der Defensive
Auch die großen, den Markt bestimmenden Handelsketten, entdecken das Thema für sich. Das beweist das neue Konzept „Bio Helden“ des Rewe-Discounters Penny. Dabei werden deutschlandweit Obst und Gemüse in das Bio-Sortiment der Eigenmarke Naturgut aufgenommen, die äußerlich nicht makellos sind (siehe Seite 13). Die gelegentlichen, kleinen Farb- oder Formfehler würden laut Penny aber nichts an Geschmack und Qualität ändern. Es sei wichtig, den Verbrauchern zu zeigen, dass nicht alle Kartoffeln oder Möhren perfekt geformt und alle Zitronen satt gelb sein müssen. „Unser Ziel ist, dass die Kunden darauf möglichst bald gar nicht mehr achten“, sagt Jochen Baab, Geschäftsführer Rewe Group Buying und Mitglied der Geschäftsleitung Penny National. Die Kölner schätzen, dass in den Penny-Filialen deutschlandweit binnen eines Jahres bis zu 40 Mio. Naturgut-Packungen vermarktet werden können. Wie die Wettbewerber reagieren, und ob es im Handel noch stärkere Bemühungen geben wird, bleibt abzuwarten.

Der politische Druck auf den Lebensmittel-Einzelhandel steigt
Möglicherweise wird der Handel aber auch bald durch schärfere Gesetze gezwungen, sich stärker zu engagieren, denn die Vereinten Nationen haben dem Nahrungsmittelverlust den Kampf angesagt: Bis 2030 sollen die Abfälle um die Hälfte verringert werden. Die EU hat sich diesem ehrgeizigen Ziel angeschlossen und Ziele für das Jahr 2025 festgeschrieben. Mit einem scharfen Gesetz ist Frankreich bereits vorgeprescht: Seit Februar sind Supermärkte mit einer Verkaufsfläche von mehr als 400 qm verpflichtet, jegliche Verschwendung zu vermeiden und unverkaufte Ware zu spenden, als Tiernahrung oder Kompost zu verkaufen.

Ob dieser Zwang für den Handel auch nach Deutschland kommt, ist schon allein aufgrund der föderalen Strukturen fraglich. Zwar befürworten die Verbraucherzentralen eine stärkere Einbindung des Handels (siehe auch Interview auf Seite 18), andererseits erhält die neue Gesetzeslage in Frankreich nicht nur Beifall von deutschen Politikern. So kommentierte Unions-Fraktionsvize Gitta Connemann (CDU) den Vorstoß der Franzosen mit dem Satz „Wer an Zwang glaubt, hat schon verloren“. Der Handel sei sensibilisiert und arbeite mit den Tafeln zusammen, an die Lebensmittel abgegeben werden. Connemann forderte vielmehr kleinere Packungen wegen der steigenden Zahl der Single-Haushalte.

Ein weiterer Vorschlag, der dabei helfen soll, Abfälle zu vermeiden, kommt aus dem nordrhein-westfälischen Umweltministerium in Düsseldorf. Minister Johannes Remmel (Grüne) forderte jüngst ein „Koordinierungszentrum“, das längere Mindesthaltbarkeitsdaten für Lebensmittel prüfen soll.

Verbraucher Müssen in die Pflicht genommen werden
Wenn man jedoch die Verschwendung von Lebensmitteln signifikant reduzieren möchte, muss man sich vor allem auf die Verbraucher konzentrieren, denn ein Großteil der vermeidbaren Lebensmittelverschwendung fällt in den privaten Haushalten an. „Unsere Studien zeigen: Junge Menschen werfen Essen häufiger und leichtfertiger weg als ältere. Deshalb bleibe ich bei meiner Forderung an die Länder: Die Ernährungsbildung gehört in die Lehrpläne“, heißt es in einer Erklärung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Dessen Minister Christian Schmidt (CSU) hatte Ende März mit der Aussage für Aufsehen gesorgt, bei lang haltbare Lebensmittel wie Nudeln, Reis oder Mehl auf die Angabe eines Mindesthaltbarkeitsdatums zu verzichten und ausschließlich den Zeitpunkt der Herstellung anzugeben. Gleichzeitig solle bei sensiblen Lebensmitteln ähnlich dem Hackfleisch das definitive Verfallsdatum ausgebaut werden.

Auf Erzeugerseite geben derzeit vor allem Start-ups und kleine, regional agierende Unternehmen Impulse für eine nachhaltigere Produktionsweise. Da wäre beispielsweise das noch junge Unternehmen „Be Bananas“ aus Düsseldorf, das vermeintlich unverkäufliche Bananen zu Brot verarbeitet. Oder die kleine Manufaktur Hunkelstide bei Kiel, die regionale und saisonale Obst- und Gemüseüberschüsse zu Trockenfrüchten verarbeitet. „Wertschätzung von Lebensmitteln ist nicht nur eine Frage der gesellschaftlichen Verantwortung, sondern auch eine der Wirtschaftlichkeit“, sagt Guido Ritter, Professor an der FH Münster, die kleine Unternehmen dabei berät, in Zukunft noch mehr Abfall zu vermeiden.

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