Flüchtlinge Flüchtlinge - neue Kollegen, neue Kunden

Keine Frage: Es ist anstrengend, Flüchtlinge ins Arbeitsleben einzugliedern. Wie Integration gelingen kann, zeigt das Beispiel von Ahmed Elmi Sultan, der sich bei Edeka Cramer auf eine Ausbildung vorbereitet. Zudem sorgt die Flüchtlings- welle auch für zusätzliche Kaufkraft. Wie kann der Handel davon profitieren?

Freitag, 11. März 2016 - Management
Heidrun Mittler
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Sultan packt an, wo er gebraucht wird. Am liebsten aber arbeitet er im Backshop.
Bildquelle: Insa Hagemann, Heidrun Lippe

„Sultan hat unglaublich viel positive Energie“ – das ist die Beschreibung, die Sebastian Drees auf Anhieb einfällt, wenn er nach seinem Mitarbeiter aus Somalia gefragt wird. Drees arbeitet als gastronomischer Leiter bei Edeka Cramer, er ist verantwortlich für das neue gastronomische Konzept „Kaffeezeit“ in der Vorkassenzone in Lehrte. Sultan, der genau genommen Ahmed Elmi Sultan heißt, zieht schon allein durch seine dunkle Hautfarbe die Blicke auf sich. Aber ebenso, weil er freundlich, nett und „immer gut drauf ist“, wie sein Chef bestätigt. Dabei hatte der junge Afrikaner nicht immer viel zu lachen. Der 25-Jährige spricht nicht gern über die Gründe, warum er aus dem Osten Afrikas nach Deutschland geflohen ist. Seit 2013 lebt Sultan nun in Deutschland, sein Aufenthalt ist gestattet, er wartet und hofft auf die Anerkennung als Asylberechtigter.

Mitte 2015 kam er zu Edeka Cramer, hier hat er einen idealen Arbeitsplatz gefunden. Das rund 4.000 qm große E-Center hat eine ganz besondere Vorkassenzone, in der die Betreiberfamilie ein neues Konzept ausprobiert: Backshop plus Gastronomie und Café mit 64 Sitzplätzen auf insgesamt 440 qm. Ein guter Start für Sultan, der bei seinem Einstieg naturgemäß weniger Deutsch konnte als heute. Brötchen schmieren, Frühstück zubereiten und Tätigkeiten in der Küche funktionieren auch mit wenigen Worten. „Anfangs kannte er viele Produkte gar nicht, die es bei uns zum Frühstück oder Mittagessen gibt“, erinnert sich Sebastian Drees. Erst nachdem der junge Somalier Vertrauen zu den anderen Mitarbeitern gefasst hatte, traute er sich zu fragen, wenn er nicht zurecht kam.

Heute passt er wunderbar ins Team und betont selbst, wie gut ihn die Arbeitskollegen unterstützen. Mittlerweile scheut er auch den Kontakt zu den Kunden nicht mehr, schließlich hat er in seinem Heimatland schon als Kellner gearbeitet. Probleme mit Gästen hat er wegen seiner Hautfarbe im E-Center nie erlebt. Im Gegenteil, manche fragen, wo er herkommt und wie es ihm hier in Deutschland gefällt. Und alle sind freundlich, berichtet er, „sagen Bitte und Danke“. Was er sich für die Zukunft wünscht? Er möchte gern eine Ausbildung machen, am liebsten im Backshop. In Somalia, erzählt er, gab es gerade einmal zwei Brotsorten. In Lehrte lernt er auch nach fast einem Jahr immer noch neue Produkte kennen, „und alle schmecken lecker“.

Sebastian Drees betont, dass Sultan jeden Tag aufs Neue großen Elan zeigt, und freut sich, dass er „selbstständig arbeitet und sieht, was zu tun ist“. Bemerkenswert findet er, wie „dankbar und froh“ der Migrant um jede Hilfe ist, die man ihm entgegenbringt. Dieser sei sogar in der Lage, andere Flüchtlinge zu unterstützen. Brahne, ein Flüchtling aus Eritrea und ebenfalls im Unternehmen beschäftigt, hatte Anlaufschwierigkeiten, sich im Team einzufinden. Deshalb haben ihn die Cramers eine Weile nach Lehrte versetzt, damit er dort mit dem Somali gemeinsam arbeiten konnte. Mit Erfolg, Brahne ist jetzt wieder in seinem ursprünglichen Markt in Burgdorf tätig, dort absolviert er ein EQJ-Jahr, macht also eine Einstiegsqualifizierung.


Eigene erfahrungen haben ihre einstellung geprägt
Inga Ali ist die treibende Kraft hinter dem Flüchtlingsengagement bei Edeka Cramer. Gemeinsam mit ihrem Vater Jürgen und Bruder Sebastian leitet sie das Einzelhandelsunternehmen, das 1947 gegründet wurde und im Laufe der Jahre auf acht Märkte angewachsen ist. Während eines Auslandsaufenthaltes in den USA hat die damalige Inga Cramer ihren heutigen Mann Mohammad kennengelernt, einen Somali, die beiden haben geheiratet und eine Familie gegründet.

Es ist der Kauffrau ein Anliegen, um „Verständnis für Ausländer“ zu werben und Raum für unterschiedliche Kulturen zu schaffen. Im „Burgdorfer Mehrgenerationenhaus“ hat sie eine Reihe von Mitstreitern gefunden, die das gleiche Ziel verfolgen. Hier leben nicht nur Menschen verschiedenen Alters aus unterschiedlichsten Milieus zusammen, das Haus ist auch ein Treffpunkt für Jung und Alt. Die Stadt Burgdorf unterstützt verschiedene Projekte, als eingetragener Verein kann die Einrichtung auch Spenden gut gebrauchen. Ehrenamtliche kümmern sich unter anderem um die Integration von Migranten, etwa als Paten. Wichtige Bereiche werden hier vernetzt, so gibt es einen direkten Draht zur Arbeitsagentur und gut organisierte Sprachkurse. Wenn die ehrenamtlichen Lehrer den Eindruck gewonnen haben, dass ein Flüchtling für den Arbeitsmarkt bereit ist, suchen sie nach Arbeitsmöglichkeiten. Hier kommt zum Beispiel Edeka Cramer ins Spiel. Das Unternehmen hat derzeit vier Mitarbeiter beschäftigt, die den Einstieg in den Handel versuchen. Die rechtlichen Fragen, wie der Status und die Arbeitserlaubnis, sind dann bereits geklärt – eine Tatsache, die Inga Ali ausdrücklich betont und wertschätzt. Natürlich gebe es auch andere Möglichkeiten, ausländische Mitarbeiter zu rekrutieren. „Aber warum sollte ich nach Spanien fliegen, um dort Azubis anzuwerben“, fragt Inga Ali, „wir haben doch genug Arbeitssuchende bei uns im eigenen Land.“

Das Wichtigste, aber meistens auch Mühsamste, ist das Erlernen der deutschen Sprache. Bei der Einstellung verlässt sich Frau Ali auf die Empfehlung der Sprachlehrer, die explizit zu einem Praktikum, einem EQJ (Einstiegsqualifizierungsjahr) oder einer Ausbildung raten. So konnte bei Edeka Cramer schon ein Mitarbeiter (nach einem vorherigen Praktikum) eine Ausbildung beginnen. Ein zweiter wird für unterstützende Tätigkeiten in der Küche eingesetzt, ein dritter in der Backabteilung, Sultan schließlich ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

„Ich hoffe, dass alle, die derzeit noch Hilfstätigkeiten übernehmen, bis zum Sommer sprachlich so fit sind, dass sie eine Ausbildung beginnen können“, sagt die Kauffrau. Dabei ist es durchaus nicht selbstverständlich, dass sie die drei jungen Männer für eine Ausbildung begeistern kann. Schließlich müssen die Migranten erst einmal viel Zeit in ihre Lehre investieren – Zeit, in der sie „nur“ ihr Ausbildungsgehalt beziehen und somit kaum ihre Familien zuhause unterstützen können.

Was stellt denn die größte Herausforderung im Umgang mit den Flüchtlingen dar? Inga Ali überlegt kurz und antwortet: „Es bedarf Überzeugungsarbeit, die Mitarbeiter zu motivieren, dass sie sich immer wieder neuen Menschen annehmen. Und das zusätzlich zu ihrer täglichen Arbeit, denn es ist bei Weitem ein Unterschied, einen Migranten einzuarbeiten als einen deutschsprachigen, neuen Mitarbeiter“. Wie gut, dass sie so verständnisvolle Mitarbeiter hat, wie Sebastian Drees und sein Team.

Die Edeka engagiert sich zentralseitig mit eigenen Projekten. So unterstützt die Region Minden-Hannover im Raum Berlin und Brandenburg das Projekt „Fair welcome“, das geflüchteten Menschen auf der Suche nach einem Arbeits- und Ausbildungsplatz begleitet. Eine weitere Maßnahme ist im Großraum Hamburg an den Start gegangen: Hier will die Edeka 10 bis 15 Flüchtlinge als Auszubildende einstellen. Dabei handelt es sich um die Kernberufe Verkäufer ein Durchstieg zum Kaufmann ist möglich. Bei entsprechender Qualifikation sollen die Flüchtlinge auch in der Verwaltung, Logistik und Gastronomie ausgebildet werden.


Edeka-Zentrale baut netzwerk auf
Und so soll es funktionieren: Zunächst wurde ein Netzwerk mit einigen engagierten Edeka-Kaufleuten, der Zentrale (mit Logistikstandorten) und dem Berufsbildungswerk Hamburg (BBW) gebildet. Das BBW übernimmt dabei für das Handelsunternehmen die Kontaktaufnahme zu möglichen Interessenten und hält Kontakt zu beteiligten Institutionen wie Integrationsklassen, Behörden oder Flüchtlingsinitiativen. Das BBW prüft also im Vorfeld, welche Bewerber für einen Ausbildung im Handel in Frage kommen, dann werden die möglichen Kandidaten an die Einzelhändler vermittelt.

Zu den Kriterien, die zugrunde gelegt werden, äußert sich die Edeka so: „Für uns kommt es nicht auf die Herkunft an, sondern auf Engagement, soziale Kompetenz und die Lust auf Bildung“. Schließlich seien diese Eigenschaften von zentraler Bedeutung, denn „sie sind der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration“.

Integration: Darauf sollten Sie achten

Verständigung
Fehlende Deutschkenntnisse sind der größte Stolperstein für dieBeschäftigung von geflüchteten Menschen. Es ist einfacher, Flüchtlinge einzustellen, die bereits eine Zeit lang in Deutschland leben und „angekommen“ sind, mit der deutschen Lebensweise vertraut sind.

Klare Verhältnisse
Bevor man einen Migranten einstellt, müssen die rechtlichen Voraussetzung geklärt sein, also Papiere, Status, Arbeitserlaubnis. Dazu ist der Kontakt mit der Agentur für Arbeit und den Jobcentern unbedingt notwendig.

Netzwerk
Suchen Sie den Kontakt zu Menschen und Einrichtungen, die Geflüchteten helfen. Diese unterstützen im besten Fall bei Behördengängen und andere alltäglichen Problemen.

Reinschnuppern
Praktika oder eine Einstiegsqualifizierung sind  sinnvolle Maßnahmen, um den potenziellen Mitarbeiter kennenzulernen. Wenn anschließend ein Ausbildungsvertrag unterschrieben wird, hat der Flüchtling ein Bleiberecht für die Dauer der Ausbildung. Die Forderung vieler Arbeitgeber nach der 3+2-Regelung ist aktuell noch nicht umgesetzt. Damit würde die Zeitspanne, in Asylsuchende in Deutschland bleiben können, auf fünf Jahre erweitert.

Geduld
Wer Flüchtlinge einstellt, sollte dafür sorgen, dass sie im Alltag gut ins Markt-Team eingebunden sind.

Perspektive
So zynisch es auch klingt, es gibt offiziell Flüchtlinge mit „guter Bleibeperspektive“ und andere, die wenig Chancen haben, in Deutschland bleiben zu dürfen. Aktuell haben Menschen aus Syrien, Iran, Irak und Eritrea gute Chancen auf einen Aufenthaltstitel. Jedoch kann sich die Situation aufgrund politischer Entscheidungen ändern.

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Bild öffnen Inga Ali macht’s möglich: Die Edeka-Kauffrau gibt Sultan, wie er in Lehrte genannt wird, eine Chance.
Bild öffnen Sultan packt an, wo er gebraucht wird. Am liebsten aber arbeitet er im Backshop.
Bild öffnen Der junge Mann aus Somalia lernt noch immer jeden Tag neue Produkte kennen.