Interview mit Josef Sanktjohanser „Der Mindestlohn wird Arbeitsplätze kosten“

Für 2014 sieht HDE-Präsident Josef Sanktjohanser an sich gute Rahmenbedingungen für den Handel. Doch es gibt auch viele Herausforderungen.

Donnerstag, 16. Januar 2014 - Management
Sonja Plachetta
Artikelbild „Der Mindestlohn wird Arbeitsplätze kosten“
Bildquelle: Hoppen

Die jährliche Trendbefragung der LEBENSMITTEL PRAXIS unter 1.000 Lebensmittelhändlern hat gezeigt, dass die Kaufleute die Stimmung im LEH besser einschätzen als noch vor einem Jahr. Wie bewerten Sie dies?
Josef Sanktjohanser: Die Rahmenbedingungen für den Einzelhandel sind gut. Insbesondere der Arbeitsmarkt entwickelt sich weiter positiv, die Einkommen steigen, die Sparquote sinkt leicht, und die gesamtwirtschaftliche Perspektive für dieses Jahr ist nicht schlecht. Dennoch sehen wir im Einzelhandel nur eine verhalten positive Stimmung. Einen deutlichen Dämpfer bei vielen Unternehmen und Verbrauchern setzten die deutlich gestiegenen Energiepreise.

Wie schätzen Sie als HDE-Präsident und Lebensmittelhändler die wirtschaftliche Lage für den LEH ein?
Der Lebensmittelhandel steht gut da. Die Umsätze der Branche steigen. Der Trend bei den Kunden geht zu hochwertigen, dann auch etwas teureren Produkten. Die Menschen gönnen sich etwas. Die Händler verändern dementsprechend ihre Sortimente und den Ladenbau. Hochwertigere Regale, breitere Sortimente und auch immer mehr nachhaltige Waren machen den Trend für jedermann sichtbar.

Die von uns befragten Händler schauen weiter mit Sorge auf die Kosten. Offenbar wird der Kostendruck von Jahr zu Jahr stärker. Werden dadurch die Preise für die Verbraucher weiter steigen? Wenn ja, wie stark?
Wir beobachten derzeit in der Tat spürbar steigende Preise für Nahrungsmittel. Zuletzt haben zur Teuerung vor allem die saisonabhängigen Nahrungsmittel wie Obst und andere Frischwaren beigetragen. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Die Lage in den Erzeugerländern, die weltweite Nachfragesituation, aber auch klimatische und politische Faktoren können sich hier auswirken. Generell sehen wir zunehmende Preisschwankungen. Das erschwert eine verlässliche Prognose.

Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung, um auf diesem Gebiet gegenzusteuern?
Die neue Bundesregierung muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit der Handel auch weiterhin Stabilitätsfaktor für die deutsche Volkswirtschaft bleiben kann. Dafür ist von zentraler Bedeutung, dass die Verbraucher nicht be-, sondern entlastet werden. Umso mehr kritisieren wir, dass die Koalition nicht entschieden genug gegen den Strompreisanstieg vorgeht.

Sie fordern u. a. einen Neustart der Energiewende sowie eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Was müsste sich ändern?
Es müssen endlich marktwirtschaftliche Grundsätze beim Ausbau der erneuerbaren Energien gelten. Und die Ausnahmen von der EEG-Umlage müssen deutlich zurückgefahren werden. Die immer weiter steigenden Energiepreise bekommen wir nur so in den Griff. Deshalb muss auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) grundlegend neu ausgerichtet werden. Wir kommen um einen Neustart der Energiewende nicht herum. Hier hat die Große Koalition bisher keine überzeugende Antwort im Koalitionsvertrag formuliert. Die Politik muss mehr Mut beweisen und einen Neuanfang in Angriff nehmen.


Was bedeutet die geplante Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro für den LEH?
Der angekündigte gesetzliche Mindestlohn ist ein Schritt in die falsche Richtung. Das wird Arbeitsplätze kosten. Ein Mindestlohn muss von den Tarifpartnern festgelegt werden, nur dann können die unterschiedlichen, regionalen Gegebenheiten entsprechend berücksichtigt werden. 8,50 Euro haben in Bayern eine andere Wirkung als in Sachsen-Anhalt.

Die Stimmung im Einzelhandel ist verhalten optimistisch. Dass sie nicht besser ist, liegt u. a. an den stark ?gestiegenen Energiepreisen, sagt Josef Sanktjohanser, Präsident des Handelsverbands Deutschland (HDE).

Beim Deutschen Handelskongress haben Sie gesagt, dass Sie ohne eine Modernisierung des Tarifwerkes keine Zukunft für den Einzelhandel sehen. Wie müsste aus Sicht des Handels ein zukunftsfähiges Tarifwerk aussehen?
Zukunftsfähige Tarifverträge müssen sich an der Realität orientieren. Dafür ist eine Modernisierung unerlässlich. Statt Kaltmamsell und Flakhelfer brauchen wir Eingruppierungsbeispiele von aktuellen Tätigkeiten in den Unternehmen. Der Tarifvertrag muss auf alle Vertriebsformen des Einzelhandels zugeschnitten sein, auch auf den Online-Handel. Anforderungen an verschiedene Tätigkeiten und die jeweilige Vergütungshöhe im Tarifvertrag müssen wieder in Einklang zueinander gebracht werden. Für Unternehmen, die in mehreren Tarifgebieten arbeiten, brauchen wir eine Vereinheitlichung der Strukturen. Das erleichtert die Anwendbarkeit und schafft einen Anreiz zur Tarifbindung für tarifungebundene Unternehmen. Damit sind regionale Differenzierungen bei der Entgelthöhe – und damit regionale Tarifverhandlungen – ausdrücklich nicht gemeint. Die können und sollen auch weiterhin bestehen bleiben.

Welche Auswirkungen haben Ihrer Einschätzung nach die Pläne der neuen Bundesregierung für den Lebensmittel-Einzelhandel noch?
Zwar ist nicht mehr die Rede von Steuererhöhungen, dafür werden aber auch bestehende Missstände nicht angegangen. Wir hätten uns die Abschaffung der kalten Progression gewünscht. Auch die ungerechten Hinzurechnungen von Mieten und Pachten bei der Gewerbesteuer bleiben weiter erhalten. Das kann den Unternehmen an die Substanz gehen – denn auch in Jahren mit wenig oder ohne Gewinn müssen die Betriebe dann über die Hinzurechnungen bezahlen. Die Gewerbesteuer ist antiquiert, ungerecht und in ihrer heutigen Form verfassungswidrig. Die Finanzierung der Kommunen muss grundsätzlich auf eine neue Grundlage gestellt werden. Enttäuschend ist auch, dass die kalte Progression bei der Einkommensteuer nicht abgemildert, geschweige denn abgeschafft wird.

Welche weiteren wichtigen Themen und Knackpunkte sehen Sie für den Lebensmittelhandel im Jahr 2014?
Für den Lebensmittelhandel stehen 2014 vor allem auf der europäischen Agenda einige wichtige Themen – beispielsweise die Ausdehnung der Herkunftskennzeichnung von Fleisch auf Milch, Milch als Zutat, unverarbeitete Lebensmittel und primäre Zutaten. Die praktische Umsetzung dieser Lebensmittelinformations-Verordnung ist eine große Herausforderung für den Handel. Hier müssen wir auf die richtige Balance zwischen Transparenz und Informationsüberflutung achten. Darüber hinaus spielen im Rahmen der Lebensmittelinformations-Verordnung die Nährwertkennzeichnung, das Einfrierdatum, die Mindestschriftgröße, die Allergenkennzeichnung loser Ware und der Fernabsatz von Lebensmitteln eine Rolle. Viele ungeklärte Auslegungsfragen machen den Unternehmen die praktische Umsetzung schwer. Ein weiteres großes Themenfeld ist die Debatte um die Ausdehnung der Gebührenpflicht für amtliche Lebensmittelkontrollen. Demnach sollen die Unternehmen für die bei ihnen durchgefü hrten amtlichen Kontrollen selbst bezahlen. Das ist aus unserer Sicht nicht tragbar. Die Kontrollen gehören zu den Leistungen des Staates – die Kosten sollten demnach wie bisher auch von den durchführenden Behörden getragen werden. Außerdem geht es um die Transparenz von Kontrollergebnissen. Hier müssen wir sehr genau hinschauen. Die Veröffentlichung von Unternehmensdetails, vorläufigen Ergebnissen oder leichten Verstößen kann einen unverhältnismäßig hohen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Jegliche Neuregelung sollte das gut funktionierende, bestehende System von Eigenkontrollen und Drittzertifizierung berücksichtigen.

Weitere Themen werden das Tierwohl und der Tierschutz, die Klontechnik, die Überarbeitung der EU-Öko-Verordnung und das transatlantische Handels- und Investitionsabkommen mit den USA sein.


Online-Handel mit Lebensmitteln hat bisher kaum Bedeutung. Wird sich das in absehbarer Zeit ändern?
Der Anteil des Online-Handels am Gesamt-Umsatz mit Lebensmitteln liegt derzeit bei unter 1 Prozent. Der Markt scheint angesichts ausgereifter Frischelogistik allerdings durchaus reif für ein breiteres Angebot auch von Waren des täglichen Bedarfs zu sein. Trotz aller verlockenden Perspektiven sehen wir hier den Online-Einkauf aber wohl vor allem als eine Ergänzung zum stationären Handel. Struktur und Leistungsstärke des stationären Lebensmittel-Einzelhandels im Hinblick auf Betriebsformenvielfalt, Filialdichte, Angebotsqualität und Preisniveau haben hier wesentlichen Einfluss auf die Entwicklungschancen des Online-Handels.

Immer mehr Verbraucher sind auch im Laden per Smartphone stets online. Inwiefern verändert das das Einkaufsverhalten im Supermarkt?
Smartphones machen es den Kunden möglich, immer und überall nach dem passenden Angebot zu suchen. Das machen viele Kunden auch im Supermarkt so. Sie scannen Barcodes ein, vergleichen Preise und Sortimente. Für die Händler ist das eine zusätzliche Möglichkeit, mit den richtigen Angeboten Kunden von sich zu überzeugen.

Wie müssen Lebensmittelhändler darauf reagieren? In welche Technologien sollten sie investieren, damit der moderne Kunde weiter gern im stationären Laden einkauft?
Bei Lebensmitteln dominiert der stationäre Handel doch sehr deutlich. Grundsätzlich geht es für den stationären Handel darum, seine Stärken wie die persönliche Beratung und das Einkaufserlebnis auszubauen. Bei den Technologien ist zu beobachten, dass immer mehr Händler ihren Kunden die Möglichkeit geben, per Handy an der Kasse zu bezahlen. Jetzt ist es an den Kunden, zu entscheiden, ob dieses Verfahren massentauglich ausgebaut wird.

Ein wichtiger Punkt für die Wahl der Einkaufsstätte sind für viele Kunden die Themen Service und Beratung. Dafür brauchen die Lebensmittelhändler motivierte und kompetente Mitarbeiter. Welche Strategien haben Sie, um den Handel als Arbeitgeber für junge Menschen attraktiv zu machen?
Der Handel ist eine sehr vielseitige und abwechslungsreiche Branche mit hervorragenden Aufstiegsmöglichkeiten. Das müssen wir immer wieder deutlich machen. Die Angestellten im Handel selbst sind dafür die besten Zeugen. So zeigt eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, dass insgesamt mehr als 90 Prozent der Beschäftigten im deutschen Einzelhandel mit ihrer Arbeit sehr zufrieden oder zufrieden sind.