Interview zur Wiedervereinigung "Wir wurden nicht gefragt" - Konsum nach dem Mauerfall

Beide sind in der DDR aufgewachsen, beide stehen einer ostdeutschen Konsumgenossenschaft vor. Petra Schumann von der Konsum Leipzig und Roger Ulke von der Konsum Dresden über Wiedervereinigung, Wendejahre und Wandel nach der Planwirtschaft.

Donnerstag, 21. Oktober 2010 - Management
Markus Oess
Artikelbild "Wir wurden nicht gefragt" - Konsum nach dem Mauerfall
Petra Schumann, Vorstandssprecherin Konsum Leipzig
Bildquelle: istockphoto, Mugrauer

Frau Schumann, was passierte danach mit Konsum?
Erstmal war alles weg. Wir standen wieder vor einer Mauer. Wir hatten ja keinen Einkauf und konnten weder die Geschäfte noch unsere Geschäftspartner überhaupt einordnen. Wir haben auch Lehrgeld bezahlen müssen, nicht jeder, der bei uns anklopfte war integer. Dann kam 1990 die Währungsreform. Mit dem Wissen von heute hätten wir eine Menge Geld verdienen können.

Ulke: Das war in Dresden nicht anders. An vermeintlichen Partnern und Ratgebern herrschte kein Mangel. Eine sehr kluge Entscheidung des damaligen Verantwortlichen war es aber, die Fusion zu einer Genossenschaft Ostsachsen zu verweigern und sich auf eine Fusion der KGs Dresden-Stadt und Dresden-Land zu beschränken. Diese neue Genossenschaft, die Konsum Dresden eG, war leichter an die neue Zeit anzupassen. Der kurze Zeit später erfolgte Konkurs von Ostsachsen bestätigte die Entscheidung.

Frau Schumann, wie ging es dann weiter?
Anfangs fühlten wir uns wie auf einer Wanderdüne. Mit jedem Schritt rutschte wieder etwas weg, Wir mussten uns in Alles reinarbeiten, ganz egal ob das nun Gesetze oder das Warengeschäft waren. Das war schon spannend. 1991 fusionierten drei Genossenschaften zu Konsum Leipzig und ich stand in meiner Position als Einkaufsleiterin vor der Situation mich zum ersten Mal bewerben zu müssen. Ich hatte Glück. Es ging ja erst mal darum unter der Führung von Stephan Abend das Unternehmen vor dem Untergang zu bewahren. Wir haben bis 1992 rund 330 Läden abgegeben, mussten uns deshalb von vielen Mitarbeitern trennen. 1992 stand die schwarze Null und 1993 verdienten wir erstmals wieder Geld, als wir uns nur noch auf den Lebensmittelhandel konzentrierten. Mit neuem Qualitätsstandard „Frische, Beratung und Service in der Nahversorgung" wurden aus alten Kaufhallen moderne Supermärkte - mit Namen: ‚Lieber zu Konsum'.

Herr Ulke, sie kamen erst 2000 zum Konsum Dresden?
Ulke: Das ist richtig, damals beriet ich für Jos de Vries Konsum Dresden. Wir haben nach „westlichem Strickmuster" eine Standortbewertung vorgenommen. Welche Läden sind zukunftsfähig, welche Sortimente sind nötig, welche Struktur brauchen die Märkte. Ich konnte Erfahrungen aus den Niederlanden und von zahlreichen Studienreisen in Europa und den USA (übrigens auch mit der MLF) einbringen. So haben wir, gemeinsam mit den Mitarbeitern zwei neue Ladenkonzepte entwickelt und umgesetzt. Erste Filiale war der KONSUM in der Alaunstraße, zweiter die FRIDA in der Karcher Allee. Die Konzepte funktionierten aus dem Stand. Und das war sicher auch ein Grund, dass ich ab Juli 2000 als Marketingvorstand Verantwortung übernehmen durfte.

Der Neuanfang startete später?
Ulke: Leipzig war tatsächlich früher dran als wir. Wir waren damals mit der Firma Frey & Kissel verbunden. Wir haben viel gelernt und die Partnerschaft war fruchtbar. In dieser Zeit fiel die Entscheidung unter „Pappenstiel" einen eigenen Konsum-Discounter zu betreiben, eine Filiale stand sogar in Leipzig. Als ich kam wurde aber schnell klar, dass die acht oder zehn Filialen kein Geld bringen können. Wir haben uns auf unser Kerngeschäft, den Handel mit Qualitätslebensmitteln, fokussiert.

Frau Schumann, was war für Sie der wichtigste Augenblick Ihrer Karriere?
Schumann: Das kann ich nicht sagen, vielleicht als wir nach Jahren mit der Filiale in der Coppi-Straße eine Filiale eröffnet haben, die uns auch gehört. Wir hatten aus eigener Kraft wieder etwas aufgebaut.Unser erster Neubau in der neuen Zeit, ein sehr emotionaler Moment für mich.

Was zeichnet Konsum Dresden aus Herr Ulke:
Wir können Nahversorgerflächen von 200 - davon haben wir noch 2 Filialen - bis 1.700 qm erfolgreich und nachhaltig bewirtschaften. Noch heute ist einer unserer rentabelsten Märkte die „Modrowkaufhalle"in der Dresdner Johannstadt. Zu DDR-Zeiten kaufte dort der spätere Vorsitzende des Ministerrates der DDR Hans Modrow ein. Sie können Sie sicher vorstellen, dass dieser Markt Produkte führte, die es anderswo nicht gab. Heute liegt unsere Durchschnittsfläche bei rund 900 qm.

Herr Ulke: Konsum Dresden ist in den Westen gegangen. Was erlebt man da als ostdeutsches Unternehmen?
Ulke: Als wir 2007 in Erlangen den ersten Markt eröffneten hatten wir vorher getestet, wie bekannt der Name Konsum dort ist. Immerhin verbanden 60 Prozent der Befragten damit qualitativ gute Lebensmittel. Zum einen kamen die Leute aus dem Osten, um endlich wieder Ost-Produkte kaufen zu können, auch wenn das nicht mehr als zu viele sind. Die anderen kamen als Touristen, die sehen wollten, was wir so verkaufen. Das meistverkaufte Produkt der ersten Woche waren die Zetti-Knusperflocken. Trotz einer fordernden Startphase wachsen wir jetzt dort mit nahezu 30 Prozent und haben bereits zwei weitere „Frida"-Märkte in Nürnberg eröffnet. Im Frühjahr 2011 geht die nächste „Frida" in Erlangen an den Start.

Frau Schumann, wie hoch ist der Anteil der Mitarbeiter, die die Wende bewusst mit erlebt haben?
Schumann: Wir haben ein Durchschnittsalter von 42 Jahren, daran können Sie sehen, dass der überwiegende Teil das miterlebt hat.

Ulke: Bei uns ist das Durchschnittsalter mit 39,7 Jahren etwa 8 Jahre jünger als der Dresdner Durchschnitt. Ich denke es gibt ein gutes Miteinander von Dynamik und Erfahrung.

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Bild öffnen 20 Jahre wiedervereint (Bild: iStock Photo)
Bild öffnen Petra Schumann, Vorstandssprecherin Konsum Leipzig
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Bild öffnen Im Interview: Petra Schumann und Roger Ulke mit LP-Redakteur Markus Oess