Interview Dr. Berninghaus - Migros Schweizer Modell mit Anspruch

Die Migros investiert in den kommenden drei Jahren 5 Mrd. CHF in den Heimatmarkt. Das ist so, als ob ein deutscher Händler 50 Mrd. Euro in den deutschen Markt stecken würde: Dr. E. Dieter Berninghaus über Verbraucher, Vertrauen und Verpflichtungen.

Dienstag, 07. September 2010 - Management
Markus Oess

Die Migros ist die Nummer 1 im Land. Das soll sie auch im Discountsegment bleiben. Warum Discount in der Schweiz erfolgreich ist, aber anders funktioniert, erklärt der dafür zuständige Chef des Departements Handel, Dr. E. Dieter Berninghaus, im LP-Gespräch. Während die Migros insgesamt verloren hat, konnte Denner immerhin um 2,4 Prozent zulegen.

Bekennen sich die Schweizer endlich zu ihrer Discounter-Liebe?
Dr. E. Dieter Berninghaus: In konjunkturell schwierigen Zeiten gewinnen Discounter generell. Da macht die Schweiz keine Ausnahme. Denner hat aber auch im vergangenen Jahr, wie schon in den Jahren zuvor, überdurchschnittlich gut gearbeitet.

Rund 800 Denner-Filialen sollen es werden, mit Flächen von um die 500 qm. Kann ein Discounter heute damit leben?
Sie müssen bedenken, dass die Schweiz kleinflächiger ist, andere regionale und kommunale Rahmenbedingungen als etwa Deutschland bietet. Denner ist in diese Strukturen hineingewachsen, auch mit den Sortimenten. Die 500 qm sind die optimale Betriebsgröße für Denner. Der Schweizer verschmäht die Discounter nicht, aber er will sie als Nahversorger und weniger auf der grünen Wiese. Außerdem haben wir unsere gesamten Prozesse auf diese Größe abgestimmt.

Denner arbeitet profitabel. Was kann die Migros von Denner lernen?
Denner operiert hochprofitabel. Die EBIT-Marge liegt bei deutlich über 3 Prozent. Sicher lassen sich einzelne Elemente immer optimieren, könnte also auch die Migros rein betriebswirtschaftlich noch besser arbeiten? Diese Betrachtung greift viel zu kurz. Die Migros ist der Nachhaltigkeit verpflichtet. Wir sind auch im europäischen Benchmark sehr rentabel, halten aber die Balance zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialer Verantwortung und gelten als einer der nachhaltigsten Händler der Welt. Zudem ist die Migros finanziell sehr robust ausgestattet und hat neben Tesco als einziger europäischer Lebensmittelhändler ein Single-A-Rating. Ich kenne kein europäisches Unternehmen, dem dieser Dreiklang besser gelingt.

Gezielt sucht Denner den Schulterschluss zu Migros. Inwiefern muss sich Denner konzeptionell weiterentwickeln, wenn nun auch Migros Marenartikel führt und weiter in die Preise investiert?
Die Überschneidungen im Markenbereich bleiben marginal. Das Migros-Sortiment besteht weiterhin aus mehr als 90 Prozent Eigenmarken. Auch bei den Preisen gibt es keine Probleme. Beide Formate ergänzen sich ideal. Dazu kommt die Weinkompetenz von Denner. Migros verkauft bekanntlich keinen Alkohol. Fast noch wichtiger ist: An gemeinsam entwickelten Standorten profitieren beide wechselseitig von einer gesteigerten Frequenz.

Wo sehen Sie Denner innerhalb der Migros, welche Rolle soll das Unternehmen in den nächsten Jahren einnehmen?
Discount ist heute ein fester Bestandteil im LEH, auch wenn er hier zu Lande nicht die Bedeutung erlangen wird wie in Deutschland. Die Migros beansprucht für sich klar die Marktführerschaft, genau das wird Denner für uns in diesem Segment tun.

 Was ist mit der Konkurrenz? In den nächsten Jahren soll der Discount-Marktanteil auf 15 Prozent klettern, wie viel davon kann sich Denner sichern?
Noch ist Lidl, und selbst Aldi, nicht so weit, um ein abschließendes Urteil abzugeben. Und 15 Prozent sehe ich auch nicht, kurzfristig irgendwann vielleicht 10 Prozent. Sicher ist aber: Denner bleibt auf Jahre unangefochtener Marktführer.

Wann wird Denner denn die Präsenz von Aldi und Lidl zu spüren bekommen?
Das ist schwer zu sagen. Beide spielen in der Europa-Liga ganz vorn mit und werden, von niedriger Basis kommend, in der Schweiz automatisch Marktanteile gewinnen. Von wem und in welchem Umfang bzw. mit welcher Geschwindigkeit, lässt sich erst abschätzen, wenn beide jeweils 150–200 Filialen betreiben und zusammen 3 bis 4 Mrd. CHF umsetzen. LeShop wächst weiter zweistellig, wenn auch von vergleichsweise geringem absoluten Niveau von ca. 135 Mio. CHF.


Verdient LeShop auch Geld?
Wir sind mit der Ergebnisentwicklung zufrieden und haben unsere Budgets klar übertroffen. Ein Durchschnitts-Bon von 240 CHF und jährlich 17 Bestellungen pro Lieferadresse sind auch so schlecht nicht. LeShop hat für uns vor allem einen strategisch sehr hohen Stellenwert. LeShop basiert auf einem Wachstumskonzept und ist für uns Innovationsmotor für den gesamten Online-Handel. Wir treiben das Geschäft bewusst weiter an und investieren entsprechend, weil wir von den enormen Learnings auch für andere Online-Aktivitäten profitieren. Aus diesem Grund haben wir jetzt gerade mit unserem iPhone App einen neuen Standard gesetzt: 26.000 Downloads in zwei Wochen, damit bietet LeShop derzeit die beliebteste Gratis-Life-Style-Applikation der Schweiz. Die zentrale Bedeutung des Internets bzw. des Webs 2.0 für die Migros können Sie auch daran erkennen, dass wir eine Online-Direktion gebildet haben, die dieses Thema gruppenübergreifend weiterentwickelt und direkt dem CEO untersteht.

Warum ist das Online-Geschäft so wichtig für die Migros?
Zum einen ist Migros mit rund 600 Mio. CHF Online-Umsatz schon heute der größte Internet-Händler im Land. Das ist schon ein Pfund. Migros mit all ihren Aktivitäten ist außerdem felsenfest im täglichen Leben der Schweizer Bürgerinnen und Bürger verankert. Denken Sie allein daran, dass fast ein Drittel der Bevölkerung einen Genossenschaftsanteil besitzt und damit Miteigentümer der Migros ist. Für nachfolgende Generationen sind webbasierte Kommunikation, Mobilität und soziale Online-Netzwerke ganz selbstverständlich. Wir müssen diese Klaviatur spielen lernen, wollen wir im täglichen Leben unserer Kunden von morgen genauso umfassend verankert bleiben wie heute.

Wie läuft die Kooperation mit Shell und den Tankstellenshops, was hat sich gegenüber Valora verändert?
In der Testphase haben Shell und wir je vier Tankstellen auf Shell umgeflaggt und die Shops auf Migrolino umgestellt. Wir haben bei den Shop-Umsätzen und beim Sprit signifikante Steigerungen bei Umsatz und Frequenz verzeichnet. Binnen eines Jahres haben wir dann Vollgas gegeben und 139 Migrolino-Shops teils auch in Bahnhöfen neu eröffnet und sind jetzt die Nummer zwei im Markt. Laut Umfragen ist Migrolino gerade nach der neuesten Werbekampagne mit Kaya Yanar die sympathischste Convenience-Kette der Schweiz. In diesem Jahr kommen weitere 40 Standorte dazu.

Wie bewerten Sie die Tests mit Shell in Deutschland?
Wir testen im Stuttgarter Raum vier Shops, das ist richtig, Aber ich will das nicht zu hoch hängen. In Deutschland herrschen andere Bedingungen.

Im Grunde ist die Migros ein Gemischtwarenladen, ist sie als Genossenschaft dann doch nicht etwas zu behäbig?
Migros ist ein robustes Unternehmen. Fest verankert in der Schweizer Gesellschaft und nach meinem Kenntnisstand der weltweit einzige Lebensmittelhändler mit einer vertikalen industriellen Prozesskette. Der überwiegende Teil unserer Waren stammt aus eigener Produktion. Die Unternehmensführung ist unter diesen Umständen unbestritten eine äußerst anspruchsvolle Sache, eröffnet uns aber die Chance, eigene Wege zu gehen und eine Alleinstellung am Markt zu behaupten. Die Migros investiert in den kommenden drei Jahren 5 Mrd. CHF in den Heimatmarkt Schweiz. Das ist von den Dimensionen her so, als ob ein deutscher Händler 50 Mrd. Euro in den deutschen Markt stecken würde. Die Migros ist ein Modell für die Schweiz, aber ein sehr gut funktionierendes.

Was unterscheidet die Migros als Arbeitgeber von den deutschen Händlern?
Dass die drei Ziele Ökonomie, Ökologie und soziale Verantwortung absolut gleichberechtigt verfolgt werden.

Das sagen andere Unternehmen auch…
Hier sind es jedenfalls keine Lippenbekenntnisse, sondern seit Jahrzehnten enorm konsequent gelebte Realität. Jede Maßnahme im Unternehmen wird auf die drei genannten Säulen geprüft, das gilt auch für die Verantwortung für die Mitarbeiter. Die Migros ist mit Abstand der größte Arbeitgeber der Schweiz. Der zweite große Unterschied ist die außergewöhnlich hohe betriebswirtschaftliche Transparenz im Unternehmen. Und trotz aller Komplexität bewegt sich die Migros in der Steuerung ihrer Prozesse auf international sehr hohem Niveau.

Wäre für Sie eine Rückkehr nach Deutschland denkbar, wenn ein passendes Angebot käme?
Ich habe von den vergangenen 20 Jahren neun in der Schweiz verbracht. Meine beiden Söhne besitzen den Schweizer Pass und das Land ist mein Lebensmittelpunkt, ich bin hervorragend integriert. Natürlich beobachte ich das Geschehen in Deutschland, das ist doch klar, aber mich füllt mein Job voll und ganz aus, ich lerne jeden Tag dazu und das in sehr kollegialem Betriebsklima. In meinem Ressort führe ich ein wachsendes Portfolio mit Discountern und Premium-Wärenhäusern, Online- und Offline-Handel, Großflächen und Kleinflächen, Food, Nonfood und Convenience. Die ganze Welt des Handels also mit einigen Milliarden Umsatz und tausenden Mitarbeitern. Das macht unternehmerisch sehr viel Freude. Ob nun bei den Größenordnungen noch eine Null mehr dranhängt oder nicht, ändert daran gar nichts. Ich möchte noch einiges bei der Migros bewegen.

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Für Dr. E. Dieter Berninghaus sind die Online-Aktivitäten der Migros von großer strategischer Bedeutung. „Die Migros ist mit ihren Aktivitäten fest im täglichen Leben der Schweizer
verankert“.

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