Anuga 2023 Die ANUGA auf Rekord-Kurs

Internationaler denn je zeigte sich die Anuga 2023. Der deutsche Handel war gut vertreten und musste sich der Kritik der Markenhersteller stellen. Das „Lieferkettengesetz“ schwebt wie ein Damoklesschwert über der Industrie.

Mittwoch, 25. Oktober 2023 - Management
Heidrun Mittler, Bettina Röttig, Hedda Thielking, Jens Hertling, Tobias Dünnebacke und Manuel Glasfort
Artikelbild Die ANUGA auf Rekord-Kurs
Bildquelle: Koelnmesse GmbH; Oliver Wachenfeld

Bereits am Montagabend, dem dritten von fünf Messe-Lauftagen, verkündete der Chief Operating Officer der Koelnmesse, Oliver Fräse, zur Preisverleihung des LP-Wettbewerbs „Tiefkühl-Stars“, dass die Anuga 2023 eine Messe der Superlative werden würde. Der Ansturm aus aller Welt war groß und übertraf die Erwartungen in hohem Maße.

80 %

der Anuga-Besucher reisten aus dem Ausland an.

300.000

Quadratmeter betrug die Brutto-Ausstellungsfläche der Anuga 2023.

Der deutsche Handel reihte sich wie seine internationalen Wettbewerber in die Besucherschar. Von Aldi bis Walmart waren die Weltmarken des Lebensmitteleinzelhandels am Rhein vertreten. Die Händler mussten sich der Kritik ihrer Lieferanten stellen. Die Preis- und Sortimentspolitik besonders des deutschen Handels war Thema in vielen Hallen. Einige Bio-Anbieter beklagten deutlich: Das Interesse der Besucher aus dem Handel an Private Label- Kooperationen sei größer als an der Listung neuer Markenprodukte. Andere Hersteller monierten weiterhin die Preiserhöhungen des Handels auf Kosten der Hersteller. „Was der Handel hier draufschlägt, hat neue Dimensionen erreicht“, diktierte ein Aussteller der LP in den Block und wollte nicht genannt werden. Ein anderer Erzeuger äußerte sich noch eindringlicher: „Wir haben für unsere Produkte auf Marge verzichtet und Kostenerhöhungen nicht an den Handel weitergegeben. Denn wir wissen, dass bereits eine Erhöhung des UVP um 10 Prozent für uns einen Absatzrückgang um 20 Prozent bedeutet. Dennoch wurden die Endverbraucherpreise erhöht und wir zahlen doppelt – mit geringerer Marge und mit Absatzverlusten.“

Der Handel steht als Preistreiber in der Kritik

In Markttests habe sich gezeigt, dass sich die Erhöhungen nicht auf Wettbewerbseffekte zurückführen ließen. „Auch Handelspartner, die unsere Produkte exklusiv in ihrer Region führen, also außer Konkurrenz laufen, haben die Preise erhöht, mit ernsten Konsequenzen für uns und auch andere Bio-Marken. Sich als Händler dann in der Presse über die Hersteller als angebliche Preistreiber zu beschweren, ist schon ein starkes Stück“, verschafft sich der Bio-Produzent Luft.

Weitere Herausforderungen für die Markenhersteller: Umwelteinflüsse wie das Erdbeben in der Türkei oder die Überschwemmungen in Griechenland wirken sich immer häufiger auf Rohstoffbeschaffung und Produktion aus. Der Warentransport, in den Erzeugerländern oder hierzulande, sei aus den unterschiedlichsten Gründen schwierig und habe Auswirkungen auf die Kosten. Die Bio-Markenhersteller stehen massiv unter Druck.

Billige Bananen sind kein Menschenrecht

Die politischste Anuga aller Zeiten hatte Gerald Böse, Geschäftsführer der Koelnmesse, im Vorfeld angekündigt. Im Rahmen des Kongressprogramms diskutierten Vertreter der United Nations Industrial Development Organization, NGOs und Ernährungswirtschaft über soziale und ökologische Herausforderungen der Branche und das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sowie die ESG-Gesetze (Environmental, Social, Governance) auf EU-Ebene – echter Sprengstoff für eine Branche unter Kostendruck. Mit Schrecken habe er vernommen, dass sich der Münchner Kaffeehändler Dallmayr aus Äthiopien zurückziehe und diesen Schritt mit dem Lieferkettengesetz begründe, sagte Dr. Carsten Stender, Ministerialdirektor im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Er betonte: „Das Gesetz ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und den Gesetzen auf EU-Ebene setzen wir konsequent die 2011 beschlossenen Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen um.“

Dieter Overath, einst Gründer von Fairtrade Deutschland, forderte: „Wer definiert nachher, ob das LkSG erfolgreich ist? Wir müssen die Produzenten im globalen Süden einbeziehen.“ Auch müsse über Preise gesprochen werden. „Es gibt kein Menschenrecht auf Bananen zum Kilopreis von 99 Cent“, lautete seine Ansage. Wenn die Preisgestaltung keinen Spielraum für Investitionen und Verbesserungen am Anfang der Lieferkette zulasse, könnten weder Kinderarbeit wirksam bekämpft noch Maßnahmen umgesetzt werden, um den Anbau klimaresistenter zu gestalten.

Das Lieferkettengesetz ist herausfordernd

Wie sehr das LkSG, das ab Anfang 2024 in der zweiten Stufe bereits für Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitern greifen wird, die Branche fordert, wurde bei Gesprächen in den Messehallen deutlich. Während einige Unternehmen schon umfangreiche Vorbereitungen getroffen haben, stehen andere noch ganz am Anfang. Kritisiert werden vor allem der administrative und damit auch der monetäre Aufwand sowie zu viele bestehende Unklarheiten.

Beyond Meat hat vor zwei Monaten eine neue Position geschaffen und eine Mitarbeiterin eingestellt, die künftig mit der Umsetzung der ESG-Gesetze betraut sein wird. Feinkost-Anbieter Rila stellte bereits vor mehr als zwei Jahren ein neunköpfiges Team inklusive Geschäftsführung zusammen, das sich mit den Baustellen rund um die Lieferketten- beziehungsweise ESG-Gesetze befasst. Sein internationales Portfolio mit rund 1.000 Produkten von etwa 100 Direkt-Lieferanten sieht das Unternehmen als große Herausforderung an. Auch die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten beschäftigt Rila. Hiervon sind Produkte mit Palmfett oder Kakao betroffen. Die Bestseller-Produkte aus dem Sortiment werden aktuell durchleuchtet. Risiko-Analysen werden ebenso wie Klimabilanzen erstellt. Rila hat bereits einen Verhaltenskodex erarbeitet, der derzeit von Rechtsexperten überprüft wird, damit er auch allen Vorgaben des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle entspricht. Ein Hersteller, der nicht genannt werden möchte, findet das Lieferkettengesetz nicht nur sehr bürokratisch. „Auch wenn unser Unternehmen weniger als 1.000 Mitarbeiter beschäftigt, werden wir von unseren Handelspartnern indirekt zur Offenlegung der Lieferkette gezwungen“, teilt er auf LP-Nachfrage mit.

Ein Händler hat seiner Aussage nach eine externe Organisation beauftragt, um alle Lieferanten anzuschreiben, die Rohstoffe global beziehen: „Auch wir haben Post bekommen. Dass wir unsere Rohstoffe je nach Verfügbarkeit aus unterschiedlichen Ländern beziehen, macht die Sache nicht gerade einfacher. Vermutlich müssen wir eine Teilzeit- oder Vollzeitstelle schaffen, um die erforderlichen Angaben zu erfassen und zu pflegen. Damit verkaufen wir aber kein Produkt mehr.“ Er befürchtet, mit diesem Gesetz werde letztlich mehr „Social Washing“ betrieben. Keine guten Aussichten für ein gut gemeintes Gesetz.

Die Anuga glänzt mit Zahlen

140.000

Fachbesucher aus rund 200 Ländern stürmten an fünf Messetagen die Hallen in Köln.

7.900

Aussteller zeigten ihre Neuheiten auf der globalen Leitmesse der Ernährungsindustrie.

94%

Der Aussteller kamen aus dem Ausland in die Domstadt.

2.5 Mio.

Aufrufe generierte die Anuga in den sozialen Medien während der Laufzeit. Eine bislang nicht gekannte Reichweite für die Messegesellschaft.

Quelle: Koelnmesse