Onlinehandel Generation APP

Ein Jahrzehnt nach dem Hype um Internet-Supermärkte, als 10 Prozent Marktanteil im Jahr 2010 schon ausgemachte Sache war, bleibt das Geschäft schwierig. Es haben sich verschiedene Modelle etabliert. Hoffnungen ruhen auf Impulsen durch technische Neuheiten wie Smart Phones und nachrückende Käufergenerationen.

Mittwoch, 01. September 2010 - Management
Markus Oess

Inhaltsübersicht

Modern, flott und irgendwie unterhaltsam. Internetshopping ist smart, denn es lässt sich ja 'ne Menge Geld sparen. Nach der neuesten Studie des EHI Retail Institutes und Statista ist der Online-Handel 2009 auf 17,5 Mrd. Euro angewachsen. Boombranchen sind Consumer Electronics und Medien sowie Textil. Bei den Lebensmitteln fallen die Umsätze mit 307 Mio. Euro bescheidener aus (siehe Grafik unten). Das sind nicht die im Jahr 2000 von der BBE-Unternehmensberatung noch eher zurückhaltend prognostizierten 7,7 bis 12,8 Mrd. Euro für 2010, aber immerhin. Laut TNS Infratest ordern 6 Mio. Deutsche Lebensmittel im Internet, von denen 90 Prozent positive Erfahrungen gemacht haben mit dem Medium. Der Markt wächst bescheiden. Verschiedene Modelle haben sich herauskristallisiert, die je nach Anspruch vom Vollsortimenter über Spezialisten bis hin zu Service-Ansätzen reichen.

So hat sich die Schweizer Migros den heimischen Internet-Pionier Le Shop einverleibt. Der Online-Händler (leshop.ch; Umsatz rund 132 Mio. CHF) meldete für 2009 ca. 39.000 Neukunden. Dr. E. Dieter Berninghaus, Migros Generaldirektion Departement Handel, ist auch verantwortlich für die Geschäfte der Online-Tochter. Der Manager sieht die Trennung zwischen stationären und Online-Handel verwischen: „Ein Unternehmen wie die Migros-Gruppe wird seinen Kunden künftig ein umfassendes Dienstleistungsangebot präsentieren. Dieses Angebot ist stark vom Multikanal-Gedanken getrieben. Vom Supermarkt bis zur Heimlieferung garantiert Migros seinen Kunden ein einzigartiges Einkaufserlebnis. Es hat sich gezeigt, dass Multikanal-Kunden bei Migros 23 Prozent mehr ausgeben als herkömmliche Kunden.“ Das mobile Einkaufen werde sich sehr dynamisch entwickeln – auch dank technischer Finessen: „Wenige Wochen nach der Lancierung wurden 3 Prozent aller Bestellungen bei Le Shop über unser iPhone App getätigt. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Anteil innerhalb der nächsten drei Jahre auf mindestens 10 Prozent erhöht“, schätzt der Manager.

Zurück nach Deutschland. Auch hier nutzen Händler das Internet, gehen aber nicht mehr das Risiko vergangener Tage, wie drei Beispiele zeigen. In Leipzig startete Konsum im November 2001 einen Internetshop (www.lofex.de), der auf das Absatzgebiet beschränkt ist. Auftragsbearbeitung und Kommissionierung finden in Räumlichkeiten eines Supermarktes statt. Die Belieferung (drei Zeitfenster plus Expressbestellung) der Kunden übernimmt eine externe Spedition mit zwei Kühlfahrzeugen. Die Preise sind identisch mit denen in den Supermärkten. Ein Aufschlag wird bei Getränken fällig. Dazu kommen 6,50 Euro Anlieferpauschale bzw. 9,50 Euro für Express-Anlieferung. Der Umsatz entspricht dem einer kleineren Filiale. Macht Online Gewinn oder Verlust? Petra Schumann, Vorstands-Chefin der Genossenschaft, differenziert: „Nach Umsatz zur Zeit ein eher +/- 0 Geschäft. Aber wir bieten unseren Kunden mit Lofex einen Service. Einkaufen lassen – statt einkaufen gehen und somit Zeit für die wichtigen Dinge im Leben. Der Kunden-Bindungs- bzw. Imagegewinn ist zur Zeit noch der bedeutendere Gewinn.“ Schumann schätzt, dass das Geschäft wächst, als Ergänzung zum stationären Handel und unter Einsatz neuer Medien wie TV oder dem Handy.

Auch unter der Rewe-Flagge existiert seit Anfang November 2009 ein Online-shop: Rewe Express Drive (rewe-express.de). Ein Testprojekt, das die Kaufmannsfamilie Richrath mit der Kölner Zentrale in ihrer Filiale in Köln-Klettenberg fährt. Der Markt fungiert als Kommissionierlager. Die Ware wird online geordert und kann im Markt abgeholt werden. Zielgruppe: technikaffine junge Berufstätige, junge Familien. Die Preise sind auch hier identisch mit dem Markt-Angebot. Unabhängig vom Einkaufswert kostet der Kommissionierservice 2,50 Euro pro Einkauf. Ab 55 Euro wird im Stadtgebiet Bonn/Köln kostenlos ausgeliefert, wobei sich der Durchschnittsbon mit dem des Marktes selbst vergleichen lässt.

Aktuell laufen auf dem Rechner 30 Bestellungen pro Woche auf, Tendenz steigend. Die Ware wird in einer Rewe-Klappbox (5 Euro Pfand) ausgegeben, die Kunden mit nach Hause nehmen können. Mit 7.000 bis 8.000 Artikeln sind alle wichtigen Warengruppen des Supermarkts vertreten, inklusive TK, Obst/Gemüse und Mopro sowie Fleisch. „Inwieweit Rewe Express Drive später auf andere Märkte ausgerollt wird, lässt sich noch nicht einschätzen“, so ein Sprecher. Lutz Richrath ist schon jetzt zufrieden: „Ich sehe je nach Standort im Internet ein Zukunftsmodell. Der Markt muss verkehrsgünstig liegen. Ob Express auf dem Land funktioniert, ist fraglich, in der Stadt ist das Modell absolut zukunftsfähig.“ Zwei weitere seiner Märkte kämen dafür ihn infrage.

Die Wasgau Produktions- und Handels AG hat seit September 2009 ihren Weinshop am Netz. Rund 290 Weine, davon allein ca. 40 Prozent aus der Pfalz, sind im Sortiment. Der Shop läuft als eigenständiger Regiemarkt. Kommissioniert wird in einem abgetrennten Bereich im Zentrallager der Wasgau. Der Kunde kann sich den Wein in eine Filiale liefern oder nach Hause schicken lassen. Laut Wasgau liegt der Durchschnittsumsatz bei 90 Euro. Ob das Geschäft ausgebaut wird, wird geprüft, Planungen existieren aber nicht. Wasgau-Chef Alois Kettern: „Da der deutsche Lebensmittel-Einzelhandel im europäischen Vergleich in den Online-Geschäften deutlich hinterher hängt, ist es für uns sehr reizvoll, diese Plattform als neuen Vertriebstyp aufzubauen und entsprechende Erfahrungen zu sammeln.

Der Einstieg in den Onlinehandel bedeutet für Wasgau ein Stückweit die Regionalität zu verlassen. Die Erkenntnisse, die man hier erlangen kann, können bei der Entwicklung neuer Geschäftsfelder einfließen.“ Ob auch ein komplettes Supermarkt-Sortiment bundesweit Abnehmer findet? Wer im Netz seine Lebensmittel kauft, dem ist die Logistik schnuppe, solange es läuft. Migros-Manager Berninghaus: „Von den Top-30-Produkten, die bei Le Shop verkauft wurden, sind 27 Frischeprodukte. Ohne das Angebot von Frischeprodukten ist eine Positionierung als echter Online-Supermarkt nicht glaubwürdig. Natürlich erhöht dies die Komplexität; genau deswegen ist unser Geschäftsmodell so anspruchsvoll und genau aus diesem Grund gibt es so wenige Anbieter, die wirklich erfolgreich arbeiten.“