Schweiz Der grüne Nachbar hinter den Alpen

Swissness ist in der Welt ein Exportschlager. Dabei verkörpern unsere Nachbarn Natürlichkeit, Nachhaltigkeit und Ökologie glaubwürdiger als manch andere Industrienation. Auch Traditionen spielen eine wichtige Rolle und gelten als besonders schützenswert.

Montag, 16. September 2013 - Länderreports
Christina Steinheuer und Tobias Dünnebacke
Artikelbild Der grüne Nachbar hinter den Alpen
„Unsere Kundinnen und Kunden müssen unser Engagement mittragen.“ Migros-Chef Herbert Bolliger
Bildquelle: iStockphoto

Es war eine bemerkenswerte Meldung, die kürzlich über die weltweiten Nachrichtenticker ging: Das berühmte Schweizer Bankgeheimnis ist in seiner strikten Form Geschichte. Hintergrund ist ein Steuerdeal zwischen den USA und der Schweiz. Um in Zukunft bei Betrugsfällen einer Strafverfolgung in den USA zu entgehen, müssen Schweizer Banken nun Informationen über US-Steuerbetrüger herausgeben.

Handelspartner aus der Schweiz
  • Delica
  • Chocolats Camille Bloch
  • Düring
  • Kägi
  • Emmi
  • Schweizer Milchproduzenten
  • Micarna

Mit dieser Nachricht wird einmal mehr deutlich, dass die von unseren Nachbarn viel zitierte Neutralität und Unabhängigkeit in einer globalisierten Welt immer mehr an ihre Grenzen stößt. Das gilt auch für andere Branchen. Zuletzt war dies spürbar, als 2011 die Exportindustrie der Alpenrepublik wegen der massiven Aufwertung des Schweizer Frankens unter starken Preisdruck geriet und den Eidgenossen ironischerweise das zum Verhängnis wurde, was sie als neutraler Staat immer abgelehnt haben: die Eurozone mit einer einheitlichen Währung.

Für die Schweizer gibt es aber trotz dieser Turbulenzen weiterhin gute Gründe, ihren eigenen Weg zu gehen und nicht zu sehr nach links und rechts zu schauen. So ist das Image von Produkten aus der Schweiz in positiver Hinsicht vielfältig: Zum einen wäre da die Exklusivität zu nennen. Die Universität St. Gallen hat in einer international angelegten Studie (Swissness Report Worldwide) herausgefunden, dass dieses Attribut eine wichtige Rolle bei der weltweiten Wahrnehmung von Schweizer Erzeugnissen spielt. Egal ob die berühmte Schweizer Uhr, das Taschenmesser oder Schokolade von Marken wie Camille Bloch oder Milcherzeugnisse von Emmi: Produkte mit dem Schweizer Kreuz werden gemeinhin mit hoher Qualität assoziiert, für die auch der deutsche Verbraucher gerne mal mehr ausgibt.

Auf der anderen Seite steht das grüne Image der Schweiz und die Wertigkeit, die Schweizer Konsumenten, Hersteller und der Handel biologisch und nachhaltig erzeugten Lebensmitteln entgegenbringen. So wächst der Umsatz mit Bio kontinuierlich. Die Migros, größtes Detailhandelsunternehmen der Schweiz, konnte für diesen Bereich 2012 gegenüber dem Vorjahr ein Wachstum von 9,1 Prozent vermelden. Auch in Deutschland ist Bio ein Wachstumsmarkt, aber Nachhaltigkeit, Regionalität und das Streben nach einer möglichst ökologischen Produktion wirken bei unseren Nachbarn authentischer als im hoch industrialisierten Deutschland, wo in der jüngeren Vergangenheit diverse Lebensmittelskandale das Vertrauen der Verbraucher auf eine harte Probe gestellt haben.

Konkrete Beispiele für die Nachhaltigkeit der Schweizer Lebensmittel-Industrie und dem Handel gibt es zahlreiche. Da wäre das im vergangenen Jahr groß angelegte Programm Generation M der Migros. Die Themen berühren dabei praktisch sämtliche Aspekte des Alltags, also Gesundheit, Konsum, Mitarbeiter, Umwelt und Gesellschaft. Im Zentrum der Initiative stehen diverse Versprechen, die die Migros der jungen Generation von heute gibt. Dazu zählt die Aussage, dass ab 2014 alle Werbemittel aus Papier und Karton in umweltschonender Recycling- oder FSC-Qualität hergestellt werden. Oder dass sich 2020 der CO2-Ausstoß gegenüber 2010 um 20 Prozent reduzieren wird. Konkrete Zielvorgaben also, an denen sich das Handelsunternehmen messen lassen muss. „Mit Generation M zeigen wir, wofür die Migros steht. Wir sind uns bewusst, dass wir nur dann auf einen grünen Zweig kommen werden, wenn unsere Kundinnen und Kunden unser Engagement mittragen“, sagt Migros-Chef Herbert Bolliger.


Auch der Wettbewerb ist nicht untätig. So lancierte Coop mit Naturaline bereits 1993 ein Label, das Gesundheit, umweltschonende und sozialverträgliche Produktion von Textilien und Heimtextilien vereint. Die Patenschaft für die Schweizer Berggebiete gibt es sogar noch viel länger und geht auf das Jahr 1942 zurück. Coop setzt sich dabei für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bergbevölkerung ein. Die Patenschaft unterstützt insbesondere Bergbauernfamilien und hilft, deren Existenzgrundlagen zu sichern. „Wir alle sind stolz auf die Schönheit unserer Schweizer Berge. Aber es wird Zeit, dass wir unseren Teil der Verantwortung dafür übernehmen und sie nicht nur auf den Schultern der schwer arbeitenden Bergbevölkerung lasten lassen“, heißt es aus dem Unternehmen. Dass dies nicht nur leere Worthülsen sind, bewies Coop zuletzt mit der 2007 eingeführten Linie „Pro Montagna“. Die Verarbeitung der unter dieser Range vermarkteten Produkte muss in den Bergen stattfinden. Ein Teil des (etwas höheren) Verkaufpreises fließt dank der Zusammenarbeit mit der Non-Profit-Organisation Coop Patenschaft für Berggebiete direkt an die Bauern oder Produzenten in den Regionen zurück. Wie viel, ist für den Konsumenten auf jeder Verpackung ersichtlich.

Haben Sie es gewusst?
  • Die Schweiz zählt rund 8 Mio. Einwohner
  • Obwohl dies nur rund 0,9 Prozent der Bevölkerung Westeuropas entspricht, ist mit 70 Mrd. Euro der Anteil am Konsumgütermarkt aber mehr als doppelt so hoch (2,5 Prozent)
  • Die Schweiz ist ein Einwanderungsland und neben den eigenen Sprachen Deutsch, Italienisch, Französisch und Rätoromanisch kam in den vergangenen Jahren ein buntes Gemisch aus diversen Kulturen dazu
  • In keinem anderen Land in Europa ist der Umsatzanteil von Eigenmarken höher als in der Alpenrepublik
  • Die erste Marlboro-Zigarette außerhalb der USA wurde in der Schweiz produziert

Tradition ist also ein ganz entscheidendes Merkmal, das zur Stärke der Marke Schweiz zählt. Das gilt insbesondere für Lebensmittel wie Käse und Fleisch. Die Veredelung von Schweizer Fleisch zu Spezialitäten hat eine lange Tradition. Hier gibt es viele kleine Manufakturen, die Bündnerfleisch, Walliser Trockenfleisch oder St. Galler Kalbsbratwurst mit natürlichen Rohstoffen und feinen Rezepturen in Handarbeit herstellen. Kenner schätzen die Qualität von solch hochwertigen Fleischspezialitäten, die man bereits am Geschmack erkennt. Um die Wertigkeit und traditionelle Herstellung besser heraus zu stellen, gibt es die AOC- und IGP-Kennzeichnungen (die Abkürzungen stehen für Appellation d’Origine Contrôlée sowie Indication Géographique Protégée). Zugelassen werden Spezialitäten, die eine starke Verbindung zu ihrer Ursprungsregion haben.

„In einer Zeit, in der die Konsumenten mit Erstaunen die Exzesse des internationalen Lebensmittelsystems erkennen, in welchem verschiedene Akteure nicht zögern, im großen Stil zu betrügen, beanspruchen wir das Schweizer Kreuz für jene Produkte, die in unserem Land mit Schweizer Know-how verarbeitet und mit Schweizer Rohstoffen hergestellt werden, sofern diese verfügbar sind“, sagt Géraldine Savary, Ständerätin und Präsidentin der Schweizerischen Vereinigung der AOC-IGP. Sie reagiert auf die Entscheidung des Schweizer Parlaments, dass die Rohstoffe für Produkte mit dem Schweizer Kreuz zu mindestens 80 Prozent aus dem Inland stammen müssen.

Die Vereinigung sei der Meinung, dass sich ein Engagement zu Gunsten der Swissness lohnt, weil es die Glaubwürdigkeit der ganzen Nahrungsmittelbranche dient. „Mit einer verwässerten Swissness-Lösung und einem zunehmend geöffneten Markt mit Preisnachlassen hätten auch Schweizer Symbole wie Gruyère AOC oder St. Galler Bratwurst IGP an Ansehen und Wert verlieren können“, heißt es in einer Stellungnahme der Vereinigung.

Noch viel wichtiger war allerdings das Inkrafttreten der gegenseitigen Anerkennung der AOC-IGP zwischen Europa und der Schweiz im November 2011. Seitdem kann jede Kopie oder jeder Namensmissbrauch eines AOC- oder IGP-Produkts, mit Ausnahme des Emmentalers AOC, in einem Mitgliedsland der EU bei den zuständigen Behörden einfacher und effizienter angefochten werden. Damit haben die Eidgenossen auch das nötige Instrumentarium, um ihre Spezialitäten zu schützen.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Die erste bekannte schriftliche Erwähnung eines Alphorns datiert auf 1527. Auch bei Lebensmitteln aus der Schweiz spielt eine lange Tradition häufig eine wichtige Rolle. (Bildquelle: iStochphoto)
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Bild öffnen „Die Verbraucher können den Schweizer Produkten noch mehr vertrauen als bisher. “ Géraldine Savary, Präsidentin AOC-IGP