Bürokratie-Abbau Lästige Regularien

Eine lähmende Bürokratie zählt längst zu den größten Sorgen von Unternehmenslenkern. Das Vertrauen in den Staat ist auf dem Tiefpunkt. Projekte wie Klimaschutz 
und Tierwohl scheitern 
nicht am Willen, sondern an 
unsinnigen Regularien.

Mittwoch, 31. Januar 2024 - Management
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Lästige Regularien
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Die Stimmung ist mies in diesem Land. Egal ob man mit Landwirten, Gastronomen oder Managern aus der Lebensmittelindustrie oder dem Handel spricht: Kaum ein Thema beschäftigt Unternehmenslenker und -inhaber mehr als eine völlig aus dem Ruder gelaufene Bürokratie, die wirtschaftliches Handeln und Innovationen häufig bereits im Keim erstickt. „Die Kraft prosperierender Volkswirtschaften liegt im unternehmerischen Freiraum. Je mehr wir die Freiräume durch Regulierung einengen, umso weniger unternehmerische Initiative werden wir ermöglichen. Regulierung ersetzt Initiative durch Bürokratismus“, bringt es Christoph Werner, Vorsitzender der Geschäftsführung von dm-Drogerie Markt, gegenüber diesem Magazin auf den Punkt. Sein Wettbewerber Raoul Roßmann, Chef des gleichnamigen Drogerieunternehmens, vergleicht den Kampf gegen Bürokratie sogar mit dem Kampf gegen die Hydra. Jenes Ungeheuer aus der griechischen Mythologie, dem zwei Köpfe nachwachsen, wenn man ihm einen abschlägt.

Markus Mosa Edeka Zentrale Stiftung
Markus Mosa
„Gebt uns die Chance, unternehmerischen Spielraum mit Ideen und Innovationen zu füllen. Die Erfahrung zeigt doch, dass wir mit fairem Wettbewerb mehr erreichen können als mit Verboten und Verordnungen“, so Markus Mosa gegenüber der Lebensmittel Praxis. Der Vorstandsvorsitzende der Edeka Zentrale Stiftung nennt unter anderem langwierige Genehmigungsverfahren und ausufernde Dokumentationspflichten, aber auch die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen von Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund als Problemfelder für seine Branche.

Auch Ingo Pollmer, selbstständiger Edeka-Händler aus Dessau-Roßlau, ärgert sich über bürokratische Skurrilitäten in seinem Kaufmannsalltag. Da wäre beispielsweise die vorgeschriebene Frittierfett-Prüfung. Eigentlich hat Pollmer einen fähigen Koch in seinem Team, der sehr gut aus Erfahrung einschätzen könnte, wie lange er Fett verwenden kann, ohne dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht. Stattdessen muss ein teures Prüfgerät zum Einsatz kommen inklusive aufwendiger händischer Dokumentation über Aussehen, Geruch und Temperatur für das jeweilige Lebensmittelüberwachungsamt. Für ebenjenes Amt muss Inhaber Pollmer auch regelmäßig schriftlich dokumentieren, dass er sich seinen Laden angeschaut und auf Sauberkeit und Ordnung geprüft hat. „Dass mein Laden ordentlich und sauber ist, liegt in meinem eigenen Interesse. Mir ist bis heute schleierhaft, warum ich das gegenüber einem Amt dokumentieren muss“, sagt Pollmer, der geschätzt bereits über 50 Prozent seiner Arbeitszeit in solche Berichtspflichten steckt. „Es gibt in diesem Land eine Angst, Verantwortung übernehmen zu müssen. Deswegen wird sie von oben nach unten abgeschoben. Während es auf der einen Seite Menschen gibt, die ihr Geld mit realer Arbeit verdienen, bläht sich die Verwaltung immer mehr auf. Ein Rattenschwanz ohne Ende“, so der Inhaber frustriert.

Bürokratiewahn kommunal, national und in der EU
Solche Beispiele übergriffiger Bürokratie gibt es natürlich nicht nur auf kommunaler Ebene. Die größten Verwaltungsmonster entstehen in Berlin und Brüssel und betreffen unterschiedlichste Branchen. Beispiel Lebensmittel­einzelhandel. Peter Maly, Mitglied des Vorstands der Rewe Group, erläutert, wie politisch gewollte Transformationsprojekte eben nicht am Engagement der Unternehmen, sondern viel zu komplizierten und langsamen Verfahren scheitern: „Wir werden vom Gesetzgeber aufgrund unserer Dach- und Parkflächen zum Ausbau von Fotovoltaikanlagen und Ladeinfrastruktur verpflichtet, können aber wegen nicht von uns verursachter Verzögerungen oft nicht rechtzeitig liefern – und müssen Bußgelder zahlen, wenn die nicht genehmigten Anlagen keinen Strom liefern“, so der Handelsmanager gegenüber diesem Magazin. Er fordert: „Es bedarf der dringenden Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren – beim Ausbau von Fotovoltaikanlagen auf unseren Dächern und Ladepunkten auf unseren Parkflächen.“

Auch die Geflügelindustrie stört sich am lähmend langsamen deutschen Baurecht. Der Handel will sein Angebot mit Fleisch aus den höheren Haltungsstufen 3 und 4 zwar signifikant erhöhen. Ab der dritten Stufe ist aber ein Wintergarten für Hühner vorgeschrieben. Hierfür eine Genehmigung zu bekommen sei, so klagen viele Landwirte, ein bürokratischer Albtraum und bisweilen unmöglich. Peter Wesjohann, Vorstandsvorsitzender des größten Unternehmens der deutschen Geflügelwirtschaft (PHW-Gruppe), sieht sogar die Wettbewerbsfähigkeit seiner Branche in Gefahr. Nicht durch Kaufzurückhaltung, Inflation und Ukraine-Krieg, sondern durch ein komplexes und ineffizientes deutsches Baurecht. „Es kann nicht sein, dass den Landwirten vonseiten der Politik Steine in den Weg gelegt werden, wenn sie mehr Tierwohl in ihren Ställen umsetzen wollen. Diese Bürokratien müssen abgebaut und verlässliche Planbarkeit muss im Sinne aller geschaffen werden“, so Wesjohann.
Ein drittes Beispiel aus der Getränkeindustrie, das nicht weniger absurd klingt. Mit einer verbindlichen Verordnung will Brüssel den Anteil von Mehrweg-Verpackungen in Europa deutlich erhöhen. Vor allem in Deutschland sorgen sich Manager aus der Getränkebranche, dass die Bürokraten sich Auflagen, Regularien und Dokumentationspflichten ausdenken, die völlig an der Realität des hiesigen Mehrwegsystems vorbeigehen. „Manchmal hat man den Eindruck, diese Leute wissen überhaupt nicht, wovon sie reden“, sagt ein an den Verhandlungen in Brüssel beteiligter Insider. „Bitte lassen Sie nicht zu, dass die umweltfreundlichen Kreislaufsysteme in Deutschland am Ende durch eine untaugliche Regulierung gefährdet oder gar in Teilen zerstört werden – etwa indem überflüssige Verwaltungsauflagen oder nicht umsetzbare Kennzeichnungsvorgaben eingeführt werden“, lautet der fast schon flehende Appell der deutschen Getränke-Verbände in Richtung Brüssel. Ist eine Welt mit weniger Regularien, mit weniger staatlichen Eingriffen nur Wunschdenken und wird sich nie erfüllen? Ist die Hydra unbesiegbar, die Verwaltung als selbsterhaltendes System nicht in der Lage und willens, sich selbst zurückzunehmen?

Bürokratie-Entlastung auf Sparflamme

Mit dem Slogan „Weniger Zettel, mehr Wirtschaft“ geriert sich die FDP zum Kämpfer gegen bürokratische Gängelung. Mit einem neuen Entlastungsgesetz stößt Justizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) aber auf wenig Begeisterung. Kürzere Aufbewahrungsfristen für Belege und ein Wegfallen der Meldepflicht für Deutsche bei der Hotelbuchung klingen nicht nach wirklicher Veränderung. Kleine und mittlere Betriebe in Deutschland sollen immerhin bei der Bilanzierung durch Anhebung der Schwellenwerte profitieren. Der Minister machte aber auch deutlich, dass die Hälfte des bürokratischen Aufwands für Unternehmen aus Richtung der EU kommt.

Ampelkoalition verspricht Besserung
Markus Mosa, Vorstandsvorsitzender der Edeka Zentrale Stiftung, hofft nicht, dass dies so ist: „Die Erfahrung zeigt doch, dass wir mit fairem Wettbewerb mehr erreichen können als mit Verboten und Verordnungen.“ Und auch in der Ampelkoalition und insbesondere der FDP scheint man das Schicksal eines Landes, das in unsinnigen und lähmenden Verordnungen erstickt, nicht akzeptieren zu wollen. Mitte Januar hatte das federführende Justizministerium einen Referentenentwurf für ein neues Bürokratieentlastungsgesetz vorgestellt. „Wir werden weiter mit Hochdruck daran arbeiten, Bürgern und Unternehmen das Leben in Deutschland leichter und unbürokratischer zu gestalten“, erklärt Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) hoffnungsvoll. Doch wer den Entwurf liest, muss unweigerlich enttäuscht sein. Dass der Hotel-Meldeschein für deutsche Staatsbürger entfällt, ist sicherlich nicht die größte Sorge der Unternehmen. „Das Bürokratieentlastungsgesetz muss endlich zu einem spürbaren Abbau von Bürokratie führen. Bisher ist davon nichts zu sehen“, erklärt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer beim Handelsverband Deutschland (HDE), gegenüber der Lebensmittel Praxis. Auch Stefanie Sabet, Geschäftsführerin Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), zeigt sich auf Anfrage enttäuscht: „Das Entlastungsgesetz ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch nicht der von den Unternehmen erhoffte Durchbruch für einen konsequenten Bürokratieabbau.“ Ähnlich wie Genth (siehe Kurzinterview) fordert sie eine zügige Digitalisierung der Verwaltung. „Der Umsetzungsaufwand für Gesetzgebung muss sinken, Gesetze, die 100-seitige Umsetzungshilfen erfordern wie beispielsweise beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, sind nicht praxistauglich. Das One-in-one-out-Prinzip muss konsequent umgesetzt werden. Dort, wo mit Bürokratie belastet wird, muss auch spürbar wieder entlastet werden. Eine bessere und bürokratiearme Gesetzgebung heißt zudem vor allem eine bessere Folgenabschätzung und effiziente Digitalisierung der Verwaltung“, so Sabet. In einer Sache muss sie dem Justizminister indes zustimmen: „Der Großteil der Dokumentationslasten folgt aus der Gesetzgebung der Europäischen Union.“

Der Digitalverband Bitkom wundert sich angesichts des Referentenentwurfs von Buschmann darüber, wie stark auch nach dem neuen Gesetz noch immer an Papier und handschriftlichen Signaturen festhalten werden soll. „Unternehmen haben mit Arbeitsverträgen künftig nicht weniger bürokratischen Aufwand als bisher, auch wenn die Bundesregierung anderes verspricht. Man wird weiterhin viel Papier ausdrucken müssen, dies in der Regel hin und her schicken, handschriftlich unterschreiben und die Dokumente in Aktenschränken aufbewahren“, so Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. Auch mit dem Entwurf des Justizministeriums sei die einzige Alternative zur Unterschrift auf Papier bei Bewerbungen die sogenannte qualifizierte elektronische Signatur. Diese sei aufgrund des komplexen Verfahrens aber viel zu umständlich, verursache dazu unnötige Kosten und verlangsame einen Einstellungsprozess. Jemand, der sich mit dem Thema Bürokratie sehr gut auskannte, war der US-amerikanische Wirtschaftsprofessor William A. Niskanen. Er entwickelte in den späten 1960er-Jahren die Budgetmaximierungstheorie. Die Kernaussage: Das Interesse einer Bürokratie ist der Erhalt und die Erweiterung des eigenen Machtbereichs. Sie ist von ihrem Wesen her nicht in der Lage, sich zurücknehmen. Und so klingt auch die Aussage eines Unternehmensberaters. Angesprochen auf die aktuelle Lage, sagt dieser: „Wir kriegen diesen Wahnsinn nicht mehr zurückgedreht, es sei denn, wir müssen dieses Land nach einer wie auch immer gearteten Katastrophe von null an wieder aufbauen.“

Mehr zum Thema:

Interview mit Stefanie 
Sabet, BVE

2 Fragen an Stefan Genth

Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE)

Welche konkreten Forderungen haben Sie an die Politik, um die Bürokratiebelastung für den Handel zu begrenzen?
Gerade mit Blick auf die Lieferkettenregulierung und die Nachhaltigkeitsberichterstattung würde eine TÜV-Prüfung zu eindeutigen Ergebnissen kommen müssen. Dabei sollten nicht nur die unmittelbar anfallenden Kosten und Bürokratielasten berücksichtigt werden, sondern auch die mittelbaren Kosten in die Berechnung eingehen. Bei der Lieferkettenregulierung hieße dies, dass auch die Kosten infolge eingebüßter Wettbewerbsfähigkeit gegenüber internationalen Konkurrenten, denen keine Lieferkettengesetze auferlegt werden, zu berücksichtigen sind. Zudem muss die Unternehmensgründung vereinfacht werden. Alle Schritte zwischen Unternehmen und Verwaltungen sollten digital, schnell und einfach zu erledigen sein. Die für den Gründungsprozess relevanten Onlinedienste von Bund, Ländern und Notaren müssen zu einem One-Stop-Shop verknüpft werden.

Welche in den Medien weniger präsente bürokratische Belastung sähen Sie gerne abgebaut?
Es gibt zum Beispiel Verbesserungsbedarf beim Verfahren zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer. Dieses Verfahren wird durch die Zollbehörden durchgeführt, die Erstattung im Wege des Vorsteuerabzugs aber durch die Finanzbehörden. Dies kann zu nicht unerheblichen Liquiditätsnachteilen führen. Sachgerechter und bürokratieärmer wäre eine Direktverrechnung der Einfuhrumsatzsteuer mit dem Erstattungsanspruch im Wege des Vorsteuerabzugs. Als Vorbild könnte die in Österreich bereits seit über zehn Jahren bestehende gesetzliche Regelung dienen.