Interview mit Björn Fromm, BVLH Ruf nach mehr Gehör

Der neue BVLH-Präsident Björn Fromm (Foto) bietet der Politik die Expertise der Branche an –
für Mit- statt Gegeneinander.

Montag, 22. Januar 2024 - Management
Theresa Kalmer

Herr Fromm, Sie sind seit Oktober 2023 neuer Präsident des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH). Bleibt Ihnen jetzt überhaupt noch Zeit zum Singen?
Björn Fromm: In der Tat bleibt für die Musik nur noch wenig Zeit. Allerdings legt mein Herzensprojekt, der Youth Gospel Choir, dem ich mehr als zehn Jahre als Chorleiter eng verbunden war, gerade auch eine kleine künstlerische Pause ein. Es gibt jedoch etwas, das mir neben meinen unternehmerischen Tätigkeiten und meinen Ehrenämtern noch viel wichtiger ist: die Zeit mit meiner Familie nämlich – meine Tochter meinte kürzlich, meine Frau singe sowieso besser.

Was ist Ihnen in der neuen Funktion als Präsident besonders wichtig?
Wir sind uns einig, dass zwischen Wirtschaft und Politik wieder mehr Vertrauen herrschen muss. Wir brauchen einen offeneren Austausch und die Einbeziehung unserer Expertise, um handwerklich gute Gesetze zu machen. Wir als Verband bieten Gespräche an, um ruhig und sachlich an der Meinungsbildung mitzuwirken. Ich wünsche mir von der Politik, dass unsere Interessenvertretung auch gehört wird.

Die Politik bestimmt natürlich viele Themen, die auch den Handel betreffen. Gut oder schlecht?
Ich finde es richtig, den Verbraucher bei Themen wie Nachhaltigkeit schlauer zu machen. Eine Grenze ist für mich erreicht, wenn ihm vorgeschrieben wird, was richtig oder falsch ist. Statt auf Verbote zu setzen, sollte die Lenkungswirkung eher durch Anreize erreicht werden. Diese müssen wir gemeinsam entwickeln, und zwar Schritt für Schritt.

Nehmen wir ein Beispiel: Wird Ihrer Meinung nach auch die nationale Reduktionsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten ohne rechtliche Rahmenbedingungen auskommen?
Das Thema liegt stark im Wettbewerb und ich denke, dass dort im Ergebnis eine viel größere Dynamik entsteht, als wenn man zu gesetzlichen Maßnahmen greift – auch wenn es manchmal den Anscheint hat, dass es etwas länger dauert als erwünscht. Außerdem spielen bei der Förderung eines gesunden Lebensstils auch andere Faktoren wie Bewegung eine Rolle – es ist also viel komplexer, als nur ein Rezept zu ändern.

Ein weiteres aktuelles Thema für die Branche – auch wenn sich die Situation derzeit etwas entspannt – ist die Inflationsentwicklung. Welche Rolle spielt der Verband?
Wir als Handel befinden uns da in einer Sandwich-Position. Auf der einen Seite wollen die Unternehmen, jedes für sich, die Preise so gestalten, dass sie für ihre Kunden bezahlbar sind. Auf der anderen Seite sind wir als Händler immer noch Unternehmer und müssen zumindest kostendeckende Preise erwirtschaften und auch noch daran verdienen. Und es ist nun mal so, dass die Kosten für Energie, Rohstoffe und auch Personal stark gestiegen sind. Unsere Aufgabe als Verband ist es, transparent darzustellen, wie die Lage ist und welche neuen Erkenntnisse es gibt. Auch hier wünschen wir uns von der Politik mehr Vertrauen statt Überregulierung.

Preisverhandlungen zwischen Handel und Hersteller waren zuletzt heftig. Der Kunde merkt es an fehlenden Markenprodukten in den Regalen. Wie ist Ihre Position?
Den Verband gehen die Preisverhandlungen zwischen den Unternehmen und ihren Lieferanten nichts an. Das machen Handel und Industrie seit Jahren sehr differenziert unter sich aus. Seit geraumer Zeit ist jedoch immer wieder von Preisforderungen vor allem großer international aufgestellter Ernährungsindustriekonzerne an ihre Abnehmer aus dem Handel zu hören. Es ist richtig, dass die Handelsunternehmen solchen in erster Linie renditegetriebenen Forderungen im Sinne ihrer Kunden eine Absage erteilen, wie auch in den Medien immer wieder zu hören und zu lesen war. Die großen Regallücken zeigen teilweise die Machtverhältnisse in der Lieferkette – und die sind nicht immer so, wie sie dem Handel oft unterstellt werden.

Der Handel profitiert hier aber auch durch einen Trend zu Eigenmarken …
Es gibt bei den Kunden einen spürbaren Trading-Down-Effekt. Die Zeit spricht deshalb für die Eigenmarken. Und es ist auch gut und richtig, als Verbraucher einmal zu schauen, wo zahle ich wie viel für Marken und Eigenmarken und was steckt im Grundpreis an Menge dahinter.

Welche Rolle spielen Marken in Zukunft für den Lebensmitteleinzelhandel dann überhaupt noch?
Marken werden auch in Zukunft eine Rolle spielen, weil der Verbraucher glaubt, über Marken bestimmte Produkteigenschaften wahrzunehmen – sei es nun Qualität, Bekanntheit oder auch die Verbindung zu bestimmten Ereignissen. Wir als Handel sehen aber heute, dass Markenhersteller Preiserhöhungen über das erklärbare Maß hinaus durchsetzen wollen, und wir versuchen, dem einen Riegel vorzuschieben.

Anderes Thema: Fachkräftemangel. Wie engagiert sich hier der Verband?
Der BVLH hat mit der Bundesfachschule des Lebensmittelhandels und der food akademie in Neuwied eines der besten Ausbildungszentren für Fach- und Führungskräfte im Lebensmittelhandel. Jährlich bilden wir dort Hunderte angehende Kaufleute im Einzelhandel aus. Mit dem neuen „Kompetenzzentrum Supermarkt“ haben wir in Neuwied topmoderne Lehr- und Lernbedingungen. Die brauchen wir auch, denn der Fachkräftemangel ist auch in unserer Branche eine der größten Herausforderungen. Mit der food akademie sehen wir uns dafür gut gerüstet. Wir als Branche müssen in der medialen Öffentlichkeit auch immer wieder deutlich machen: Wir haben gute Arbeitsbedingungen und gute Löhne im Handel. Seit mehreren Jahren gibt es mit Ausnahme des letzten Jahres Reallohnzuwächse in unserer Branche und wir tun alles, um moderne und flexible Arbeitsbedingungen zu schaffen. Wir müssen die Menschen wieder motivieren, in der Leistungsgesellschaft mitzumachen. Wir brauchen Menschen, die mit Leib und Seele dabei sind.

Können Digitalisierung und künstliche Intelligenz helfen, dem Fachkräftemangel zu begegnen?
Die Digitalisierung kann zwar nicht die Ursache bekämpfen, aber sie kann bei vielen Problemen helfen. Die Digitalisierung der internen Prozesse im Handel bekommt durch den Personalmangel der letzten Jahre einen neuen Drive. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Selbstbedienungskassen, das heute in vielen Märkten perfekt bespielt wird. Die Digitalisierung hilft uns hier, wird aber Märkte mit Personal nicht ersetzen. Beratung auf der Fläche war, ist und bleibt eine wichtige Serviceleistung im Handel – auch für die Differenzierung im Wettbewerb. Dafür brauchen wir Menschen, die wir auch weiterhin gerne einstellen.

Wir leben in einer von Krisen geprägten Zeit. Das beeinflusst auch das Konsum­klima …
Ich glaube, dass wir als Gesellschaft lernen müssen, mit Krisensituationen besser umzugehen. In einer globalisierten Welt wirken sich Krisen, egal wo sie stattfinden, immer auch bei uns aus – politisch und ökonomisch. Doch statt sich rauszuhalten und ins Private zu flüchten, sollten wir uns viel stärker aktiv mit dem Krisengeschehen auseinandersetzen und gemeinsam nach Lösungen streben. Unser Umgang mit dem sensiblen Thema Antisemitismus ist für mich ein aktuelles Beispiel.

Reagiert oder agiert der Verband in dieser Beziehung?
Der Lebensmittelhandel steht für Weltoffenheit und setzt sich für Gleichberechtigung, Diversität und Toleranz ein. Für diese Werte stehe auch ich – als Mensch und als BVLH-Präsident. Für die Verbandsarbeit bedeutet das, dass wir besonnen und faktenbasiert lösungs- und kompromissorientiert unsere Themen bearbeiten und umsetzen werden. Denn das ist es, was Demokratie auszeichnet und was unsere Gesellschaft gerade jetzt braucht.

BVLH

Über den Verband:
Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels ist innerhalb des Handelsverbandes Deutschland (HDE) für die Lebensmittelfacharbeit verantwortlich. Aufgabe des BVLH ist vor allem die Interessenwahrung der Unternehmen des Lebensmittelhandels gegenüber Gesetzgebung, Behörden und Öffentlichkeit. Mitglieder sind die Landesverbände des Einzelhandels und einzelne Unternehmen der Branche wie Edeka, Markant oder Rewe. at.