Herkunftsschutz Geplante Reform sorgt für Unmut

Kommt die Überarbeitung des g.g.A.-Siegels wie avisiert, droht vielen der Verlust des Schutzes.

Montag, 23. Oktober 2023 - Management
Christina Steinhausen
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Die Primärzutaten bei Produkten, die das EU-Siegel einer geschützten geografischen Angabe (g.g.A.) tragen, sollen künftig auf dem Etikett stehen, sofern sie nicht aus dem gleichen Land wie das g.g.A.-Produkt stammen. Das ist ein Kernvorschlag, den die EU-Kommission zur Reform des Geoschutzes auf den Weg gebracht hat. Er ruft den Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI), den Schutzverband Nürnberger Bratwürste und viele Hersteller von g.g.A.-Produkten auf den Plan.

Rat bisher gegen Primärzutaten-Ausweisung
Im Juni 2023 haben Kommission, Rat und Parlament der EU Trilogverhandlungen begonnen. Bislang haben zwei Trilogsitzungen stattgefunden (6. Juni, 18. Juli). Eine dritte und möglicherweise letzte Sitzung – so die Einschätzung aktiv Beteiligter – findet am 10. Oktober statt. Eine der noch offenen Fragen, über die eine Einigung erzielt werden muss, ist die Primärzutaten-Regelung. Bislang wird sie vom Rat abgelehnt. Sobald eine Einigung zwischen Rat und Parlament über die ganze Verordnung erzielt ist, muss sie von Landwirtschaftsausschuss und Plenum des Parlaments sowie vom Rat formell angenommen werden, dann tritt sie in Kraft.

Geschützte Geografische Angabe

Verbunden mit der Region
Das g.g.A.-Zeichen dokumentiert eine Verbindung des Lebensmittels mit dem Herkunftsgebiet: In ihm muss die Erzeugung, Verarbeitung oder Zubereitung geschehen; Rohwaren müssen nicht von dort sein.

  • 3.846 Produkte tragen ein Geoschutz-Label der EU (185 stammen aus Deutschland; 36 tragen das g.t.S.-, 31 das G.U.-, 118 das g.g.A.-Label).
  • 1.537 Produkte firmieren als geschützte geografische Angabe (g.g.A.; englisch Protected Geographical Indication; kurz PGI).
  • 118 g.g.A.-Produkte stammen aus Deutschland. Italien zählt 274, Frankreich 249, Spanien 160, Griechenland 155. Danach folgt Deutschland.
  • 25 deutsche g.g.A.s sind Fleisch-/Wurstwaren, 22 Weine, 10 Biere, 10 Brot-/Backwaren (inklusive Lebkuchen, Printen, Stollen).

Quelle: Europäische Kommission, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Betroffenen droht Verlust des EU-Schutzes
1.537 Produkte tragen aktuell in der EU das g.g.A.-Siegel, 118 von ihnen stammen aus Deutschland. Noch stärker betroffen als die Bundesrepublik sind Italien (274), Frankreich (249), Spanien (160) und Griechenland (155). Logisch, dass der Druck aus diesen Ländern noch größer ist, die Lobby stärker, als aus Deutschland. Gegen Transparenz wehren sich die Betroffenen nicht, sondern gegen den mit der Reform einhergehenden bürokratischen und logistischen Mehraufwand (vgl. Kommentar unten). Sie müssen mehr Verpackungen bevorraten, da mehr Etiketten notwendig werden. Wer nicht mitgehen will, verliert das Siegel und damit den EU-Schutz. Für viele der deutschen g.g.A.-Produkte-Hersteller ist genau das die Alternative, vor der sie stehen, wenn denn die Reform wie avisiert käme und nicht vom Rat verhindert wird.

Theken-Spezialisten sehen Pläne positiv
Es gibt auch Unterstützer für die angedachte g.g.A.-Reform, vornehmlich aus dem Bedientheken-Bereich: Wolfgang G. Dicke (Geschäftsführer der Dicke food makes fun GmbH) und Andreas Heimann (Vertriebsleiter LEH bei der Ruwisch & Zuck GmbH) erhoffen sich von der neuen Regelung einen Schub für mehr Qualitätsorientierung und Authentizität bei traditionellen Produkten. Das stoppe vielleicht ein wenig den Drang einiger Hersteller, die Zutaten stetig irgendwo auf der Welt noch billiger einkaufen zu können und dabei Qualitätsverluste billigend in Kauf zu nehmen, so Wolfgang G. Dicke. Für Ruwisch & Zuck stellten die EU-Pläne keinen Anlass zur Sorge dar, sagt Andreas Heimann sehr entspannt und erklärt warum: Bei abgepackter SB- oder PrepackWare versteht er die Aufregung der betroffenen Hersteller, „bei unserem Thekengeschäft wird die Verpackung ohnehin abgemacht. Uns betrifft das also quasi nicht“, so seine Meinung.

Für g.g.A. entscheidend: Rezeptur und Machart
Für die Preisschilder in der Theke von g.g.A.-Käse würde die neue Regelung allerdings wieder zutreffen und noch mehr Text auf den schon vollen Schildern bedeuten. Bei den meisten g.g.A.-Käsen dürfte es so sein, dass auch die Primärzutaten aus dem gleichen Land kommen wie das g.g.A.-Produkt. Problematischer ist die Lage bei Süßwaren, die häufig Mandeln, Nüsse, Sultaninen oder auch Gewürze als Primärzutat enthalten. Kein Wunder also, dass der BDSI Alarm schlägt: „Es ist ja gerade Wesenskern von g.g.A.-Produkten und in ihren Spezifikationen transparent offengelegt, dass die Zutaten nicht aus der Herstellungsregion stammen müssen“, betont BDSI-Hauptgeschäftsführer Dr. Carsten Bernoth. Wichtige Zutaten wie Getreide oder Zucker seien in europäische Lieferketten eingebettet.

Gastkommentar von Dr. Jürgen Brandstetter

Enormer logistischer und bürokratischer Aufwand

Aus Brüssel droht ein praxisfernes Ungemach. Im Visier der selbst ernannten Wettbewerbshüter: das g.g.A-Siegel, das einst eingeführt wurde, um besonders schützenswerte Produkte vor dreisten Plagiaten zu bewahren. Deshalb dürfen etwa unsere Nürnberger Lebkuchen nur aus Nürnberg kommen – und das ist auch gut so. Denn diese einzigartige Tradition des Backhandwerkes, die sich über Jahrhunderte speziell hier entwickelt hat, soll Verbrauchern eben gerade nicht von beliebigen Betrieben vorgegaukelt werden können.

Verpackungsflut droht
Die Überarbeitung der Geo-Schutz-Verordnung sieht nun vor, dass die Herkunft des primären Inhaltsstoffs ausdrücklich ausgewiesen werden muss – in unserem Fall etwa Mandeln oder Haselnüsse. Das wichtigste Kriterium unserer Rohstoffe ist aber nicht deren Herkunft, sondern ihre Qualität. Und so kann es vorkommen, dass unsere Einkäufer nach schlechten Ernten, Naturkatastrophen oder anderen Unwägbarkeiten flexibel und weltweit nach anderen Orten für wichtige Zutaten suchen müssen – für die dann jeweils eine eigene Verpackung vorgehalten werden müsste. Ein ungeheuerlicher logistischer und bürokratischer Aufwand, der noch dazu Kunden in die Irre führen würde: Denn der Ursprung allein sagt über die Güte nichts aus. Wohl aber die g.g.A.-Angabe, die dann verfiele, wenn wir Hersteller den Forderungen nicht nachkommen.

Dr. Jürgen Brandstetter wurde 1970 in Augsburg in eine Bäckersfamilie geboren. Nach der Ausbildung zum Bäcker studierte er in Augsburg und St. Gallen Betriebswirtschaftslehre und promovierte. Über 20 Jahre baute er zusammen mit einem Geschäftspartner den elterlichen Betrieb zur regionalen Backwarenkette mit über 25 Filialen und rund 400 Beschäftigten aus. Nach dem Verkauf des Unternehmens wurde Brandstetter 2018 Geschäftsführer der traditionsreichen Gottfried Wicklein GmbH, der ältesten noch bestehenden Lebküchnerei Nürnbergs.