Festivals Geile Party, bestensversorgt

Tausende junge Menschen im Partymodus – das ist genau die Zielgruppe, die Handelsunternehmen für sich gewinnen wollen. Deshalb betreiben sie auf Musikfestivals eigene Märkte. Wie funktioniert das, und welche Probleme gibt es?

Mittwoch, 10. August 2016 - Management
Heidrun Mittler
Artikelbild Geile Party, bestensversorgt
Bildquelle: Lidl, Penny, Edeka / Kämper, Real, Carsten Hoppen, Shutterstock

Es ist noch keine zehn Jahre her, da sah die Vorbereitung für ein Musikfestival so aus: Hitzige Gruppen-Diskussionen in den Gängen des heimischen Metro-Marktes um Ravioli, Büchsenbier und Klopapier, logistische Meisterleistungen beim Beladen des gemeinsamen Gefährts bis unters Dach und kräftezehrendes Rudel-Schleppen des Proviants vom Park- zum Zeltplatz. All das gehörte stets zum Festival-Feeling und zum Vorfreude-Ritual dazu – war aber auch mit einem gewissen Nervfaktor verbunden.

Heute können sich die Fans entspannt zurücklehnen. Der Handel bietet auf vielen Musikevents den vollen Service an: gekühltes Dosenbier, gesunde Snacks und die Möglichkeit, Ware vorher zu bestellen. Für die beteiligten Händler heißt das: mehrere Wochen Vorbereitung, einige Tage Dauereinsatz mit allen verfügbaren Mitarbeitern und Mut zur Improvisation.

Wobei man differenzieren muss: Auf der einen Seite besorgen ortsansässige Händler in oder nahe beim Musikspektakel alles, was der Festivalbesucher braucht, vom kühlen Blonden über Sonnenbrillen bis zu Kondomen und Gummistiefeln. Auf der anderen Seite bauen Zentralen oder Regionalgesellschaften riesige Verkaufsflächen mitten auf dem Gelände auf. Bestes Beispiel ist Discounter Lidl, der seit zwei Jahren eine Filiale bei Rock am Ring in Mendig errichtet – und es dabei richtig krachen lässt: 18 Kassen, 110 Lidl-Mitarbeiter allein im sogenannten Rock-Shop, Öffnungszeiten bis 24 Uhr, zu Preisen auf Discount-Niveau. Wie viel Umsatz an den vier Tagen gemacht wird, verrät Lidl nicht. Unternehmenssprecher Gianfranco Brunetti kommentiert allerdings: „Wir machen richtig Umsatz. Aber das ist nicht der Hauptgrund, warum wir hier sind.“ Im Fokus steht viel mehr eine Image-Aufwertung. Das Unternehmen nutzt die Chance, ein Publikum von mehr als 92.000 meist jungen Menschen von seinen Produkten und Services zu begeistern. „Wann sonst hat man die Gelegenheit, so viele junge Leute positiv zu kontaktieren?“, fragt Brunetti.

Wacken Open Air / Edeka Boll
  • Zielgruppe: Rund 80.000 Heavy- Metal-Fans aus der ganzen Welt
  • Verkaufsfläche Edeka- Aktivmarkt: 400 qm Öffnungszeiten: 6 - 22 Uhr
  • Sortiment: 400 Artikel
  • Mitarbeiter: 10
  • Extra-Service: EC-Automat vor der Filiale, Postkarten und Briefmarken. Vorbestellung von Ware möglich. Nahes Angebot zu moderaten Preisen.

Verjüngungskur fürs Image
Ähnlich argumentiert die Rewe Group, die bei Hurricane und Parookaville eigene Penny-Shops betreibt. „Was von den letzten Festivals im Gedächtnis bleibt, ist die große Dankbarkeit und Begeisterung der Besucher darüber, dass wir vor Ort Lebensmittel und Nonfood-Artikel zu Discountpreisen anbieten und verfügbar halten“, sagt Stefan Magel, Bereichsvorstand Discount National/COO Penny. Er will mit dem Engagement junge Kunden für Penny gewinnen. „Dafür müssen und wollen wir einfach anders sein“, erklärt Magel und setzt auf eine ganz spezielle Ansprache der Rockfans (Hurricane) oder Anhänger elektronischer Beats (Parookaville) mit eigenem Festival-Logo im Stil der DJ-Szene, einem speziellen Typ Mitarbeiter, der auf gleicher Wellenlänge mit den Besuchern ist, und Party-Feeling, vor allem bei Parookaville in Weeze. Hier verbindet der Penny-DJ-Tower vor dem Versorgungszelt das Festival- mit dem Campingareal und das Einkaufserlebnis mit der Musik.

Real baut auf zwei Events eine sogenannte „Festiwelt“ auf, beim Sputnik Springbreak und beim „Sonne Mond Sterne“-Festival. Die Organisation liegt in den Händen von Peter Kloss, Real-Geschäftsleiter aus Bitterfeld. Mitarbeiter der Vertriebsregion Ost können sich intern für eine Tätigkeit für die Festiwelt bewerben, das Team wird dann entsprechend der Qualifikationen zusammengestellt – das handhaben auch die übrigen Handelsunternehmen so. Ein Service, der gut angenommen wird: Schon zwei Wochen vor dem Happening können die Kunden im Online-Shop Ware vorbestellen und bezahlen, das SB-Warenhaus übernimmt also den Transport aufs Festivalgelände.

Rock am Ring in Mendig / Lidl
  • Zielgruppe: Rockfans
  • Verkaufsfläche Rock-Shop: 1.700 qm
  • Öffnungszeiten: 7 - 24 Uhr
  • Sortiment: 250 Artikel
  • Mitarbeiter: mehr als 110
  • Extra-Service: 6 Pfandautomaten, Bake-off- Abteilung, Kaffee to go, Chill-out-Zone vor dem Zelt mit DJ und Handy- Ladestation.

Diese Idee hat auch Globus umgesetzt, beim „Rocco del Schlacko“-Open-Air an der Saar, allerdings nur in den Jahren 2013 und 2014. Anja Weirich, Geschäftsleiterin des Globus Drive, bezeichnet das Engagement zwar als „eine tolle Erfahrung mit viel positiver Resonanz“, immerhin sei es gelungen, „das Konzept Globus Drive über eine originelle Abholstation noch etwas bekannter“ zu machen. Beim diesjährigen Rocco del Schlacko aber müssen die Besucher ihre Raviolidosen und Klopapierrollen wieder selbst schleppen. Dazu Anja Weirich: „Das Festival ist für unser kleines Start-Up-Team (...) mit so großem personellen und wirtschaftlichen Aufwand verbunden, dass eine regelmäßige Beteiligung noch nicht möglich ist.“

Fest steht: Wenn die großen Handelsunternehmen mit ihren Liefertrucks und einer ausgeklügelten Organisation anrücken, ist das Geschäft für den ortsansässigen Handel verbaut. Welcher Festivalgänger schleppt schon freiwillig Bier und Wasser aus dem örtlichen Supermarkt aufs Campinggelände, wenn es die Getränke gut gekühlt fast unmittelbar vor der Bühne gibt?

Händler mit Standortvorteil
Dieses Problem blieb der selbstständigen Händlerfamilie Boll bisher erspart. Aufs Wacken Open Air, Mekka der harten Gitarrenmusik, hat sich noch keine der nationalen Supermarktketten mit einem eigenen Festivalshop gewagt. Der Edeka-Aktivmarkt in der Hauptstraße ist fester Bestandteil des 1990 gegründeten Festivals, dass spätestens seit der Dokumentation „Full Metal Village“ der Regisseurin Sung-Hyung Cho auch in den Mainstream-Medien ein Dauerthema ist. Mittlerweile kommen rund 80.000 Musik-Fans der härteren Gangart aus der ganzen Welt, um ihre Helden zu feiern. Dem Heavy Metal verdankt die Region jährliche Einnahmen von rund 30 Mio. Euro. Auch der Edeka-Markt in der Hauptstraße des 1.800-Einwohner-Dorfes, die jeder Metal-Jünger passieren muss, wenn er auf das Festivalgelände will, läuft während der drei Tage Anfang August auf Hochtouren. Der Laden ist seit 1950 in den Händen der Familie Boll. Von seinen Eltern hat der jetzige Inhaber Hans-Jacob Boll das Geschäft 1980 übernommen. 2008 erfolgte die Übernahme des zweiten Marktes im Dorf. 2010 wurde der Standort in der Hauptstraße geschlossen und wird seitdem nur noch für die Festivalzeit geöffnet. „Alles läuft sehr friedlich ab“, berichtet Tochter Inken-Victoria Boll, die für die Händlerfamilie das Marketing verantwortet. „Viele kennen die Geschichte des Marktes, der extra für sie öffnet, und sind dankbar für das nahe Angebot zu moderaten Preisen.“ Dieses bietet den Besuchern alles, was sie brauchen: Dosenbiere aller Art, Spirituosen, Tabak, Ravioli, Hygiene-Artikel und ein Grundsortiment an Nährmitteln sowie Nonfood. Das Grillsortiment spielt eine wichtige Rolle, insbesondere Fleisch- und Wurst-Artikel, die frisch eingeschweißt aus der Schlachterei kommen. Für die Familie Boll steht auch während dieser stressigen Tage die Zufriedenheit der Kunden im Vordergrund. So können die Fans beispielsweise vorab Ware bestellen und im Markt abholen. Dem Servicegedanken geschuldet ist auch die flexible Anpassung des Sortiments bei sich ändernder Witterung. So werden bei strahlender Hitze Sonnenschirme, -milch, -hüte und kalte Getränke, Eis sowie Eiswürfel verkauft. Bei Regen können sich die Besucher Regenponchos, Gummistiefel, Schlafsäcke und Isomatten beschaffen.

Parookaville in Weeze / Penny
  • Zielgruppe: rd. 40.000 Fans elektronischer Musik
  • Verkaufsfläche Penny-Shop: 1.800 qm
  • Öffnungszeiten: 80 Stunden durchgehend geöffnet
  • Sortiment: 400 Artikel
  • Mitarbeiter: 200
  • Extra-Service: zusätzlicher Penny-Kiosk auf Festival-Gelände, Kaffeeautomaten, Penny-Upgrade: Plätze im Penny- Camp direkt
  • am Penny-Square in komplett aufgebauten, bezugsfertigen 2- und 4-Personen- Zelten mit Trekkingmatte und Schlafsack buchbar.

Größeren Herausforderungen steht derzeit Melanie Koch gegenüber. Die Händlerin betreibt einen gut sortierten Rewe-Verbrauchermarkt in Adenau am Nürburgring. Sie hat jahrzehntelange Erfahrung mit großen Events, schließlich war und ist der Nürburgring unter anderem Austragungsort weltbekannter Motorsport-Veranstaltungen. „Die ganze Region lebt vom Ring“, erzählt sie, während der fünf Sommermonate muss sie so viel erwirtschaften, dass sie die sieben Monate ohne Veranstaltungen ausgleichen kann. Dann tut es richtig weh, wenn ein Ereignis wie Formel 1 (2008) oder Rock am Ring (2015) an einen anderen Standort umzieht. Das kann man nicht auffangen, meint sie nüchtern: „Das ist wie bei einer verregneten Grillsaison. Der Umsatz ist weg.“ Was Melanie Koch gern mag, ist die Projektarbeit für jedes einzelne Event, egal ob Musik oder Rennen: „Dazu brauchen wir jede Menge Kreativität“, sagt sie, „wir können niemanden um Rat fragen.“

Sonne Mond Sterne in Saalfeld / Real
  • Zielgruppe: Elektrosound- Fans
  • Verkaufsfläche Festiwelt: 800 qm
  • Öffnungszeiten: 10 - 20 Uhr
  • Sortiment: 300 Artikel Mitarbeiter: 25
  • Extra-Service: Festivalbesucher können vorab

Risikofreude vorausgesetzt
Jedes Engagement auf einem Festival ist mit Risiken verbunden. Hurricane 2016 machte seinem Namen alle Ehre, aufgrund von Unwetter wurde das Konzertgelände ebenso wie der Penny-Shop zweimal evakuiert. Rock am Ring 2016 ist im Schlamm versunken, das Event wurde vorzeitig abgebrochen. Lidls Rock-Shop hat entsprechend früher sein Zelt geschlossen, das bedeutet: nicht realisierter Umsatz. Außerdem wurde das Unternehmen in sozialen Netzwerken beschimpft: Bei einem schweren Gewitter hat die Security den Eingang zum Zelt geschlossen und keine Personen mehr eingelassen. Gianfranco Brunetti verteidigt das Vorgehen und weist darauf hin, dass man ab Windstärke 7 gemäß Betriebsgenehmigung dazu verpflichtet war, die Zugänge zur Zeltkonstruktion zu schließen. Mitarbeiter und Kunden im Rock-Shop hätte man im Bedarfsfall in bereitstehende Busse und Pkw evakuieren können. Penny will trotz der Unwägbarkeiten am Festivalgeschäft festhalten und hat bereits längerfristige Verträge abgeschlossen. Profitieren sollen davon nicht zuletzt auch die eigenen Mitarbeiter. „Ich kann mir kaum eine bessere Teambuilding-Maßnahme vorstellen als diese Festival-Einsätze“, sagt Stefan Magel.

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