Mindestlohn Gut gemeint – schlecht gemacht?

Bürokratiemonster, Jobkiller – ein halbes Jahr nach Einführung des Mindestlohns ärgern sich Teile der Branche über zu viel Bürokratie und die unklare Auslegung einiger Regelungen. Andere nutzen den Mindestlohn zur Schärfung oder Verbesserung des Unternehmens-Image.

Freitag, 26. Juni 2015 - Management
Sonja Plachetta
Artikelbild Gut gemeint – schlecht gemacht?
Bildquelle: WSI-Mindestlohndatenbank 2015

Eins, zwei, Minijobber: Jeder dritte Mitarbeiter im Einzelhandel ist geringfügig beschäftigt. Der Handelsverband Deutschland (HDE) geht von 900.000 Minijobbern aus, die zusammengerechnet etwa 15 Prozent aller geleisteten Arbeitsstunden im Handel übernehmen. Ganz offensichtlich profitiert auch der Lebensmittelhandel vom Einsatz der 450-Euro-Kräfte: Ihr flexibler Einsatz ermöglichst es, Stoßzeiten abzufedern und Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen zu organisieren. Minijobber haben seit Januar 2015 Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Das ist nichts Neues, schlägt aber natürlich bei den Personalkosten zu Buche – bei manchen Händlern mehr, bei anderen weniger, je nachdem, wie sie vorher ihre Angestellten entlohnt haben.

Dabei gibt es Handelsunternehmen, die keine Probleme haben, gemäß dem neuen Gesetz zu zahlen: Globus beispielsweise zahlt seit 2014 mindestens 8,50 Euro pro Stunde (siehe dazu auch das Interview mit Olaf Schomaker ab S. 32). Alnatura vergütet den aktuellen Mindestlohn schon seit drei Jahren. Discounter Lidl setzt noch einen drauf: Im Unternehmen gilt seit Juni dieses Jahres eine untere Lohngrenze von 11,50 Euro. Dazu eine Unternehmenssprecherin: „Ob in den Filialen, im Lager oder als geringfügig Beschäftigter – niemand wird unterhalb des internen Mindestlohns bezahlt.“ Bereits 2010, so die Sprecherin weiter, habe Lidl ein elektronisches Personalzeit-Erfassungssystem eingeführt, mit dessen Hilfe jeder Mitarbeiter seine Arbeitszeit selbst erfasse. So sei „sichergestellt, dass jede geleistete Minute exakt bezahlt wird“. Alle Lidl-Mitarbeiter verdienen demnach schon seit August 2013 mindestens 11 Euro pro Stunde, und zudem „immer übertariflich“. Zum Vergleich: Das Einstiegsgehalt einer Verkäuferin liegt in Nordrhein-Westfalen laut Tarif derzeit bei 9,92 Euro. Allerdings nimmt die Tarifbindung seit Jahren ab, wie man beim Bundesarbeitsministerium nachlesen kann.

Natürlich gibt es zu den 8,50 Euro auch andere Stimmen, nur sind die weniger laut. Gerade für kleine und kleinste Betriebe bedeutet der Mindestlohn eine deutliche Mehrbelastung. Das Nachrichten-Portal Bio-Markt.info hat eine Umfrage unter 50 Naturkostfachhändlern veröffentlicht. Einige „Ladner“, wie die Inhaber in dieser Branche heißen, klagen darüber, dass sie jetzt selbst länger im Laden stehen müssen, das grenze an Selbstausbeutung. Auch wenn im Lebensmittelhandel die Verhältnisse anders sind, sind die höheren Personalkosten selbstredend ein Dauerbrenner.

Der HDE hat im vergangenen Januar eine Befragung zu Minijobs im Handel ausgewertet und im Ergebnis prophezeit, dass „die Beschäftigungswachstumskurve 2015 jäh gebremst“ werde. Fast jeder fünfte Einzelhändler werde wegen des Mindestlohns Arbeitsplätze abbauen. Weitere 11 Prozent waren sich laut der Umfrage noch nicht sicher, ob es zu einem Arbeitsplatzverlust komme.

Einen genauen Überblick, welche Konsequenzen die Einführung des Mindestlohns im Einzelhandel haben wird, werden allerdings erst die amtlichen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) geben, die Ende 2015 verfügbar sind. Heinrich Alt, BA-Vorstandsmitglied, erklärte Ende April, dass die Zahl der Minijobs am Jahresanfang stärker als in den Vorjahren üblich zurückgegangen sei. Daraus zu schließen, dass die geringfügig bezahlten Jobs wegen des Mindestlohns weggefallen seien, halte er allerdings für vorschnell. Es ist laut der Bundesagentur für Arbeit auch möglich, dass zumindest ein Teil der Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze umgewandelt worden ist. Denn was längst nicht alle Einzelhändler wissen: Oftmals kann ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis für den Arbeitgeber höhere Kosten verursachen als ein sozialversicherungspflichtiges, wenn alle gesetzlichen Regeln eingehalten werden. Ganz salopp formuliert, kann mini für den Kaufmann teurer sein als midi. Der HDE weist darauf hin, dass der Arbeitgeber in Bezug auf Midijobs bei fast gleichen Kosten in vielen Fällen mit einer höheren Anzahl an Arbeitsstunden kalkulieren kann. Allerdings muss man die Umgestaltung in jedem Einzelfall durchrechnen. Wie das funktioniert und welche Regeln gelten, kann man in der Broschüre „Minijobber gehören dazu“ nachlesen, die auf der HDE-Homepage kostenlos als Download zur Verfügung steht (www.einzelhandel.de).

Durchrechnen, umgestalten – das alles bereitet Mühe und beschert der Personalabteilung Aufwand. Gerade die Bürokratie aber ist einer der Hauptkritikpunkte, die in puncto Mindestlohn geäußert werden. Im Blickpunkt stehen dabei die Regelungen zur Dokumentation der Arbeitszeiten – übrigens nicht nur im Handel, sondern auch bei den Produzenten. Die Pfalzmarkt eG, eine Genossenschaft mit mehr als 250 aktiven Erzeugern, schreibt in einem offenen Brief an die Politik: „Das neue Mindestlohngesetz mit seinen Regelungen zur Dokumentation der Arbeitszeiten gefährdet den Fortbestand unserer Gartenbaubetriebe und damit viele Arbeitsplätze in den Betrieben und in unserer Genossenschaft.“Der HDE weist darauf hin, dass es in der Praxis immer wieder unklar sei, ob und wie Zulagen und Zuschläge, Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf den Mindestlohn angerechnet werden müssen, und fordert deshalb eine Überarbeitung der Vorschriften.