Prof. Dr. Christiane Kolass-Hundeshagen Amazon Fresh ist noch keine Erfolgsgeschichte

Der weltweit größte Versandhändler Amazon will bald in Deutschland frische Lebensmittel online verkaufen. Eine ernsthafte Gefahr für den stationären Lebensmittelhandel?

Sonntag, 17. August 2014 - Management
Reiner Mihr

Gastkommentar von Prof. Dr. Christiane Kolass-Hundeshagen

Internetgigant Amazon hat mit dem Versand von frischen Lebensmitteln in den USA recht leidvolle und kostenintensive Erfahrungen gemacht. Bereits 1999 investierte Amazon mehr als 42 Mio. USD in den Online-Händler HomeGrocer.com, der aber schnell wieder an Webvan abgestoßen wurde. Die wiederum meldeten 2001 Insolvenz an. Amazon startete erneut 2007 mit einem Testmarkt in einer kleinen Vorstadt von Seattle: Mercer Island. Das Konzept: Lebensmittel online zu bestellen und direkt an die Haustüre geliefert zu bekommen; entweder noch am selben Tag je nach Bestellzeit oder am nächsten Tag.

Hört sich gut an, hat aber einen Haken: Die Zustellung am selben Tag oder am nächsten Tag erfolgt nur, wenn für mehr als 35 USD bestellt wird. Doch jetzt kommt es: Man muss vorher Prime Fresh Member werden, das ist eine Clubmitgliedschaft – und die hat ihren Preis: 299 USD per anno.

Was hat sich seit 2007 getan? Eigentlich nicht viel, der Service von Amazon Fresh wurde zwar auf weitere Postleitzahlgebiete um Seattle herum ausgeweitet, und mittlerweile werden auch Teile von Los Angeles und San Francisco beliefert, allerdings nicht nach Amazon-Manier „faster, bigger, better“.

Amazon ist übrigens nicht allein. Lebensmittel online zu bestellen und direkt nach Hause geliefert zu bekommen, klingt vielversprechend, und Unternehmen wie Fresh direct oder Peapod kämpfen schon seit Jahren darum, dass dieses Konzept funktioniert. Auch Amazon, trotz all seiner Erfahrung im E-Commerce, tut sich sehr schwer. Denn obwohl die Amerikaner sehr internetaffin sind, lieben sie es auch zu shoppen. Der Durchschnittsamerikaner geht dreimal pro Woche Lebensmittel einkaufen, und wenn man die Amerikaner, insbesondere die Lateinamerikaner, die mittlerweile fast 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, hierbei beobachtet, dann tun sie dies sehr sorgfältig. Sie vergleichen die Preise und das Angebot intensiv, und das nicht erst seit der Finanzkrise.

Überraschenderweise reagieren auch die amerikanischen Kunden sehr zurück-haltend auf die Online-Offerten von Amazon Fresh. Eine vor Kurzem durchgeführte Marktstudie zeigt, dass nur 12 Prozent der Verbraucher „höchst wahrscheinlich“ in den nächsten sechs Monaten online Lebensmittel bestellen würden, falls sie die Möglichkeit hätten, dieses Angebot zu nutzen. Das spiegelt auch die Tatsache wider, dass Verbraucher gerne vorher sehen und selbst auswählen wollen, was sie kaufen, und das gilt insbesondere bei leicht verderblichen Waren wie Lebensmittel.

Auch sind die riesigen US-Supermärkte immer mehr zu Erlebniswelten geworden, mit voll ausgestatteten Küchen, in denen Köche Gerichte zaubern, die zum Probieren verlocken und die nach Rezeptkarten und der entsprechenden Zutatenliste einfach zu Hause nachgekocht werden können. Oder man kann sich das komplette Gericht gleich kaufen und zu Hause auftischen. Überall gibt es Snackstände und Weinproben verschiedenster Weingüter.

Analysten sagen, Amazon habe den Code noch nicht geknackt, wie man im Massenmarkt Lebensmittel wettbewerbsfähige Preise ermöglichen kann und damit auch Gewinn erzielt. Alles in allem reagieren die Amerikaner sehr verhalten auf das Angebot, Lebensmittel online zu kaufen, und ich denke, dass die deutschen Verbraucher sich ähnlich verhalten werden. Dass sich Amazon Fresh in Deutschland auf Dauer durchsetzen und den deutschen Lebensmittelmarkt nachhaltig verändern wird, ist zu bezweifeln.